Zwei Schachfiguren stehen sich gegenüber

Verhandeln auf Augenhöhe - auch zwischen KMU und internationalen Lieferanten möglich. (Bild: dadima - stock.adobe.com)

Die zunehmende Industriekonsolidierung stellt mittelständische Unternehmen vor immense Herausforderungen. Verschieben sich die Machtverhältnisse zugunsten der Lieferanten, geraten Einkauf und Lieferantenmanagement unter Druck. Doch wie können kleine und mittlere Betriebe (KMU) effektiv mit globalen Marktführern verhandeln?

Erhöhte Entscheidungsmacht

Internationalisierung, technologische Vorreiter-Positionen und umfassende M&A-Aktivitäten sind nur einige Gründe für das Wachstum globaler Branchenführer. Sie alle führen zu steigenden Beschaffungskosten für wesentliche Produkte, und damit zu einer steigenden Belastung für den eh schon angeschlagenen Mittelstand. Wenn Margen, Profitabilität und Cashflow unter Druck geraten, leidet die langfristige Wettbewerbsfähigkeit.

Das Wachstum multinationaler Mitbewerber, die auf den deutschen Markt drängen, verschärft die Situation weiter. Diese Unternehmen konkurrieren um die Gunst der Weltmarktführer und verschieben die Machtachse zugunsten der Zulieferer.

Gute Geschäftsbeziehungen: Ein Mythos?

Schon lange ist der Zeitpunkt gekommen, sich durch Professionalisierung eigener Einkaufsstrukturen auf die veränderten Bedingungen am Markt einzustellen. Während der Wandel in vollem Gange ist, verlassen sich zu viele Geschäftsführer noch auf langjährige Beziehungen zu bestehenden Lieferanten. Dabei übersehen sie oft, dass ihre regionalen Ansprechpartner nicht mehr denselben Einfluss haben als früher.

Regionale Vertriebsstrukturen werden zugunsten europäischer Organisationen abgebaut, und Topkonditionen werden Großkunden vorbehalten. In diesem Change-Prozess verlieren langjährige, gewachsene Partnerschaften an Wirkkraft. In einem Worst-Case-Szenario wird sogar der Direktbezug beim Lieferanten gekappt, weil der Hersteller seinen Sales ausschließlich und ausnahmslos über wenige Großhändler abwickelt. Die persönliche Beziehung hat ihre Bedeutung verloren.

Wenn Enttäuschung lähmt

„Was ist bloß passiert. Wir haben doch über so lange Zeit vertrauensvoll zusammengearbeitet?“ Dieser Satz ist oft zu hören, wenn gerade inhabergeführte Unternehmen mit massiv veränderten Lieferbedingungen ihrer wichtigen Lieferanten konfrontiert werden. Kein Wunder, spielen doch emotionale Faktoren auch im B2B-Geschäft eine maßgebliche, aber nicht immer offensichtliche Rolle. Unternehmen, die von langjährigen Lieferantenbeziehungen profitiert haben, fällt es schwer, veränderte Marktbedingungen sachlich zu analysieren und daraus Handlungsstrategien abzuleiten. Diese emotionale Bindung kann zum Problem werden, wenn Zulieferer die Preise erhöhen. Darüber hinaus gefährdet die Unfähigkeit, neue Optionen zu diskutieren, den Unternehmenserfolg.

Krone richten, weitermachen!

In solchen Situationen ist eine ehrliche Standortbestimmung wichtig:

  • Wie hat sich unsere Attraktivität für Kernlieferanten entwickelt?
  • Wie bewerten wir unsere zukünftige Attraktivität?
  • Wie haben sich die Einkaufspreise entwickelt?
  • Wie wirkt sich dies auf unsere Marge aus?

Auf Basis dieser Analyse sollten Unternehmen ohne Tabus und Denkverbote nach Lösungen suchen. Was passiert, wenn unser wichtiger Lieferant A morgen nicht mehr liefert? In der Beantwortung dieser Frage verbirgt sich die immense Chance, gewohnte Denkmuster zu durchbrechen, über den Tellerrand zu blicken und verankerte Abhängigkeiten hinter sich zu lassen. Wenn intensive Geschäftsbeziehungen so alternativlos wirken, dass selbst leicht veränderte Produktsortimente undenkbar sind, schrumpfen Verhandlungsspielräume gegen null. Diesen Teufelskreis gilt es zu durchbrechen.und verbessern. Hier hilft ein professioneller Category Management-Prozess dabei, Einkaufsgruppen strategisch zu bewerten und Abhängigkeitsrisiken zu reduzieren.

