Herr Gerlach, als wir das Interview anfragten, haben Sie den Leiter Operations als Dialog-Partner des Einkaufs vorgeschlagen, warum?
Marcus Gerlach: Ich habe bewusst Ken Schmidt als COO gewählt, weil die Zusammenarbeit zwischen Einkauf und Operations oft nachrangig betrachtet wird. Bei Pierburg haben wir in dem sehr engen Schulterschluss, den wir heute haben, ein sehr großes Potenzial identifiziert.
Herr Schmidt, als Leiter von 15 Produktionsstätten sehen Sie das genauso?
Ken Schmidt: Früher haben Produktion und Einkauf nur selten die Kooperation gesucht. Wir haben aber erkannt, dass es Sinn macht, sehr eng zusammenzuarbeiten, beginnend in den Simultaneous Engineering Teams bis zum weltweiten Einkauf unserer Fertigungslinien.
Wie sich der Einkaufsprozess verändert hat
Wie haben Sie den Beschaffungsprozess für die Produktionsbedarfe verändert?
Schmidt: In der Vergangenheit hatte jedes Werk vor Ort Lieferanten, über die die Produktionsbedarfe entwickelt und beschafft wurden. Heute haben wir lokale Lieferanten und globale Anbieter, die weltweit standardisierte Anlagen an unsere Produktionsstätten liefern.
Gerlach: Jedes Werk braucht natürlich einen lokalen Service. Und der Einkauf schaut althergebracht auf den Preis. Wenn man diese Sichtweisen verbindet, erhält man eine mit den Werken abgestimmte Einkaufsstrategie. Den Service vor Ort muss auch der globale Lieferant garantieren. Das heißt, wir haben bei gleichem Servicelevel den Wettbewerb zwischen den Anbietern erhöht. Und das Einzige, was nachhaltig den Preis reduziert, ist nun mal der Wettbewerb. Das ist eine uralte Regel, die weiterhin gilt.
Wie sind Sie zusammengekommen, Einkauf und Fertigungsdesign?
Gerlach: Früher hieß es: ‚Das ist so komplex, das kannst du gar nicht einkaufen.‘ Natürlich nicht, ich kaufe es ja auch gar nicht ein im Sinne von: Ich suche aus, sondern es sucht weiterhin der Fachbereich aus. Aber es wird gemeinsam verhandelt und der Fachbereich trifft keine Aussagen mehr über die Rangfolge der Lieferanten im Wettbewerb. Heute führen wir für jedes Werk professionelle Verhandlungen. In der Regel unterstützen zwei Mitarbeiter aus der Zentrale das lokale Team beim technischen und kommerziellen Review.
Nehmen Sie seither auch mehr Einfluss auf das Design Ihrer Montagelinien?
Schmidt: Es war unabhängig für uns ein Kernthema, die Fertigungssysteme zu standardisieren. Heute haben wir beispielsweise eine Montagestandardzelle, welche wir bei manuellen Linien einfach aneinanderketten und über unterschiedliche Prozesse, die wir in die Zelle einschieben, flexibel gestalten können. Diese Standardzelle kaufen wir weltweit ein. Bei komplexeren Fertigungssystemen bleibt die Projekthoheit im Werk. Allerdings gibt es hier Vorgaben, mit welchen Anbietern zu arbeiten und wie ein Prozess umzusetzen ist. Durch diese Vorgehensweise stellen wir sicher, dass die Standardisierung der Fertigungsprozesse eingehalten wird und wir über die standardisierten Komponenten noch zusätzlich ein interessantes Bündelvolumen erhalten, um weitere Preisvorteile zu generieren.
Wie Wissen über Lieferanten und technisches Know-how zusammenkommen
Wie würden Sie in diesem Prozess die Rolle des Einkaufs beschreiben?
