Blick auf den Hafen von Odessa, wo ein Containerschiff an einem Kai festgemacht hat

Der Hafen von Odese ist der größte der Ukraine und einer der größten im Schwarzen Meer. (Bild: runny1975 - stock.adobe.com)

Das Wichtigste in Kürze

  • EU-Sanktionen betreffen bestimmte Gebiete, Personen und Waren – (noch) nicht den Han-del mit Russland insgesamt.
  • Grundsätzlich sind Verkäufer nach deutschem Recht verpflichtet, bestellte Waren und Dienstleistungen zu liefern. Aber: Bestehen berechtigte Zweifel an der Zahlungsfähigkeit des Vertragspartners, können Verkäufer auf Grundlage der Unsicherheitseinrede (§321 BGB) zusätzliche Sicherheiten oder Zahlung per Vorkasse verlangen beziehungsweise Zahlung Zug um Zug gegen Lieferung nach § 320 BGB.
  • Nach Erlass der Sanktionen geschlossene Verträge, die sich auf sanktionierte Waren oder Personen beziehen, sind nichtig.
  • Bei vor Erlass der Sanktionen geschlossenen Verträgen sind Verkäufer von der Lieferpflicht befreit, wenn die Lieferung rechtlich oder tatsächlich unmöglich ist (§ 275 BGB).
  • Ob höhere Gewalt vorliegt, kommt darauf an, wie diese und ihre Rechtsfolgen im jeweiligen Vertrag konkret definiert sind.
  • Bei Störungen der Geschäftsgrundlage gemäß §313 BGB sieht das deutsche Recht im ersten Schritt Vertragsanpassungen vor; die Hürden dafür, von Verträgen zurückzutreten oder sie zu kündigen, sind in der Regel hoch.

Im Jahr 2021 war Russland der viertwichtigste Importpartner von Deutschland außerhalb der Europäischen Union (EU) und der fünftwichtigste Abnehmer deutscher Waren. Auf Russland entfielen insgesamt 2,3 Prozent des deutschen Außenhandels. Er bestand vor allem in Maschinen, Kraftwagen und Kraftwagenteilen sowie chemischen Erzeugnissen.

Im Gegenzug importierte Deutschland 2021 vor allem Erdöl und Erdgas aus Russland. Nach dem Angriff auf die Ukraine hat die EU Russland mit Sanktionen belegt, worauf Moskau mit eigenen Sanktionen reagierte. Aufgrund der globalen Handelsbeziehungen betrifft das Sanktionsgeflecht indirekt auch andere Länder, vor allem in Osteuropa, etwa weil Lieferketten unterbrochen sind. Zahlreiche Unternehmen fragen sich, wie die Kriegshandlungen und Sanktionen ihr eigenes Handeln beeinträchtigen. Im Folgenden erhalten Sie Antworten auf einige der häufigsten Fragen.

Betreffen die Sanktionen den gesamten Handel mit Russland?

Was ist derzeit, Anfang Mai, untersagt? Die Sanktionen der EU gegen Russland gelten für bestimmte Gebiete, Personen und Waren. So dürfen hiesige Unternehmen keine Dual-Use-Güter mehr nach Russland exportieren, also Waren, die sich zivil und militärisch nutzen lassen. Es sei denn, die Güter sind für humanitäre, medizinische, pharmazeutische oder andere Zwecke bestimmt, wie in Art. 2 Abs. 3 der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 n. F. definiert. Ebenfalls untersagt ist die Lieferung bestimmter Hightech-Güter und Maschinen, Anlagen und Technologien aus Luft- und Raumfahrt, Schifffahrt und der Ölindustrie.

Wichtig: Den Handel mit Russland insgesamt betreffen die bisherigen Sanktionen nicht. Der Lebensmittelhandel mit Russland beispielsweise ist weiterhin erlaubt. Allerdings zeigt etwa das US-amerikanische und auch von der EU diskutierte Öl-Embargo, dass weitere Beschränkungen, insbesondere Importverbote, künftig möglich sind.

Unternehmen, die weiterhin nach Russland liefern wollen, sollten daher zunächst genau prüfen, ob für die jeweiligen Waren oder Dienstleistungen Export- und/oder Importverbote gelten und ob sie mit dem jeweiligen Unternehmen noch Geschäfte abwickeln dürfen.

Mit den von Russland besetzten ukrainischen Gebieten Donezk und Luhansk hingegen ist der Handel weitgehend untersagt. Verboten ist es demnach unter anderem, Waren aus diesen Gebieten zu importieren, bestimmte Güter und Technologien dorthin zu exportieren sowie Finanzmittel bereitzustellen. Demgegenüber bestehen für den Handel mit der Ukraine keine rechtlichen, aufgrund der Kriegshandlungen aber womöglich faktische Hürden.

Wie lassen sich Zahlungen absichern?

