Verhandlungen zwischen Einkäufern und Verkäufern finden seit Beginn der Covid-Pandemie meist nicht mehr im direkten persönlichen Kontakt statt, sondern virtuell. Das erschwert die Kommunikation, das Risiko von Missverständnissen wächst. Im Endeffekt führen Verhandlungen dann meist zu schlechteren Ergebnissen. Deshalb muss virtuelles Verhandeln neu gelernt werden. Hier erfahren Sie, was Sie beachten müssen.
Wer hat nicht schon einmal die Erfahrung gemacht, dass Kommunikation per E-Mail zwar schnell ist, aber auch schnell zu Missverständnissen führt. Wir denken, wir haben uns freundlich, klar und verständlich mit Worten ausgedrückt und waren umso mehr überrascht, als der Empfänger unserer E-Mail irritiert reagierte: Er hat unsere Botschaft ganz anders verstanden als wir beabsichtigten.
Tatsächlich ist die Gefahr von Missverständnissen bei schriftlicher Kommunikation erheblich – der Empfänger unserer Nachricht sieht und hört uns nicht, hat unser nettes Lächeln und den freundlichen Ton unserer Stimme nicht bemerkt, uns nicht in die Augen sehen können. Wir neigen dazu, unsere Fähigkeit zu überschätzen, uns gut und verständlich ausdrücken zu können.
Das sollten wir bei Verhandlungen immer im Hinterkopf haben. Wer eine nur schriftliche Nachricht von uns erhält, kann die von uns gewollten Gefühle kaum richtig einschätzen und als Folge dieser Unsicherheit selbst kontraproduktive Emotionen entwickeln, die den weiteren Verlauf der Verhandlungen negativ beeinflussen können.
Aufbau von Vertrauen durch persönliche Begegnung
Und das ist jetzt in der Covid-Pandemie ein Problem. Denn geschätzt bis zu drei Viertel aller Unternehmensverhandlungen finden nicht mehr im unmittelbaren persönlichen Kontakt, sondern virtuell statt, per E-Mail, Messenger-Dienste, Telefon und auch per Videokonferenz. Das belegt der steile Rückgang von Dienstreisen, wie eine aktuelle Umfrage des Handelsblatts zusammen mit dem Verband Deutsches Reisemanagement zeigt.
Danach gaben deutsche Unternehmen im vergangenen Jahr nur noch 5,5 Milliarden Euro für Dienstreisen aus, 2019 waren es noch 55,3 Milliarden Euro – mehr als zehnmal so viel. Und es wäre eine Illusion zu glauben, dass die Kommunikation nach Ende der Epidemie wieder so wird wie zuvor. Denn die Unternehmen werden zumindest einen Teil der Einsparung auch in Zukunft realisieren wollen. Nach Schätzung von Experten dürften in Zukunft bis zu zwei Drittel aller Verhandlungen rein virtuell laufen. Covid hat diesen Prozess lediglich beschleunigt.
Natürlich wurde bei Verhandlungen auch in der Vergangenheit schon virtuell kommuniziert. Doch spielte der direkte persönliche Kontakt dabei eine ganz entscheidende Rolle. Persönliche Treffen ermöglichen es Verhandlungspartnern, Vertrauen aufzubauen. Nun, in der neuen virtuellen Zeit, gilt es, dieses Vertrauen per Videokonferenz zu entwickeln – der Kommunikationsform, die noch am ehesten eine persönliche Begegnung ermöglicht, trotz räumlicher und sozialer Distanz.
Allerdings besteht auch hier die große Gefahr von Missverständnissen. Denn auch wenn man sein Gegenüber auf dem Bildschirm sieht, so lassen sich aller Erfahrung nach unterschiedliche Auffassungen oder Konflikte per Videokonferenz schwerer lösen als im direkten Kontakt. Damit steigt das Risiko suboptimaler Verhandlungen, von Verzögerungen bis hin zur Blockade.
Die Hauptaufgabe besteht in dieser neuen Zeit darin, das Medium Videokonferenz mit all seinen Problemen und Vorteilen richtig zu nutzen. Zwar ändert sich nichts an den wesentlichen Prinzipien der Verhandlung, sie müssen jedoch an die virtuelle Umgebung angepasst werden. Es geht im Einzelnen um vier Determinanten:
1. Der Erfolg der Verhandlung wird von der Vorbereitung bestimmt
Unsere Erfahrung besagt, dass der Verhandlungserfolg zu 80 Prozent durch die richtige Vorbereitung bestimmt ist. Einkäufer, die auf Nummer Sicher gehen wollen, bereiten sich deshalb akribisch auf alle möglichen Situationen vor, in denen die Kommunikation essenziell ist für den Erfolg der Verhandlung.
Das erfordert, die technischen Gegebenheiten der neuen Kommunikationskanäle Zoom, Teams, Webex, Google Hangouts etc. in der Praxis zu beherrschen, bevor man sie in einer Verhandlung nutzt.