Gerlach: Der Einkauf hat grundsätzlich eine Unterstützungsfunktion. Er führt kein Eigenleben, deswegen halte ich auch nichts von Einkaufsgesellschaften, die nichts können, außer billig einzukaufen. Das Business hat in diesem Fall eine Strategie in Richtung Standardisierung entwickelt. Und das war der perfekte Einstieg für den Einkauf, gebündelt auszuschreiben. Von der Business-Strategie kommend findet der Einkauf seine Unterstützungsfunktion und kann sinnvoll mit dem Business zusammenarbeiten. Besser geht es nicht.
Mussten Sie hierfür Fertigungs-Know-how im Einkauf aufbauen?
Gerlach: Der Warengruppenmanager für Investitionen kennt sich in der entsprechenden Lieferantenlandschaft hervorragend aus und hat als Ingenieur das nötige Grundverständnis. Das technische Know-how sitzt im Bereich Operations respektive in den Werken. Der Schlüssel zum Erfolg liegt im Verheiraten der Kompetenzen.
Schmidt: Für mich spielt hier auch das Thema Vertrauen eine große Rolle. Deshalb mussten wir zunächst in der Führung den Weg gehen. Das war nicht immer konfliktfrei. Wer hat das letzte Wort bei der Lieferantenauswahl? Der Einkauf, die Produktion? Diese Frage haben wir heftig diskutiert. Im Nachhinein muss ich sagen: Wir kaufen heute das, was für das Business das Beste ist und sind bislang immer zu einer harmonischen Entscheidung gekommen.
Welche Auswirkungen die Vernetzung auf die Serienfertigung hat
Inwiefern ist Ihre Kollaboration für die Serienentwicklung relevant?
Gerlach: Wir haben einen klar beschriebenen Produktentstehungsprozess mit sieben Gates. Ab Gate 2 bildet sich ein Kernteam, zu dem der Projekteinkauf und ein Vertreter der Werke gehören. Wenn man es clever macht, denkt man beim Design gleich an die Fertigung und daran, wie man das Know-how der Lieferanten einbindet.
Welchen Part übernimmt die Fertigung?
Schmidt: Für uns geht es um die Machbarkeit, um die Kooperation mit dem Einkauf. Welche Möglichkeiten hat der Lieferant, das Bauteil mit Blick auf den Fertigungsprozess zu optimieren. Was ist einfach herstellbar? Wo haben wir Probleme? Wo sehen wir Risiken? Das bewerten wir systematisch. Hinzu kommen logistische Fragen, Konsignationsläger, Verpackungsauslegung und Ähnliches.
Mit welchen Bottlenecks kämpfen Sie in der Supply Chain?
Schmidt: Die Entwicklungszeiten unserer Kunden werden immer kürzer und wir müssen immer häufiger mit dem einen oder anderen Kompromiss starten und dann die nächsten Schritte machen.
Gerlach: Viele unserer Lieferanten sind Hidden Champions. Das sind topeffiziente, technisch starke Betriebe. Was oftmals aber fehlt, ist die Effizienz im Projektmanagement. Zudem gibt es angesichts der hohen Auftragslage Kapazitätsengpässe.
Welche Rolle die Lieferanten spielen
Hilft es, wenn Sie Lieferanten enger in Ihre Prozesse einbinden?
Gerlach: Diesen Hebel müssen wir nutzen, gerade wenn Lösungen nicht auf dem Tisch liegen. Zum Beispiel für das komplexe, dünnwandige Aluminiumdruckgussteil oder Kunststoffteile für Pumpenanwendungen, die harte Erprobungen überstehen müssen. Hierfür haben wir einen Einkaufsprozess aufgesetzt. Wir warten nicht mehr, bis das Design steht, sondern lassen Lieferanten Konzepte anbieten, um ihre Innovationskraft zu nutzen.
Inwiefern verändert Industrie 4.0 Ihre Fertigung?
