
Einkäufer in der Industrie verzweifeln oft am "Einkaufserlebnis". Was können produzierende Unternehmen besser machen, damit Kunden wiederkommen? (Bild: TommyStockProject - stock.adobe.com)
Ein positives Einkaufserlebnis, die so genannte Business Experience (BX), ist für produzierende Unternehmen erfolgskritisch. Umständliche Prozesse und veraltete Tools frustrieren Kunden und gefährden das Wachstum. Accenture analysiert basierend auf einer Befragung die Herausforderungen im B2B-Einkauf und präsentiert Lösungsansätze für ein modernes BX-Design.
Die Frustration der Einkäufer
Einkäufer im produzierenden Gewerbe berichten häufig von Ineffizienzen im B2B-Einkauf. Veraltete Online-Konfiguratoren, unzureichende Produktdatenblätter und langwierige Kommunikationswege per E-Mail oder Telefon verursachen Verzögerungen und erhöhen den Aufwand bei der Produktbeschaffung. Die Suche nach dem richtigen Ansprechpartner und verlässlichen Informationen gestaltet sich oft mühsam.
Ein typisches Szenario: Ein Qualitätsmanager benötigt dringend eine spezielle Komponente für ein laufendes Projekt. Seine Einkaufserfahrung fällt ernüchternd aus: „Die Informationsbeschaffung ist schwierig. Mir fehlt oft der direkte Kontakt zu den Verantwortlichen, was zu Fehlern und falschen Antworten führt, die oft erst spät erkannt werden, wenn Änderungen kaum noch möglich sind.“
Dieses Beispiel aus der Praxis steht nicht allein. Eine Umfrage von Accenture identifizierte über 1.600 Schmerzpunkte entlang der Customer Journey in Einkauf und Service, oft verursacht durch Verzögerungen, veraltete Informationen und mangelnde Transparenz. Im Rahmen der Erhebung haben die Berater Gespräche mit Einkaufsverantwortlichen aus Unternehmen in Deutschland, den USA und China geführt. Dabei stellte sich heraus, dass die Probleme überall dieselben sind.
Häufige Ursache ist bei deutschen Unternehmen die IT-Infrastruktur. Veraltete, isolierte und nicht verbundene Systeme erschweren die Digitalisierung und damit eine Verbesserung des Kundenerlebnisses. Zwar haben die meisten produzierenden Unternehmen hier Initiativen gestartet. Oft sind diese aber auf einzelne Schmerzpunkte gerichtet oder sind dadurch getrieben, dass Systeme ersetzt werden müssen. In diesem Zusammenhang kritisiert ein weiterer Befragter die mangelnde Systemintegration: „Die fehlende Integration erschwert es Lieferanten, ihr Dienstleistungsportfolio zu erweitern. Sie benötigen das Know-how für die Interaktion mit Manufacturing Execution-Systemen (MES) ohne Drittanbieter. Werkzeugmaschinenhersteller sollten hier dringend nachbessern.“
Zwei Kaufprozesse, zwei Herausforderungssets
Geschäftskunden in der Fertigungsindustrie folgen typischerweise zwei unterschiedlichen Kaufprozessen: der Beschaffung von standardisierten Produkten wie beispielsweise Ventilen, Aktoren oder Elektromotoren oder dem Kauf von komplexen Lösungen, etwa einer Metallpresse inklusive Wartungspaket. Jeder dieser beiden Prozesse birgt seine eigenen spezifischen Herausforderungen.
Für Käufer von Standardprodukten konzentrieren sich die Schwierigkeiten auf drei Kernbereiche: Produktvergleich und -auswahl (23 Prozent der Probleme), Lieferung und Installation (21 Prozent) sowie After-Sales-Service (20 %). Besonders kritisiert werden dabei mangelnde Zuverlässigkeit (35 Prozent) und Unannehmlichkeiten (30 Prozent) im Umgang mit den Lieferanten.
Ein Befragter beschreibt anhand einer persönlichen Erfahrung, wie wichtig es ist, Kundenerwartungen zu erfüllen oder sogar zu übertreffen – selbst bei scheinbar unwichtigen Dingen: „Ich lud Datenblätter von der Website eines großen globalen Anbieters herunter, nur um festzustellen, dass die Daten zwei Revisionen alt waren. Also musste ich mich direkt an das Unternehmen wenden, um die korrekten Informationen zu erhalten.“
Wer komplexe Lösungen erwirbt, rechnet grundsätzlich mit einem höheren Aufwand und mehr Herausforderungen. Der Hauptkritikpunkt liegt hier klar beim After-Sales-Service, der für 31 Prozent aller Probleme verantwortlich ist. Auch die Qualität der Serviceleistungen (27 Prozent) und die Zuverlässigkeit der Anbieter (21Prozent) stehen im Fokus der Kritik seitens der Käufer.
