
Ursache des Stromausfalls könnte ein Störlichtbogen in einer Schaltanlage sein. Doch wie lassen sich solche Ausfälle vermeiden? (Bild: Rittal)
Mit einem Schlag ist es dunkel im Logistikzentrum eines Online-Versandhändlers. Paketsortieranlagen, Regalbediengeräte, Transporteinheiten und die Kommissionierplätze sind ohne Strom. Nichts geht mehr. Ein Horror-Szenario. Ursache des Stromausfalls könnte ein Störlichtbogen in einer Schaltanlage sein. Doch wie lassen sich solche Ausfälle vermeiden oder zumindest deren Dauer beschränken?
Allein die Vorstellung an solch einen Stromausfall treibt Logistik-Verantwortlichen die Schweißperlen auf die Stirn. Ware kann nicht mehr eingelagert werden, und Kunden warten vergeblich auf die Pakete. Das übliche Versprechen des Online-Handels ‚Heute bestellt und morgen zugestellt‘ wäre massiv in Gefahr. Die Ursache dafür ist in vielen Fällen trivial: Ein vergessenes Werkzeug oder eine Schraube reichen aus, um einen folgenschweren Störlichtbogen in einer Schaltanlage auszulösen. Je nach installiertem Störlichtbogenschutz kann die Anlage in Teilen zerstört oder zumindest stark beschädigt werden. Die Instandsetzung dauert im schlimmsten Fall mehrere Wochen. Ein Zeitraum, in dem das Logistikzentrum nur eingeschränkt im Notbetrieb arbeiten kann.
Checkliste für den Ausbau eines Kompaktschranks
- Was ist mir bei der Sicherheit von meiner Schaltanlage besonders wichtig – Mitarbeiter schützen oder die Schaltanlage/den ‚Betrieb‘ schützen?
- Ist eine Gefährdungsbeurteilung für meine Schaltanlage durchgeführt worden, beziehungsweise kenne ich die Störlichtbogenenergie gemäß DGUV-I 203-077? Muss ich mit meiner Sicherheitsfachkraft sprechen?
- Wenn die Energie bekannt ist – können dann noch Personen durch eine handelsübliche Persönliche Schutzausrüstung gegen Störlichtbögen (PSAgS) geschützt werden oder muss ich dann besser eine ‚technische Lösung‘ einsetzen?
- Wird die Schaltanlage häufig von Mitarbeitenden frequentiert oder auch gewartet?
- Ist mir bekannt, dass nach dem Arbeitsschutzgesetz bei solchen Fragestellungen das TOP-Prinzip Anwendung findet: technische vor organisatorischen vor persönlichen Schutzmaßnahmen
- Ist die gesamte Stromversorgung meines Betriebs bei längerem Ausfall meiner Schaltanlage gefährdet? Laufe ich Gefahr, zum Beispiel über längere Zeit nicht mehr lieferfähig zu sein oder andere Anwendungen nicht mehr ausführen zu können?
- Steht meine Schaltanlage in zum Beispiel einem knapp bemessenen Raum und kann bei einem auftretenden Störlichtbogen dadurch eine Gefährdung der Gebäudestruktur entstehen?
- Falls meine Schaltanlage ausfällt, kann dadurch zum Beispiel mein Fertigungsprozess ‚außer Kontrolle‘ geraten und dadurch die Umwelt gefährden?
Doch was kann man tun, um solche Ausfälle zu vermeiden oder zumindest zeitlich zu beschränken? „Das ist die Frage, die viele Verantwortliche umtreibt“, weiß Jan Kretzschmar, der als Bereichsleiter Nieder-/Mittelspannung bei Elektro Vieweg die Energieversorgungen zweier Logistikzentren bei einem der größten Online-Versandhändler Deutschlands geplant hat.
Der Energiebedarf dieser Logistikzentren ist sehr hoch: Jeweils vier Niederspannungshauptverteilungen (NSHV), die über zwei getrennte Mittelspannungstransformatoren versorgt werden, stellen die elektrische Energie in den beiden Zentren zur Verfügung. Der Bemessungsstrom aller Anlagen zusammen beträgt 17 000 A. Eine der wesentlichen Anforderungen bei der Planung der NSHV war ein aktiver Störlichtbogenschutz der Klasse C.
