Sören Daniels (Einkaufsleiter) und Jörg Maier von Voith Turbo.

Sören Daniels (Einkaufsleiter) und Jörg Maier (Engineering) von Voith Turbo. (Bild: Ruediger J. Vogel)

TECHNIK+EINKAUF: Herr Daniels, Sie verantworten den Einkauf für Voith Turbo. Wie ist die Beschaffung global aufgestellt?

Sören Daniels: Der strategische Einkauf ist entlang der Divisionen Rail & Marine, Commercial Vehicles und  Industry organisiert. Dazu kommt der regionale Einkauf für die Werke in China, Indien, USA, Brasilien und Europa. An der Schnittstelle zur Produktentwicklung haben wir einen Projekteinkauf. Die Projekteinkäufer sind in allen Projekten dabei, überprüfen, ob die in den technischen Spezifikationen definierten Ideen und Vorgaben realisierbar sind und sondieren gemeinsam mit dem strategischen Einkauf den Markt.

Herr Maier, Sie leiten für Voith Turbo Engineering und Testing.

Jörg Maier: Exakt. Wir entwickeln und begleiten die Serienprodukte bis zu ihrem Lebens­ende, kümmern uns also um die Neuentwicklungen, aber auch um Produktpflege, Nachfolgeprodukte und Ersatzteilpflege. Zusätzlich führen wir alle Versuche zur Qualifizierung durch.

Wie managen Sie als Tier-1 die Mobilitätswende?

Maier: Im Nutzfahrzeugmarkt erleben wir einen starken Wandel zur Elektromobilität, aber auch zu Wasserstoff-Verbrennern und Brennstoffzellenfahrzeugen. Aktuell ist noch nicht klar, in welchem Umfang welche Technologie eingesetzt wird. Auch in den Geschwindigkeiten und Märkten gibt es große Unterschiede. Wir dürfen nicht nur nach Europa schauen. In Asien, Nord- und Südamerika geht man zum Teil völlig andere Wege und plant zum Beispiel deutlich länger mit Dieselverbrennern.

(Bild: Ruediger J. Vogel)

Vita Jörg Maier

Der Maschinenbauingenieur  Jörg Maier ist seit 2009 für Voith Turbo tätig, ­zunächst im Geschäftsbereich Marine als Konstruktionsleiter für den Voith-Schneider-Propeller (VSP). Seit 2024 leitet er als Senior Vice President Engineering den Entwicklungsbereich von Voith Turbo Commercial Vehicles gesamt.

Wie sieht die Situation für die Beschaffung aus?

Daniels: Durch die Energie-, Material- und Rohstoffkrise hatten wir massive Herausforderungen in der Supply Chain. Seit 2023 können wir wieder gegen fallende Preise agieren. Außerdem sehen wir am Markt wieder frei werdende Kapazitäten, sodass wir auf Fluktuationen und Volumenentwicklung – aus den Märkten und kundenseitig – besser reagieren können. Grundsätzlich sind wir an langfristigen Abkommen mit Lieferanten interessiert und setzen auf eine enge Anbindung in den Regionen.

Welche Folgen hat die Parallelität von Elektro, Brennstoffzelle, Diesel- und Wasserstoff-Technik?

Daniels: Das ist schon ein Spannungsfeld. Unsere strategischen Einkäufer haben ein hervorragendes Wissen in Schmiede- und Gussteilen, in der klassischen Maschinenverarbeitung und sind in den letzten Jahren stark in die Elektromobilität eingestiegen. Bei Elektromotoren, Steuergeräten, Chips und Mikroprozessoren sind wir komplett durch die Engpässe durchgelaufen und haben sehr schnell lernen müssen, wie die Märkte agieren. Wir haben Fachkräfte aufgebaut und viel investiert, sodass wir heute auch im internationalen Umfeld gut aufgestellt sind.

Maier: Durch den Technologiewandel stellt sich die Frage, wie lange wir Produkte am Leben halten. Einerseits reduzieren sich in den klassischen Anwendungen die Stückzahlen. Andererseits bestehen gegenüber OEM langfristige Lieferverpflichtungen. Im Fall von Abkündigungen unserer Unterlieferanten müssen wir beispielsweise die Entwicklung von Alternativen gegenüber einer Endbevorratung abwägen. Üblicherweise haben wir über 15 Jahre die Pflicht zur Ersatzteilversorgung. Wir müssen also die Wirtschaftlichkeit betrachten, die verbleibenden Marktchancen und das Know-how, das wir in der Entwicklung vorhalten müssen.

