
Muss ein ERP-System in die Cloud? Nicht unbedingt, sagt die Expertin von Rimini Street. (Bild: Kanisorn - stock.adobe.com)
Führungskräfte stehen unter ständigem Druck, die Abläufe in ihren Unternehmen zu optimieren, die Produktivität zu steigern und Innovationen voranzutreiben. Um den steigenden Anforderungen in puncto Nachhaltigkeit und Kosteneffizienz gerecht zu werden, ist der produzierende Sektor laut Forrester insbesondere auf Smart-Factory-Technologien angewiesen. ERP-Systeme spielen bei der Modernisierung der Produktion eine entscheidende Rolle. Deren Migration in die Cloud ist aber nicht unbedingt der richtige Weg – auch wenn SAP diesen massiv forciert.
Als Eckpfeiler der Industrie 4.0 versprechen Smart Factories durchgängige Prozesse und eine beschleunigte Produktion sowie Vorteile für Entwicklung, Logistik, Lieferketten und Planung. Alle diese Vorteile hängen wiederum von Enterprise Resource Planning (ERP) ab.
Im Laufe der Zeit haben Fertigungsunternehmen ihre ERP-Systeme umfassend angepasst, damit sie den individuellen Geschäftsanforderungen gerecht werden und reibungslos mit anderen Anwendungen zusammenarbeiten. Der Aufbau einer Smart Factory lässt sich nur durch Modernisierung und Automatisierung dieser Systeme erreichen. Das soll aber nicht heißen, dass Unternehmen dafür ihr ERP mitsamt den bewährten Anpassungen und Integrationen komplett über Bord werfen müssten.
Erzwungene Migration in die Cloud: RISE akzeptieren oder auf der Strecke bleiben?
Anscheinend drängen einige ERP-Anbieter ihre On-Premises-Kunden zu einer SaaS-Migration, indem sie ihnen neue Funktionen für KI und Nachhaltigkeit in Aussicht stellen. SAP beispielsweise forciert sein RISE-with-SAP-Programm, eine Migrationskampagne nach dem Prinzip „Zuckerbrot und Peitsche“, damit SAP-ECC-Kunden (und solche, die bereits auf On-Premises S/4HANA migriert haben) zu Cloud-basiertem S/4HANA wechseln, das auf von SAP verwalteten Hyperscaler-Infrastrukturen ausgeführt wird.
Eine Kostenlawine
Diese Strategie, Kunden zu einem Abonnement zu drängen, sichert den Anbietern wiederkehrende Einnahmen und mehr Kontrolle über Versions-Upgrades. Aus Sicht des Kunden gefährdet der Umstieg jedoch die für den Betrieb wichtigen Anpassungen und Integrationen. Die meisten Anwender wissen aus Erfahrung, dass solche Migrationsprojekte mit einem Komplettaustausch der Systeme umfangreich, komplex und mit Risiken verbunden sind, also unter Umständen Millionen von Euros kosten. Außerdem dauern sie oft länger als erwartet, und sie unterbrechen häufig bestehende, gut angepasste Prozesse. Kurz gesagt: Eine Cloud-Migration ist keineswegs automatisch sinnvoll.
Zudem entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, dass insbesondere in der hier betroffenen Fertigungsindustrie umfangreiche Anpassungen eher die Regel als die Ausnahme sind. SAP hingegen will seine Kunden davon überzeugen, ihre ERP-Systeme auf einen „sauberen Kern“ zu reduzieren, der sich auf die Cloud-konforme Standardisierung des Systems, also nicht auf Anpassungen konzentriert.
Die meisten Fertigungsunternehmen werden höchstwahrscheinlich nicht über die notwendigen Mitarbeiter und Fähigkeiten verfügen, die für eine solche „Bereinigung“ erforderlich wären. Für die Neuprogrammierung, den Ersatz oder die Abschaffung einzelner Anpassungen müssten mit hoher Wahrscheinlichkeit teure Beratungsleistungen in Anspruch genommen werden – ohne dass sich die daraus resultierenden Modernisierung positiv auf das Geschäftsergebnis auswirken würde.
Bessere Wege zur Finanzierung von Innovationen
Effizienzsteigerung, Kostenersparnis und Zukunftsfähigkeit sind wichtige Prioritäten für Unternehmen in Deutschland, wie aus einer Umfrage des IT-Beratungsunternehmens Adesso hervorgeht. Von den Befragten gaben nur 33 Prozent an, dass Implementierungskosten ein Hindernis für die Einführung intelligenter Automatisierung darstellen. Dennoch sind Investitionen in vielen Unternehmen Mangelware. Die Zuweisung erheblicher finanzieller Mittel für unnötige ERP-Migrationen und Umstellungen auf neue Plattformen wird sich voraussichtlich als weiterer Bremsklotz erweisen.
Vorschlag zum Umdenken
Unternehmen sollten umdenken: ERP-Systeme sind absolut unternehmenskritisch, aber nicht strategisch. Upgrades und Migrationen können selten den Wettbewerbsvorteil oder das Umsatzwachstum steigern. Vielmehr sind sie eher störend, riskant und fast immer teuer. Aber es gibt einen besseren Weg, die Fertigung zu modernisieren – ohne eine kostspielige, unzureichend erprobte ERP-Migration.
Vorteile externen Supports
Viele Unternehmen haben bereits herausgefunden, dass sie ihre Innovationsinitiativen finanzieren können, indem sie sich von dem kostspieligen Support durch den Anbieter verabschieden und unnötige, erzwungene Upgrades vermeiden. Stattdessen entscheiden sie sich für eine umfassende externe Support-Lösungen. Dadurch können sie die Lebensdauer ihrer bestehenden Unternehmenssoftware sicher verlängern und den größtmöglichen Nutzen daraus ziehen. Ihr Kern-ERP bleibt stabil, während sie flexibel Cloud-Anwendungen und -Plattformen ihrer Wahl nutzen können. Damit setzen sie Ressourcen für Innovationen frei.
Fazit: Strategische Entscheidungen führen nicht zwangsläufig in die Cloud
Um eine Smart Factory erfolgreich aufbauen und betreiben zu können, müssen Führungskräfte wirtschaftlich sinnvolle IT-Entscheidungen treffen. Wie sich häufig herausstellt, ist die Cloud für individualisierte ERP-Lösungen nur eine der möglichen Optionen – und meist nicht die beste.
Vor einer Entscheidung sollte eine gründliche Analyse der bestehenden ERP-Lösungen stehen. Dabei ist vor allem zu hinterfragen, wie vorhandene Anpassungen in einer Cloud-Lösung technisch abgebildet werden können. Auch die zugehörigen Kostenrisiken sind zu prüfen. Kurzfristig fallen Kosten für die Planung und Durchführung der Migration sowie für notwendige Anpassungen und Schulungen der Mitarbeiter an. Langfristig müssen die Betriebskosten der Cloud-Lösung, wie Abonnements und laufende Wartungskosten, gegen die mögliche Einsparungen durch den Wegfall von On-Premise-Infrastrukturen abgewogen werden. Auch die Kosten für den Support dürfen nicht unterschätzt werden.
Erst eine umfassende Kosten-Nutzen-Analyse schafft Klarheit, ob die Migration in die Cloud nicht nur vom Anbieter gewünscht, sondern auch für den Kunden wirtschaftlich sinnvoll ist. Oft ist genau das Gegenteil der Fall und ein professionell organisierter Weiterbetrieb der bewährten Lösung die bessere Wahl.
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