LkW und Paletten von Säcken im Hintergrund mit einer Weltkarte inklusive Verknüpfungen der Kontinente im Vordergrund

Die Umsetzung des Lieferkettengesetzes funktioniert Schritt für Schritt. (Bild: kamonrat - stock.adobe.com)

Die Einführung des Lieferkettengesetzes stellt Einkäufer und Manager vor konkrete Fragen: Wie viel müssen sie leisten, um den Anforderungen des Lieferkettengesetzes gerecht zu werden? Und wie genau lassen sich die Vorgaben des Gesetzes in der Realität umsetzen?

Um die Konsequenzen für Unternehmen besser einschätzen zu können hat TECHNIK+EINKAUF mit zwei Experten gesprochen. Tanja Reilly ist Senior Business Development Managerin bei EcoVadis – einem Anbieter für universelle Nachhaltigkeitsrankings. Jan-Hendrik Sohn ist Regional Manager DACH & CEE bei Ivalua – einer Beschaffungsplattform für Einkäufer.

 

Komplexe Lieferketten erschweren die Risikoanalyse

In der eigentlichen Umsetzung des Lieferkettengesetzes sehen Reilly und Sohn weniger Probleme. Vielmehr stünden sich Unternehmen häufig selber im Weg, da sie aus lauter Panik in eine Art Schockstarre fallen. „Unternehmen wissen, dass es da ist, haben sich aber inhaltlich noch gar nicht so intensiv damit auseinandergesetzt und verfallen daher in Panik, weil sie nicht wissen, was sie machen sollen“, erklärt Reilly.

Dabei seien die Forderungen des Lieferkettengesetzes gar nicht so anspruchsvoll, sofern man über die entsprechenden technischen Ressourcen verfügt. Denn im Mittelpunkt des Lieferkettengesetzes stehe zunächst einmal eine Gesamtrisikobetrachtung.

Die größte Hürde hierbei liege in der Komplexität der Lieferketten. Denn die Komplexität habe in den letzten Jahren erheblich zugenommen: „Historisch ist es so: Früher gab es Jahresgespräche mit dem Lieferanten. Dann hat man angefangen, über Sourcing-Lösungen Fragenkataloge zu verschicken und Daten anzufordern. Heute werden diese Informationen durch externe Daten ergänzt und liefern so ein vollständiges Bild über die Lieferanten“, so Sohn.

Reilly ergänzt: „Heutzutage sind Lieferketten sehr komplex, dadurch ist es schwierig und extrem aufwändig, in Bezug auf die Nachhaltigkeitsleistung manuell zu skalieren und branchen- und länderspezifische Anforderungen einzubeziehen.“

So ließe sich ein Fragebogen für maximal 50 bis 60 Lieferanten managen, spätestens dann seien die internen Kapazitäten jedoch erschöpft. Zudem erhalte man die Antworten der Stakeholder nicht in Echtzeit. „Unternehmen brauchen technologische Lösungen, um skalieren zu können und verlässliche Daten zu erhalten, die Benchmark-fähig sind“, schlussfolgert Reilly.

 

Nicht jedes Risiko ist relevant

An technischen Lösungen mangele es bis dato nicht. Denn „es gründen sich aktuell viele Start-ups, die sich um Themen wie Carbon Footprint oder Arbeitsbedingungen kümmern – also sehr spezialisierte Anbieter“, erklärt Sohn.

„So erhalte ich von unterschiedlichen Anbietern verschiedenartige Informationen: Die einen schauen auf Nachhaltigkeit - so wie EcoVadis -, andere auf Umweltrisiken und wieder andere auf geopolitische Risiken. Nun habe ich all diese Informationen, die aus unterschiedlichen Kanälen einfließen und muss sie noch bewerten. Ivalua dient hier als Daten-Hub, um Risikodaten aus verschiedenen Quellen zu sammeln und daraus eine Gesamtbewertung abzuleiten und nachweisbar fundierte Entscheidungen zu treffen“, fährt der Experte fort.

Denn natürlich habe nicht jedes ermittelte Risiko automatisch einen Berührungspunkt mit der eigenen Lieferkette. „Der Einkauf muss sich daher seine Warengruppen anschauen und sich einen Überblick verschaffen, wo welche Produkte und Dienstleistungen bezogen werden. Diese Informationen müssen mit allen Risikobereichen, die im Lieferkettengesetz verankert sind, in Beziehung gesetzt werden – also mit Risiken in den Bereichen Umwelt und Menschenrechte. Um die Beschaffungsdaten mit entsprechenden Risikoinformationen zusammenzubringen und Beschaffungsprozesse sinnvoll steuern zu können, benötigt der Einkauf technische Lösungen und entsprechendes Know-how", ergänzt Reilly.