Solche Anforderungen kommen auf Elektro Vieweg immer häufiger zu, wie Jan Kretzschmar berichtet: „Die Nachfrage nach Störlichtbogensicherheit steigt seit einigen Jahren stark an.“

Nachgefragt... bei Lutz Graumann, Global Account Manager Dehn SE
Der aktive Störlichtbogenschutz kann enorme Schäden in der Anlagentechnik verhindern und auch Personen vor Gefahren schützen. Was tun, wenn Schaltanlagenbauer hier Know-how aufbauen wollen, worauf ist zu achten?
TECHNIK+EINKAUF: Warum ist Störlichtbogenschutz ein so wichtiges Thema für Anlagenbauer und Betreiber?
Graumann: In praktisch allen Bereichen in Industriebetrieben, in denen sich Personen aufhalten, ist ein Personenschutz Pflicht. Diese Notwendigkeit ist in unserem Arbeitsschutzgesetz festgelegt. Dazu ist auf jeden Fall die gesetzlich vorgeschriebene Gefährdungsanalyse durchzuführen. Bei Niederspannungsschaltanlagen gibt es gleich mehrere mögliche Gefahren. Und eine davon ist der Störlichtbogen, der neben der Gefährdung des Personals auch erhebliche Sachschäden bis hin zu einem Brand verursachen kann.
Warum sind die Mehrkosten für einen Störlichtbogenschutz gerechtfertigt?
Wenn eine Anlage nach einem Störlichtbogenunfall repariert oder ersetzt werden muss, kann das leicht Wochen, wenn nicht sogar Monate dauern. Verschärft wird die Lage aktuell noch durch Lieferengpässe bei vielen Komponenten. Ein aktiver Störlichtbogenschutz, der je nach Schaltanlage Mehrkosten von etwa 10 bis 15 Prozent mit sich bringt, ist aus meiner Sicht in jedem Fall die beste Lösung.
Worauf sollte man bei der Planung der Störlichtbogensicherheit achten?
Zunächst einmal ist wichtig, dass die Kombination aus Schaltanlage und einem aktiven Störlichtbogenschutzsystem geprüft ist. Diese Prüfung hat Rittal für das VX25-Ri4Power-System in Kombination mit unserem DEHNshort beim IPH in Berlin erfolgreich durchführen lassen. Um das System einbauen zu können, ist zusätzlich eine Schulung notwendig, die Schaltanlagenbauer bei uns absolvieren. Wir schulen sehr umfangreich, denn das System funktioniert nur dann, wenn der Einbau fachgerecht durchgeführt und anschließend geprüft wurde. Mit all diesen Maßnahmen kann der Endkunde dann sicher sein, dass seine Schaltanlage tatsächlich die DIN VDE 0660-600-2-1 (IEC TS 63107) und einen Schutz gemäß DIN EN 61439-2 Beiblatt 1 Kategorie C erfüllt.
Wenn ein aktiver Störlichtbogenschutz, wie er in den Logistikzentren gefordert war, installiert ist, kann eine NSHV nach einem Störlichtbogenunfall schnell wieder in Betrieb gehen. Solche Anlagen hat Elektro Vieweg in den Logistikzentren mit dem VX25 Ri4Power System von Rittal realisiert. Bei der engen Zusammenarbeit mit Rittal zur Planung und Kalkulation der Anlage wurde die Störlichtbogenklasse C durch den Einbau eines DEHNshort-Systems erreicht. Eine Kombination aus optischen Sensoren und Stromwandlern kann einen auftretenden Störlichtbogen innerhalb sehr kurzer Zeit detektieren. Ein angeschlossenes, ultraschnelles Schaltgerät mit der Funktion eines Kurzschließers wird aktiviert und baut innerhalb von einer Millisekunde einen parallelen Strompfad mit geringerem Widerstand zum Lichtbogen auf.
Der Vorgang vom Erkennen bis zum Verlöschen des Lichtbogens dauert nur wenige Millisekunden. Der dabei entstehende Lichtbogen ist so gering, dass die Schaltanlage nach Beheben der Fehlerursache und Austausch der Löschgeräte sofort wieder einschaltbereit ist. Das DEHNshort-System kann über die Sensorik erkennen, in welchem Feld der Fehler aufgetreten ist. Es kann auch so installiert werden, dass die Schaltanlage in mehrere Schutzbereiche eingeteilt wird. So lässt sich der Fehler sehr schnell finden und umgehend beseitigen. Die Spannungsversorgung kann innerhalb kürzester Zeit wieder hergestellt und der Betrieb fortgesetzt werden.