Ralf Maurer
Ralf Maurer. (Bild: Wertify)

Der Autor: Ralf Maurer

... ist ein internationaler Unternehmenslenker mit Fokus auf Category Management. Er verantwortete auf seinem Karriereweg den Wachstumskurs von Handels- und Distributionsunternehmen wie der Rubix Group International Ltd, der BPW Group und der Europart Holding GmbH. 2023 gründete der langjährige Geschäftsführer und Chief Product Officer Wertify Consulting. Die Boutique-Beratung für mittelständische Handels- und Industrieunternehmen fokussiert sich auf Einkauf und Category Management Prozesse. Mit seiner Expertise bietet er seitdem von individuellen Beratungsprojekten, über Einkauf- und Verhandlungstrainings bis hin zu Einkauf-Audits alle Disziplinen von Category Excellence ab.

Systematisch-kreative Verbesserung der Verhandlungsposition

Ich empfehle Unternehmen, die sich in der Einkaufs-Zwickmühle befinden, sogenannte Tabubruch-Übungen. Sie zeigen im Brainstorming-Modus, gerne abteilungsübergreifend, neue Chancen sowie versteckte Optionen auf. Damit reduzieren sie die tatsächliche und erlebte Abhängigkeit von Lieferanten. Um diesen Prozess zu starten, entwickelt das Einkaufsteam verschiedene Szenarien:

Welche Optionen gibt es kurz-, mittel- und langfristig, wenn die Zusammenarbeit mit Lieferant A endet? Das kurzfristige Szenario mündet nahezu immer in einer Katastrophe, weil Handlungsoptionen nicht mundgerecht serviert im E-Mail-Account warten. Interessant aber sind Gedankenspiele zu mittelfristigen und langfristigen Szenarien.

Strategische Vorbereitung; Nach der Tabubruch-Übung prüfen Verantwortliche die Machbarkeit der diskutierten Alternativen. Zu den Alternativen zählen nicht selten diplomatische Gespräche mit neu erschlossenen Ersatzlieferanten oder die Substitution von Produkten, die als gesetzt galten. In jedem Schritt entscheiden professionelles Vorgehen und die Abwägung von Risiken über Erfolg. Es zeigt sich, dass es mehr Wege aus der Abhängigkeitsfalle gibt als gedacht.

Verhandlungen führen: Bei den anschließenden Verhandlungen mit dem etablierten Lieferanten A entscheiden die gründliche Vorbereitung und souveräne Durchführung über Erfolg und Misserfolg.

Teilnehmerauswahl: Vier bis sechs Personen, darunter Entscheider, die ein bis zwei Hierarchiestufen über den bisherigen Ansprechpartnern liegen.

Einstieg: Das Ziel liegt klar darin, die Konditionen zu verbessern. Dafür legen Unternehmen sachlich ihre Entwicklung offen und zeigen die Pain Points auf. Die Frage "Was wäre, wenn Sie uns nicht mehr beliefern?" öffnet neue Diskussionsräume.

Faktor Mensch: Auch bei Weltmarktführern arbeiten Menschen mit Entscheidungsspielräumen. Unternehmen sollten sich nicht von der Größe des Partners beeindrucken lassen, sondern ihre eigene Bedeutung hervorheben.

Fazit

Strategische Verhandlungen mit Weltmarktführern erfordern, dass Unternehmen ihre Attraktivität für Lieferanten betonen. Einkaufsleiter müssen kontinuierlich ihre Innovationskraft, Zugang zu lukrativen Kunden und profitable Produktgruppen im Blick halten

Energie-Einkauf: Beschaffungsstrategien, Photovoltaik, Industriewärmepumpen

Precision Industrial Flow Meter: Advanced Liquid Measurement Technology for Accurate Control and Engineering Efficiency
(Bild: aicandy - stock.adobe.com)

Energiebeschaffung ist zur Herausforderung für Einkäufer geworden. Welche Strategien für den Einkauf von Strom und Gas gibt es und welche ist für welches Unternehmen geeignet? Welche Vor- und Nachteile die Eigenerzeugung von Strom mit Photovoltaik hat, und warum Wärmepumpen auch für die Industrie eine echte Alternative sind, erfahren Sie in unserem Schwerpunkt zur Energiebeschaffung.

 

Außerdem finden Sie Informationen zu Erdgas, dem nach wie vor wichtigsten Energieträger und Rohstoff der Industrie. Mindestens ebenso wichtig bei der Dekarbonisierung ist ein Energiemanagement, das den Verbrauch der beschafften Energie effizient gestaltet.

 

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