Haus, aus Sand gebaut, blauer Himmel

Jeden Tag ein neues Haus (Bild: PolyCare)

Sand ist einer der wichtigsten Rohstoffe der Erde. Er ist unter anderem eine wichtige Komponente im Beton und damit Basis für den modernen Hausbau. Doch Sand ist nicht gleich Sand. Eine ausreichende Körnung muss gewährleisten, dass sich der Sand gut mit den weiteren Komponenten verbindet. Wüstensand ist hierfür eigentlich ungeeignet, da er durch seine witterungsbedingte ständige Bewegung rundgeschliffen ist. Doch eine innovative Ingenieursleistung aus Deutschland macht aus diesem Material einen extrem vielseitigen Baustoff.

Modulares Baukastensystem zum Hausbau

In Kooperation mit der Professur Bauchemie und Polymere Werkstoffe der Weimarer Bauhaus-Universität hat die Polycare Research Technology GmbH in Thüringen ein Verfahren entwickelt, bei dem aus Wüstensand durch Zugabe eines ungesättigtes Polyesterharzes und weiterer Additive eine zähflüssige Masse entsteht, deren Abbindezeit lediglich 20 Minuten beträgt. Nach 24 Stunden komplett ausgehärtet, liegt die Druck- und Biegezugfestigkeit des Polymerbetons je nach Zusammensetzung des Füllmaterials bis zu fünfmal über der von Zementbeton. Das eigentliche Ziel der beiden Ingenieure Gerhard Dust und Gunther Plötner war aber von vornherein ein Konzept der „Hilfe zur Selbsthilfe“ für Regionen, in denen sicherer Wohnraum knapp ist.

Die Verwendung des Baustoffs muss daher ungeschulten Personen ohne Zugriff auf Baumaschinen möglich sein. Polycare löst dies durch ein Modulares Aufbau System (MAS). Der noch zähflüssige Polymerbeton wird dazu zum Aushärten in eine von fünf Grundformen gegossen, die auf den ersten Blick sofort an LEGO®-Bausteine erinnern und im größeren Maßstab genauso funktionieren. Neben der modularen Bauweise zeigt das Konzept noch eine weitere Parallele zu unserem MB Systembaukasten: Über Hohlräume im Inneren der Module lassen sich einzelne Schichten stabil verschrauben und damit bei Bedarf zerstörungsfrei zur Verwendung an anderer Stelle wieder demontieren.

Ein Haus aus Sand pro Tag

Auch bei der Konstruktion der zum Guss der Bauelemente notwendigen Maschine achteten die Ingenieure auf eine mobile Bauweise, womit diese einfach transportiert und nah am Einsatzort installiert werden kann. Die Anlage wurde mit verschiedensten Sandkörnungen von Namibia bis Nordafrika erfolgreich getestet, wobei im Katastrophenfall beispielsweise auch Abbruch zerstörter Gebäude als Füllmaterial dienen kann. Die notwendigen Zusätze wie das Spezialharz machen lediglich 10 % des Polymerbetons aus, was die Logistik deutlich vereinfacht.

Eine einzelne Anlage kann pro achtstündiger Schicht etwa 16 Tonnen des Polymerbetons herstellen, was zum Bau eines eingeschossigen Hauses mit einer Grundfläche von knapp 50 m² ausreicht. Aufgrund der bauphysikalischen Beschaffenheit des Materials ist ein fester Untergrund die einzige Voraussetzung für den Bau. Die Basis für die ersten Steine und gleichzeitig den Grundriss des Gebäudes bilden spezielle Grundleisten aus dem gleichen Material. Weitere Spezialbauteile des Modularen Aufbau Systems (MAS) ermöglichen unter anderem den einfachen Einbau von Fenstern und Türen.

Effektiver Schutz vor Witterungseinflüssen

Das nahezu fugenlos funktionierende Stecksystem bietet schon einen guten Schutz vor der Witterung. Dort, wo es klimatisch notwendig ist, können die Hohlräume der einzelnen Grundelemente zusätzlich mit Dämmmaterial gefüllt werden. Der Polymerbeton nimmt kein Wasser auf, was ihn frostsicher macht. Zudem verfügt er über eine hohe Abriebfestigkeit und ist unempfindlich gegenüber großen Temperaturschwankungen. Verputzen, streichen oder versiegeln sind nicht notwendig, aber möglich. Die fertigen Häuser entsprechen dem Qualitätsanspruch europäischer Baunormen.

Ein weiterer wichtiger Leistungsfaktor des korrosionssicheren Polymerbetons für den Einsatz in Gebieten mit schlechter Infrastruktur ist die Beständigkeit unter dem äußeren Einfluss von aggressiven Abwässern und Mineralölen. Auch den Einfluss von Säuren und Basen sowie Dämpfen und Gasen überstehen die Häuser schadlos. Gleichzeitig reagiert der Polymerbeton selbst nicht mehr mit der Umwelt. Dort, wo entsprechende Häuser nur temporär und die Bausteine anschließend nicht mehr benötigt werden, können sie einfach mechanisch zerstört und danach recycelt werden.

Pilotprojekt in einem Zukunftsmarkt

Dies sind aber nicht die einzigen Eigenschaften, die für einen großflächigen Erfolg des Projekts ausschlaggebend sind. Aufgrund der finanziell meist beschränkten Mittel der Regierungen und Entwicklungshelfer vor Ort und der großen Zahl der benötigen Wohneinheiten gilt: Es muss schnell gehen und darf nicht viel kosten. Als Benchmark dient hier ein Musterhaus, das hinter dem Firmensitz von Polycare entstanden ist. Für den Bau des Flachbaus mit einer Wohnfläche von 37 m² brauchten zwei Personen weniger als 12 Stunden. Die Materialkosten bewegten sich unter der Marke von 3000 Euro.

Einen ersten Härtetest hat Polycare bei einer konkreten Präsentation in Namibia bestanden. Das südafrikanische Land plant langfristig den Bau von 200.000 günstigen Wohnhäusern zur nachhaltigen Verbesserung der Lebensqualität weiter Teile der Bevölkerung. In Rahmen einer Studie soll jetzt geklärt werden, wie eine erste Mustersiedlung auf Basis der deutschen Technik finanziert werden könnte.

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