Das Unternehmen: Rittal GmbH & Co. KG
Rittal ist ein weltweit führender Anbieter für Schaltschranksysteme, Automatisierung und Infrastruktur mit den Bereichen Industrie, IT, Energy & Power, Cooling und Service. Produkte und Lösungen von Rittal sind in über 90 Prozent der Branchen weltweit im Einsatz – standardisiert, kundenindividuell, in bester Qualität. Unser Ansatz: Mit der Kombination aus Hardware- und Softwarekompetenzen optimieren und digitalisieren Rittal, Rittal Software Systems (Eplan, Cideon und German Edge Cloud) und Rittal Automation Systems (RAS, Ehrt, Alfra) die Prozesse entlang der gesamten Wertschöpfungskette des Kunden, inklusive IT-Infrastruktur – vom Steuerungs- und Schaltanlagenbau über den Maschinenbau bis hin zu Fabrikbetreibern oder der Energiebranche.
Umfangreich geprüfte Lösung
Die Kombination von VX25 Ri4Power mit DEHNshort ist am Institut ‚Prüffeld für elektrische Hochleistungstechnik‘ (IPH) in Berlin geprüft worden. Neben der sicheren Störlichtbogenlöschung muss die Fehlauslösesicherheit des Systems gegenüber Schaltlichtbögen, die zum Beispiel von Leistungsschaltern bei der Abschaltung von Kurzschlussströmen emittiert werden, gegeben sein. Die Verbindungen zwischen der Schaltanlage und den Löschgeräten müssen nach Aktivierung den mechanischen Kräften des Stromes standhalten. All diese Anforderungen werden in Prüfungen gemäß DIN VDE 0660-600-2-1 (IEC TS 63107) nachgewiesen.
Die anschließende Bewertung der Prüfergebnisse erfolgt nach der DIN EN 61439-2 Beiblatt 1 und IEC TR 6164. „Dass wir die Schaltanlagen gemäß den Anforderungen so reibungslos umsetzen konnten, ist auch der guten Kooperation zwischen allen Partnern zu verdanken“, ist sich Jan Kretzschmar sicher. Neben der Zertifizierung der Kombination aus Ri4Power und DEHNshort hat dabei vor allem die umfassende Schulung bei Dehn eine wichtige Rolle gespielt. Inzwischen sind weitere ähnliche Anlagen für Logistikzentren in der Planung. „Und auch bei diesen werden wir auf die nun bewährte Technik zurückgreifen“, bestätigt der Bereichsleiter bei Elektro Vieweg.
Das bedeuten Störlichtbogenklasse A, B und C?
Ein Störlichtbogenunfall in einer Niederspannungsschaltanlage kann dramatische Auswirkungen haben: Wenn keine Vorkehrungen getroffen wurden, entstehen extreme Temperaturen von über 10 000 °C und hohe Drücke, die die Schaltanlage auf jeden Fall beschädigen oder sogar komplett zerstören. Auch Personen, die sich in der Nähe aufhalten, sind akut gefährdet. In der Norm DIN EN 61439-2 Beiblatt 1 sind für die Störlichtbogensicherheit verschiedene Klassen definiert.
In der Klasse A geht es ausschließlich um den Personenschutz. Personen dürfen nicht durch die hohen Temperaturen des Lichtbogens gefährdet werden. Weiterhin dürfen die entstehenden hohen Drücke nicht dazu führen, dass Teile der Schaltschränke unkontrolliert weggeschleudert werden und damit gefährden.
Erreicht wird dies in der Regel durch Komponenten zur Druckentlastung, die den entstehenden Druck gezielt nach oben ableiten. In der Klasse B wird zusätzlich gefordert, dass der Störlichtbogen auf einen Teil der Schaltanlage beschränkt bleibt. Die Anlage wird dadurch zwar beschädigt, aber nicht vollständig zerstört.
In der höchsten Klasse C wird der Störlichtbogen durch eine geeignete Konstruktion auf den Entstehungsort begrenzt oder wie in diesem Fall durch eine geeignete Vorrichtung gelöscht, bevor er Schaden anrichten kann. Die Schaltanlage ist in diesem Fall wieder betriebsbereit, sobald der Fehler, der den Störlichtbogen ausgelöst hat, behoben ist und die Kurzschließer getauscht wurden.
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