Wie teilt man Präsentationen, wie erstellt man Breakout Rooms, wie ändert man den Hintergrund, was macht man, wenn die Mikrofone oder Kameras nicht funktionieren? Gerade in stressigen Gesprächen bringen technische Probleme die Beteiligten schnell aus dem Konzept.
Der Autor: Philipp Michel ...
... ist Partner der Negotiation Advisory Group (NAG), einer in Europa agierenden B2B-Verhandlungsberatung. Er verfügt über mehr als 20 Jahre Berufs- und Verhandlungserfahrung, hat mit Toni Piëch in China eine Consulting-Firma gegründet und für Porsche Design Studio weltweit Lizenz- und Designverträge verhandelt. Sein Spezialgebiet Verhandlungen, Marketing und Kommunikation.
2. Das eigene virtuelle Auftreten reflektieren und üben
Schon in der Vorbereitung sollte man sich Gedanken machen, wie sich Vertrauen aufbauen lässt, auch wenn man sich nur gegenseitig auf dem Bildschirm sieht. Etwa indem man im Home Office einen Blick auf sein privates Umfeld ermöglicht. Zum Beispiel die Tochter, die ins Büro kommt, vorstellen und sie nicht verärgert über die Störung einfach rausschicken.
Oder über den Hund, der auf dem Boden liegt, reden, wenn man weiß, dass der Verhandler auf der anderen Seite auch einen Hund hat. Oder Bücher und Bilder im Hintergrund platzieren, die einen persönlichen Einblick gewähren und Vertrauen schaffen.
Wie man sein Auftreten für das erste Business Meeting geprobt hat, sollte man jetzt seine virtuellen Meetings proben. Aus psychologischen Experimenten wissen wir, dass die Bedeutung einer Botschaft zu einem Großteil nonverbal durch Mimik und Gestik sowie dem Klang der Stimme und nur zu einem geringen Teil durch die verwendeten Worte kommuniziert wird.
Wie also ist das eigene Erscheinungsbild vor der Kamera? Ein Rollenspiel mit einem Kollegen, das aufgenommen wird, kann einen Eindruck vermitteln, wie man auf die andere Partei wirkt. Wie war die Körperhaltung? Die nonverbale Kommunikation? Der Tonfall? Es gilt Licht und Kamera richtig einzusetzen: Die Kamera sollte am besten auf Augenhöhe eingestellt sein, so dass man nicht nach unten oder oben schauen muss.
Das Licht sollte angenehm sein und nicht von hinten kommen, damit das Gesicht zu sehen ist. Wenn man einen höhenverstellbaren Schreibtisch hat, sollte man sich hinstellen und im Stehen sprechen. Das wirkt dynamischer und emotionaler.
3. Die Signale des Gegenübers richtig verstehen
Mehr noch als bei Verhandlungen von Angesicht zu Angesicht besteht jetzt die Herausforderung darin, die Motive und Emotionen der anderen Partei auch am Bildschirm zu erkennen. Das Spannende an Verhandlungen ist ja dieser psychologische Aspekt: zu verstehen, was die andere Seite vorhat.
Um Missverständnisse oder Irritationen zu vermeiden, sollten Einkäufer zu Verhandlungsbeginn ansprechen, dass man sich Notizen macht oder einen zweiten Bildschirm nutzt: „Verzeihen Sie, wenn ich dann nicht immer in die Kamera schaue. Ich bin jedoch ganz bei Ihnen.“
In virtuellen Verhandlungen fehlen uns viele Hinweise der Körpersprache und Atmosphäre, um Situationen richtig deuten zu können. Daher sollte man vorsichtig formulieren etwa in dem Sinn: „Für mich hört sich das an als ob…“, gefolgt von der Frage: „Habe ich das so richtig verstanden?“ Auch sollte man häufiger das Besprochene zusammenfassen und fragen, ob das auch dem Verständnis der anderen Seite entspricht.
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4. Den Verhandlungsprozess und die Kommunikation proaktiv steuern
Geschulte Verhandler bereiten die komplette Verhandlung minutiös vor, auch die virtuelle Verhandlung. Sie entwickeln einen detaillierten Multi-Channel-Kommunikationsplan für alle Phasen der Verhandlung, um die ausgearbeitete Verhandlungsstrategie proaktiv zu steuern und umzusetzen.
Verhandlungsführer müssen alle verfügbaren Kommunikationskanäle beherrschen. Denn Einkäufer sollten immer die Kontrolle über den Verhandlungsprozess haben. Dazu gehört auch das Medium.
Fazit: Kommunikation und Verhalten sind elementare Bestandteile der Verhandlungsführung, die durch virtuelles Verhandeln substantiell beeinflusst werden. Einkäufer müssen also virtuelles Verhandeln neu lernen, um für die Zukunft gewappnet zu sein. Denn dies wird Teil der neuen Normalität der Verhandlungen sein.