Die sechs Eckpfeiler einer herausragenden BX
Eine effektive Strategie zur Verbesserung des Produktkaufprozesses konzentriert sich auf Käufer in funktionalen Rollen, da sie die meisten Probleme (45 Prozent) melden, was angesichts ihrer Aufgabe, ganze Produktionslinien zu überwachen, Produktivität und Effizienz von Betriebsanlagen zu maximieren und gleichzeitig Kosten zu minimieren, nicht erstaunt. Ihre Einkaufserfahrung zu verbessern hätte erhebliche positive Auswirkungen.
Sechs Faktoren für eine herausragende Business Experience (BX) sind identifiziert: Zuverlässigkeit, Qualität, Komfort, Transparenz, Reaktionsfähigkeit und Proaktivität. Ihre Bedeutung variiert je nach Käuferrolle. Zum Beispiel ist Komfort für Mitarbeiter wichtig, die oft mit Lieferanten interagieren, während Qualität für Käufer in der Qualitätskontrolle Priorität hat.
Zuverlässigkeit und Qualität sind zentral für eine gute Geschäftserfahrung. Sie signalisieren die Vertrauenswürdigkeit des Lieferanten und stehen für Produktexzellenz, Langlebigkeit, Leistungsfähigkeit und Kundenzufriedenheit.
Komfort und Transparenz sind wichtig in der Kundenbeziehung. Sie ermöglichen einfache Interaktionen mit dem Lieferanten und schaffen durch Transparenz über Produkte, Leistungen, Preise und Risiken Vertrauen.
Nicht zu unterschätzen sind Reaktionsfähigkeit und Proaktivität. Sie beziehen sich auf die schnelle und effiziente Reaktion des Lieferanten auf Kundenanfragen und das proaktive Anbieten von Lösungen, bevor der Kunde danach fragt.
Technologie und Empathie: Der Schlüssel zu einer optimalen Customer Experience
Ein optimales Einkaufserlebnis im B2B-Bereich erfordert das intelligente Zusammenspiel von Technologie und Empathie. Hersteller sollten folgende Maßnahmen in Betracht ziehen:
- Kunden verstehen: Technologieinvestitionen müssen sich an den Bedürfnissen der Kunden orientieren, nicht an internen Verkäuferprozessen. Best-Practice-Beispiele wie beim Elektrotechnik-Konzern Schneider Electric zeigen, wie Kundenfeedback systematisch erfasst und zur Optimierung der Customer Experience genutzt werden kann. Besonders wichtig ist die Adressierung der spezifischen Pain Points der jeweiligen Käufergruppe (Produkt vs. Lösung). Das Unternehmen nutzt regelmäßig Kundenumfragen, Net Satisfaction Scores und Sentimentanalysen, um Trends zu verstehen und zukünftige Verbesserungen voranzutreiben. Und der Reifenhersteller Bridgestone hat beispielsweise eine skalierbare Plattform entwickelt, die den unternehmensweiten Zugriff auf und die Nutzung vertrauenswürdiger Daten ermöglicht. Diese zentrale Datenplattform (CDP) bildet das Herzstück von Bridgestones datengetriebener Strategie zur Optimierung von Kundenerlebnis und Betriebsabläufen.
- Komplexität reduzieren: Umständliche Registrierungsprozesse und zu viele anbieterspezifische Lösungen frustrieren Kunden. Hersteller sollten den Aufwand minimieren und kundenfreundlichere Alternativen bieten. Der Mehrwert muss den Aufwand rechtfertigen.
- KI nutzen: Such-, Freigabe- und Anfragefunktionen bieten Optimierungspotenzial. KI-Lösungen wie Chatbots und Empfehlungsmaschinen steigern die Benutzerfreundlichkeit und liefern wertvolle Kundeneinblicke.
- Mitarbeiter befähigen: Qualifizierte Mitarbeiter sind für starke Kundenbeziehungen essenziell. Klare Erwartungen, Prozesswissen, Schulungen und Datenzugriff sind wichtig. Standard Operating Procedures (SOPs), Checklisten und Skripte unterstützen den Kundenkontakt. Feedbackschleifen helfen bei der Identifizierung von Optimierungspotenzialen.
Ein exzellentes, technologie- und empathiebasiertes Einkaufserlebnis schafft Wettbewerbsvorteile. Erfolgreiche Unternehmen übertreffen Kundenerwartungen, indem sie die Herausforderungen von Produkt- und Lösungskäufern verstehen und adressieren.
Einer der befragten Einkäufer bringt es auf den Punkt: „Dienstleistungen und Lösungen waren in unserem Unternehmen anfangs zweitrangig, entwickelten sich aber mit der Zeit zu einer zentralen strategischen Säule. Denn schließlich ist es der Service, der die zweite Maschine verkauft.“
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