So gehe es für Unternehmen am Ende des Tages vor allem darum, ein Risikomanagementsystem aufzusetzen – das fordere, laut Reilly, auch das Lieferkettengesetz. Denn Risiken gebe es in vielerlei Hinsichten.

Um diese im Blick zu behalten und entsprechende Entscheidungen treffen zu können, müsse der Einkauf alle Daten über ein Zentralsystem bündeln und verwalten können. „Der Einkauf muss in der Lage sein zu deuten, was es für das Unternehmen aus der Risikoperspektive bedeutet, wenn Waren aus einzelnen Kategorien und Ländern beschafft werden”, erklärt die Nachhaltigkeitsexpertin.

 

Lieferkettengesetz sieht kein „Gegeneinander“ vor

Was bedeutet es nun aber für ein Unternehmen, wenn es im Rahmen des Risikomanagements Missstände in seiner Lieferkette identifiziert? Muss es sich sofort von diesen Lieferanten trennen?

Tanja Reilly gibt Entwarnung: „Wenn Missstände aufgedeckt werden, heißt das für ein Unternehmen nicht, dass es sofort alle Beziehungen abbrechen und sich neue Partner suchen muss. Es geht zunächst darum, einen Ist-Zustand zu beschreiben, einen Überblick zu erhalten und präventive Maßnahmen aufzusetzen. Werden Missstände oder auch potenziell hohe Risiken für deren Auftreten identifiziert, besteht akuter Handlungsbedarf – und es sind unverzüglich Abhilfemaßnahmen einzuleiten. Das Lieferkettengesetz verlangt also nicht, dass Unternehmen aufgrund eines Standort- oder Länderrisikos unverzüglich die Geschäftsbeziehungen mit den betreffenden Lieferanten beenden müssten. Vielmehr geht es darum, mit Partnern besser zusammenzuarbeiten und Maßnahmenpläne zu entwickeln, um die erkannten Risiken gemeinsam zu beseitigen.”

Hierbei müsse natürlich auch beachtet werden, dass ein Unternehmen nicht auf jeden seiner Lieferanten gleichermaßen einen Einfluss habe.

„Wenn ich mit einem Lieferanten nur wenig Umsatz mache, dann ist mein Einfluss als Einkaufsorganisation und meine Hebelwirkung auf die Implementierung von Nachhaltigkeitsstandards im Lieferantenbetrieb unter Umständen geringer, als wenn ich Aufträge in Millionenhöhe vergebe. Das heißt, das Prinzip der Angemessenheit muss gewahrt werden: Wo habe ich welchen Einfluss und wie kann dieser genutzt werden, um positive Veränderungen zu erzielen und Risiken zu minimieren?“, erklärt Reilly.

Sind in China die Lieferketten nicht so optimal, bedeute das nicht, dass sich jedes Unternehmen sofort aus dem chinesischen Markt zurückziehen müsse. „Das Gesetz fordert erstmal nur dazu auf zu sagen ‚ihr müsst starten, ihr braucht eine Transparenz. Wo sind Risiken? Ihr müsst versuchen sie zu adressieren und präventive Maßnahmen einzuleiten. Darüber hätten wir dann auch gerne einen Bericht‘“, fährt Reilly fort. Eine Bestandsaufnahme der Sub-Lieferanten sehe das Gesetz im ersten Schritt nicht vor.

 

Jeder so wie er kann: Großkonzern vs. Mittelständler

Grundsätzlich sei es jedoch nicht nur das Lieferkettengesetz, das Produzenten und Lieferanten zum Handeln fordere. Die Expert:innen sind überzeugt: Auch ohne das Lieferkettengesetz sind Unternehmen gezwungen umzudenken. Denn Themen wie Nachhaltigkeit und faires Handeln spielen im Markt schon seit einigen Jahren eine Rolle. D

ie entsprechenden Daten werden sogar schon in Verhandlungen genutzt, wie Sohn veranschaulicht: „Heute kann ich sagen ‚dein Status beim Thema Arbeitsbedingungen ist schlecht, dann gebe ich dir Zeit bis dann und dann das Ganze zu verbessern. Aber bis du das nicht verbessert hast, kann ich dir deine Preise nicht bezahlen.‘“

Reilly ergänzt: „Investoren, Stakeholder, Mitarbeiter*innen, Konsument*innen und die Gesetzgeber weltweit haben das Thema Nachhaltigkeit im Fokus. Das heißt, der Druck, sich als Unternehmen in diese Richtung zu bewegen, ist da und verstärkt sich, wie die Entwicklungen um das Lieferkettengesetz zeigen.”