Sören Daniels
(Bild: Ruediger J. Vogel)

Vita Sören Daniels

Der Wirtschaftsingenieur Sören Daniels startete seine berufliche Karriere bei Porsche Consulting. Nach Führungspositionen in Einkauf und SCM beim Windturbinenhersteller Vestas leitet er seit 2016 als Senior Vice President Procurement den globalen Einkauf von Voith Turbo.

Was bedeutet es, wenn Verträge mit Kunden und Lieferanten langfristig sind, die Bedarfe kurzfristig aber stark schwanken?

Daniels: Sowohl die kurzfristigen Bedarfsschwankungen als auch jene, die kundenseitig über die Entwicklung eingesteuert werden, haben zugenommen. Für eine solche Situation gibt es keine Blaupause. Wir kommunizieren eng und passen unsere Forecasts unmittelbar an. Damit können unsere Partner arbeiten und Ihre Puffer in der Supply Chain entsprechend anpassen. Wir haben zum Beispiel für alle kritischen Bauteilumfänge unsere Logistikvereinbarung überarbeitet und für die betreffenden Lieferanten einen strategischen Executive S&OP ergänzend zu unserem EDI-Forecast-Prozess implementiert.

Die nächste Herausforderung ist die Dekarbonisierung. Wo stehen Sie beim Scope 3?

Maier: Voith hat sich mit dem Beitritt zur Science-Based-Target-Initiative entschieden, seinen Klimagas-Fußabdruck wissenschaftsbasiert zu ermitteln. Im Engineering tragen wir unseren Teil über die Auswahl der Werkstoffe bei und wir optimieren den CO2-Fußabdruck im Betrieb: über Hybridtechnologien, vollelektrische Produkte, aber auch für ein klassisches Produkt wie den Retarder über die Reduzierung der Leerlaufleistung oder des Schleppverlustes.

Können Sie bereits Product Carbon Footprints errechnen?

Maier: Wir haben alle Daten vorliegen. Die Kunden fragen diese Informationen zunehmend ab. Im Automobilumfeld werden sie zu einem weiteren Vergabekriterium werden.

Welche Klimadaten fordern Sie von Lieferanten?

Daniels: Wir sind als Unternehmen nur aussagefähig, wenn wir für die gesamte Supply Chain Transparenz haben. Unsere energieintensiven Materialgruppen sind Guss- und Schmiedeteil. Hier schauen wir uns intensiv an, inwieweit Lieferanten in energieeinsparende Maßnahmen und regenerative Energien investieren. Die Aktivitäten werden zum Kriterium für Vergaben. Bis zu einer kompletten Transparenz ist es allerdings noch ein weiter Weg.

Bekommen Sie schon Primärdaten?

Daniels: Wir fragen sie ab. Der Rücklauf ist unterschiedlich. Aber die Sensibilisierung in der Supply Chain ist da.

Firmenporträt Voith

Mit den drei Konzernbereichen Hydro (Wasserkraft), Paper (Papierherstellung) sowie Turbo (Antriebstechnik) agiert Voith auf sehr unterschiedlichen Märkten. Weltweit hat das Unternehmen 22.000 Mitarbeitende. Der Umsatz liegt bei 5,5 Milliarden Euro. Die Voith GmbH & Co. KGaA ist zu 100 Prozent in Familienbesitz.

Wie sieht es bei den Rohstoffen aus? Stichwort grüner Stahl.

Daniels: Grüner Stahl kommt immer stärker auf die Agenda. Die entscheidende Frage ist: Gibt es grünen Stahl in ausreichender Menge und was sind wir als Gesellschaft bereit, für diese Produkte am Ende des Tages zu bezahlen?

Sehen Sie eine Bereitschaft, die Mehrkosten in der Lieferkette aufzuteilen?

Maier: Noch nicht, dafür fehlt aus meiner Sicht auch noch die Nachvollziehbarkeit. Bei Lieferanten der zweiten und dritten Stufe (Tier-2, Tier-3) müssen wir hier für mehr Transparenz und Bewusstsein sorgen.

Inwiefern spielt Kreislaufwirtschaft für die Produktentwicklung eine Rolle?

Maier: Kreislaufwirtschaft ist für uns nicht erst seit den Klimazielen relevant. Unsere Produkte sind wartungsfreundlich und reparierbar. Alles ist zerlegbar. Wir haben Konzepte, die unsere Getriebe konsequent einem zweiten oder dritten Lebenszyklus zuführen. Alle Bauteile haben einen extrem hohen Wiederverwendungs- und Aufarbeitungsgrad. Die Wiederaufarbeitung überwiegt deutlich die Verschrottung und dem Neueinbau.