Schmidt: Industrie 4.0 ist ein großes Schlagwort. Wir versuchen, das Thema eher in kleinere Teilthemen zu zerlegen und nach und nach umzusetzen. Von einer sauber durchgetakteten, hocheffizient gesteuerten Supply Chain über Tools, die uns in die Lage versetzen, immer zu wissen, wo wir gerade im Prozess stehen. Dazu gehören ID-Scanning-Systeme, natürlich der 3D-Druck als effizientes Verfahren im Prototypenbau, in der Ersatzteilfertigung oder für den Aftermarket. Oder die Virtual-Reality-Brille, die unsere Ingenieure in der Zentrale nutzen, um in den Werken Probleme effizient zu lösen. Wir planen, über Positionschips an Behältern automatische Buchungen nach Überfahren einer geographischen Buchungsgrenze durchzuführen. Des Weiteren ist es unser mittelfristiges Ziel, weg vom ständigen Drucken und Aufkleben hin zu einer papierlosen Logistik zu gelangen.
Was erwarten Sie an digitaler Logistik von Ihren Lieferanten?
Gerlach: Ein kleiner Schritt mit großer Wirkung ist die Advanced Shipping Notice (ASN). Wenn der Lieferant den Lkw lädt, geht automatisch die Meldung an uns, welches Material konkret auf dem Weg ist …
Schmidt: … und wird direkt im SAP verbucht. Unsere Logistiker sehen die Ware bereits im Bestand, noch nicht körperlich, aber auf dem Weg. Für uns bedeutet das, dass wir unsere Bestandssituation länger und genauer planen können.
Gerlach: ASN ist insofern ein schönes Beispiel für Industrie 4.0, weil das Thema selbst schon Jahrzehnte alt ist. Wir wollten diese Daten bislang aber gar nicht haben, weil wir sie nur manuell mit viel Aufwand hätten bearbeiten können. Mittlerweile sind die Systeme weiter und wir sagen: Her mit den Daten, jetzt können wir sie nutzen!
Welche Rolle spielt der Austausch mit den Lieferanten?
Gerlach: Industrie 4.0 ist per se ein kollaboratives Thema. In der neuen Art und Weise, wie Daten verarbeitet werden können, muss man neue Wege der Zusammenarbeit finden. Es lohnt, die Regel ‚Meine Verantwortung hört an meinen Werksmauern auf‘ zu überprüfen und zu schauen, inwiefern man das öffnen kann.
Vita Marcus Gerlach
Nach dem Studium der Betriebswirtschaftslehre in München trat Gerlach Anfang 1999 zunächst als Controller bei der Pierburg GmbH ein. Seine weiteren zentralen Positionen im Konzern lauteten CFO eines Joint Ventures in China, CFO des Gussbereichs der Gruppe sowie President der amerikanischen Tochtergesellschaft Pierburg Inc. Ende 2013 kehrte er nach Neuss zurück und ist heute Chief Purchasing Officer (CPO) der Rheinmetall Group für Nicht-Produktionsmaterial und zugleich Einkaufschef der Division Mechatronics von Rheinmetall Automotive.
Vita Ken Schmidt
Nach seinem Maschinenbaustudium und einem darauffolgenden Studium des Wirtschaftsingenieurwesens in Köln begann Schmidt seine berufliche Laufbahn 1998 als technischer Planungsingenieur bei der LuK Automobiltechnik GmbH & CO. KG, bis er Mitte 2004 als Abteilungsleiter Montage in ein Produktionswerk der Pierburg GmbH wechselte. Seit 2014 ist Schmidt als COO der Division Mechatronics von Rheinmetall Automotive zuständig für den weltweiten Produktionsverbund, die Logistik und den Bereich Business Excellence.
Das Unternehmen: Rheinmetall Automotive
Rheinmetall Automotive ist die Mobilitätssparte des Technologiekonzerns Rheinmetall Group. Als Automobilzulieferer entwickelt, produziert und vertreibt Rheinmetall Automotive unter den Marken KS Kolbenschmidt, Pierburg und Motorservice (Aftermarket) Komponenten und Systeme für die Automobilindustrie. Das Unternehmen hat weltweit 40 Fertigungsstandorte und mehr als 12.000 Mitarbeiter.