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Nun ist ein kleiner Stahlhersteller jedoch nicht mit einem Großkonzern zu vergleichen. Stellt sich die Frage, wie sich das Lieferkettengesetz für ihn auswirkt. So werde von kleinen Unternehmen nicht erwartet, dass sie umgehend alle Risikofaktoren in ihrer Lieferkette eliminieren. Wichtig sei vor allem, dass Unternehmen bereit seien, sich weiterzuentwickeln.

„Wenn ein Unternehmen über Jahre hinweg Änderungen verweigert, wird es früher oder später auf das Gesetz des Marktes treffen, nicht mehr konkurrenzfähig sein und über kurz oder lang aufhören zu existieren. Wenn wir jetzt aber bei den kleinen oder mittleren Unternehmen bleiben - die kleinen sind ja oft Sub-Lieferanten -, müssen sich diese aus meiner Sicht erstmal keine Sorgen machen. Von denen wird vorerst nur verlangt, dass sie an solchen Rankings - wie beispielsweise dem Nachhaltigkeitsranking von EcoVadis - teilnehmen, sodass sie bewertet werden können. Für sie ist es dadurch sehr einfach aufzuzeigen, was sie im Bereich Nachhaltigkeit alles tun“, erklärt Sohn.

Summa summarum: Was ist wichtig?

Um den Anforderungen des Lieferkettengesetzes gerecht zu werden, müssen Unternehmen drei Schritte durchführen:

  1. Risiken identifizieren
  2. Risiken priorisieren
  3. Missstände behandeln

Die Herausforderung besteht darin, Risiken möglichst schnell zu identifizieren und bewerten zu können. Denn unsere Welt wird immer datengetriebener und Entscheidungen müssen immer schneller erfolgen.

Grundvoraussetzung hierfür ist die Implementierung einer Technologie, „die mir zu richtigen Zeit die richtigen Daten in der richtigen Qualität anliefert und die richtigen Alarme setzt“, erklärt Sohn. „Zu erkennen, wie wichtig ein Alert für mich ist, ist eine hohe Kunst. Denn das kann ich auf einem rein manuellen Weg gar nicht leisten. Außerdem muss ich diesen einen Alarm in Zusammenhang zu anderen Risikothemen setzen und darauf basierend entscheiden, wie ich mit dem Lieferanten weiter vorgehe. Dafür brauche ich eine Lösung, die aus diesen vielen Informationen automatisiert Handlungen ableitet – und genau das leistet Ivalua“, fährt Sohn fort. „

„So kann zum Beispiel festgelegt werden, dass ein Order-Blocking ausgelöst wird, wenn der Menschenrechtsscore unter 30 liegt. Das heißt, das Risiko wird als zu groß eingestuft, der Einkauf kann keine Bestellung auslösen und muss intern Rücksprache mit Vorgesetzten oder internen Kontrollinstanzen halten“, ergänzt Reilly. 

Am Ende des Tages muss jedes Unternehmen selbst entscheiden, ob es in etwaige Weiterentwicklungsprojekte investieren möchte. Reilly ist ebenso wie Sohn überzeugt, dass alle Unternehmen, die sich nicht weiterentwickeln möchten, einen wirtschaftlichen Nachteil erleiden könnten und jene, die in ihre Weiterentwicklung investieren, präferierte Supplier werden.

Vor allem für den Mittelstand gehe es darum, die zentralen Sinnfragen zu klären: Wo wollen wir als Unternehmen hin? Wo wollen wir in fünf Jahren stehen? Was wollen wir verkaufen? In welche Märkte wollen wir? Hierzu müsse sich jedes Unternehmen seine eigenen Gedanken zu machen. Für Reilly ist klar: „Die Unternehmen, die in Bezug auf Nachhaltigkeit untätig bleiben, werden sich selbst ins Abseits stellen. Vielleicht nicht heute und morgen, aber im Laufe der Zeit.“ 

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