Die gesetzlichen Vorgaben für Materialien und Lieferketten nehmen zu. Wie integrieren Sie die Regulatorik?

Daniels: Viele Anforderungen kommen immer wieder auf die gleichen Fragestellungen zurück. Diese haben wir erarbeitet und geklärt: Was ergibt sich aus den Anforderungen des LGSK und anderen Verordnungen? Was haben wir heute bereits in unseren Auditverfahren integriert, was müssen wir noch neu mit aufnehmen? Dazu gab es mit allen relevanten Lieferanten Informationsveranstaltungen. Die Anforderungen sind implementiert. Bei Auffälligkeiten gehen wir vor Ort und den kritischen Punkten hinterher.

Maier: Dennoch stellen uns gesetzliche Veränderungen durchaus vor Herausforderungen. Ich nenne ein Beispiel: Bei Produkten mit einer Lebensdauer von 15 oder 20 Jahren wären von einem drohenden PFAS-Verbot viele Dichtungen und Beschichtungen betroffen und wir müssten die Produkte einem zweiten Entwicklungszyklus unterziehen. Der Aufwand und damit die Kosten wären extrem hoch.

Wo finden Sie Lieferanten, die die neuen Anforderungen abdecken?

Daniels: Zum einen bei unseren Bestandslieferanten. Zum anderen über unsere strategischen Einkäufer, die als Technologieexperten den Markt sondieren. Neben Messen, Netzwerken und KI-gestützten Webrecherchen veranstalten wir regelmäßig Innovationstage, zu denen wir Lieferanten zu spezifischen Themen einladen.

Welche Vorteile haben diese Treffen?

Maier: Für die Technik sind die Innovationstage eine tolle Institution. Wir erhalten einen tiefen Einblick, was unser Lieferantenportfolio über Technologien und Innovationen denkt und welche Möglichkeiten die Firmen sehen. Die Treffen ermöglichen in sehr kurzer Zeit einen tiefgreifenden Austausch zwischen vielen Entwicklern und vielen Lieferanten.

Wo sehen Sie schwierige Partner, kritische Regionen?

Daniels: Wenn wir von einer echten Partnerschaft sprechen, geht diese über mehrere Jahre und wir entwickeln uns gemeinsam. Wir haben Partner, die sich mit uns in eine andere Region, ein anderes Land entwickeln, dort eine Fertigung aufbauen oder bestehende Fertigungsstandorte für uns nutzen. Es ist wichtig, in Regionen zu denken und nicht nur lokal um den Kirchturm. Abhängigkeiten reduzieren wir ganz klassisch über Dual Sourcing.

Eine Mehrlieferantenstrategie braucht Ressourcen. Haben Sie die zur Genüge?

Maier: Der Qualifizierungsaufwand für ein Dual Sourcing ist in der Entwicklung höher. Und es gibt Wechselwirkungen. Wenn wir etwa einen Kreuzverbau von zwei Dual-Source-Komponenten haben, multipliziert sich die Anzahl der Versuche. Bei der Elektronik kommt hinzu, dass unsere Produktlebenszyklen und die Zyklen von Elektronikbauteilen nicht deckungsgleich sind. Wir sind also häufig damit konfrontiert, dass einzelne Elektronikkomponenten abgekündigt werden und wir Nachfolgebauteile neu qualifizieren müssen.

Lassen sich Abkündigungen über Bestände abfedern?

Daniels: Generell ist Bevorratung das schlechteste aller Mittel: Bedarfsänderungen kommen kurzfristig und müssen zeitnah in die Supply Chain einfließen. Beim Obsoleszenzmanagement müssen wir eine Bevorratung jedoch einplanen.

Maier: Das Obsoleszenzmanagement ist ein zukunftsgerichteter Prozess. Unter anderem geht es darum, wie wir Steuerungssysteme so entwickeln, dass wir sie für mehrere Produktfamilien nutzen können.

Welche Rolle spielt die Digitalisierung?

Daniels: Bei der Digitalisierung gibt es im Einkauf viel Entwicklung. Wir gehen jedes Jahr einen Schritt weiter: Lieferantensuche, Ausschreibungen, Vertragsmanagement, die Weitergabe von Forecasts und Performancedaten an die Lieferanten, das Tracking von Qualitätsproblemen, all das läuft mittlerweile online und digital.

Maier: In der Entwicklung sind wir durchgängig digitalisiert und erzeugen für den Einkauf digitale Stücklisten. Dadurch haben wir eine systemische Nachverfolgbarkeit für alle Bauteile, können Rückschlüsse auf die Ausfallquoten je Lieferant ziehen und das in der Lieferkette widerspiegeln.

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