Nach der Frage nach dem „Dürfen“ stellt sich die nach dem „Müssen“: Grundsätzlich muss nach deutschem Recht ein Verkäufer eine bestellte Ware liefern. Der Käufer ist Zug um Zug zur Zahlung verpflichtet, soweit nicht etwas anderes vertraglich vereinbart wurde, etwa die Vorleistungspflicht einer Partei. Fällt also ein zu lieferndes Produkt nicht unter die Sanktionen gegen Russland, muss es der deutsche Verkäufer in der Regel nach Russland liefern.

Fraglich ist aber besonders bei russischen Kunden, ob diese angesichts der internationalen Sanktionen noch zahlungsfähig und zahlungswillig sind. Deutsche Unternehmen sollten zunächst mit dem russischen Vertragspartner klären, ob er die Zahlung noch übermitteln kann. Bestehen daran begründete Zweifel, kann der Verkäufer beispielsweise die Lieferung oder Leistung nach Russland verweigern, bis der Käufer die Zahlung Zug um Zug erbringt gemäß § 320 BGB.

Ist der Verkäufer zur Vorleistung verpflichtet, kann er die Leistung verweigern, bis der Käufer die Gegenleistung erbringt oder eine Sicherheit leistet. Die rechtliche Grundlage hierfür bietet das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) mit der „Unsicherheitseinrede“ gemäß § 321 BGB.

Hat der Verkäufer vertraglich auch die Verpflichtung zum Transport der Ware übernommen und besteht insoweit aufgrund der aktuellen Situation ein erhebliches Risiko, sollte mit der Unsicherheitseinrede gegebenen falls auch die Forderung nach einer einvernehmlichen Änderung der bisherigen Lieferbedingungen begründet werden, sodass der Käufer das Transportrisiko trägt.

Gelten Verträge trotz der Sanktionen?

Für deutsche Lieferanten besteht keine Lieferpflicht gegenüber Kunden in Russland, soweit ein Vertrag einen Gegenstand oder Vertragspartner erfasst, der von den Sanktionen betroffen ist. Ein solcher Vertrag ist nichtig, wenn er nach Erlass der jeweiligen Sanktionsmaßnahme abgeschlossen wurde.

Anders verhält es sich mit vor Erlass der Sanktionsmaßnahmen abgeschlossenen Verträgen, die in der Praxis weit häufiger vorkommen. Ein Verkäufer ist von seiner Lieferpflicht befreit, wenn die Lieferung aufgrund der Sanktionen nicht mehr zulässig ist. Die Leistung ist dann rechtlich unmöglich im Sinne des § 275 BGB, weshalb die Pflicht zur Leistung entfällt. Dasselbe gilt, wenn die Beschaffung, Herstellung oder Lieferung der Ware durch den Krieg unmöglich geworden ist. Dann besteht eine sogenannte tatsächliche Unmöglichkeit gemäß § 275 BGB.

Liegt höhere Gewalt vor?

Aufgrund des russischen Angriffs auf die Ukraine sind zum Teil auch internationale Lieferbeziehungen außerhalb dieser beiden Länder gestört. Zum Teil sind auch die Preise der Vorlieferanten drastisch gestiegen. Viele Unternehmen fragen sich derzeit, ob sie sich wegen der Kriegshandlungen in der Ukraine auf höhere Gewalt berufen können („Force Majeure“).

Der Autor: Tobias von Tucher

Portrait von Tobias von Tucher
Tobias von Tucher. (Bild: Pwc)

Tobias von Tucher ist Rechtsanwalt und Partner bei PwC Legal in München. Er ist Co-Leiter der Praxisgruppe IP, IT, Commercial und Datenschutz. Von Tucher berät mittelständische und Dax-Unternehmen bei rechtlichen Fragen in den Bereichen IP, IT, Commercial insbesondere bei internationalen Technologietransaktionen, komplexen Forschungs- und Entwicklungs- sowie Kooperations- und Lieferverträgen.

Zunächst: Zahlreiche internationale Verträge beinhalten Force-Majeure-Klauseln. Sie können unterschiedlich ausgestaltet sein, enthalten aber in aller Regel eine genaue Definition darüber, was unter „Force Majeure“ zu verstehen ist und welche Rechtsfolgen dies hat. Ob sich Unternehmen auf höhere Gewalt berufen können, hängt daher davon ab, wie die Klausel im Vertrag genau formuliert ist.

In der Regel liegt ein Fall höherer Gewalt vor, wenn sich Umstände aufgrund äußerer Einflüsse geändert haben, auf die die Vertragsparteien keinen Einfluss haben und die sie auch nicht vorhersehen konnten. Der Angriff Russlands auf die Ukraine mit seinen Auswirkungen kann ein solches unvorhersehbares Ereignis darstellen und möglicherweise einen vertraglich definierten Force-Majeure-Fall darstellen.

Besteht keine Force-Majeure-Klausel im Vertrag, kann § 313 BGB anwendbar sein, wonach ein Recht auf Vertragsanpassung oder sogar -beendigung bestehen kann, wenn sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, schwerwiegend geändert haben. Darunter fallen, wie in Fällen der Force Majeure, Umstände, die nicht im Risikobereich einer Vertragspartei liegen.

Sind drastische Preissteigerungen eine „Störung der Geschäftsgrundlage“?

Eine solche „Störung der Geschäftsgrundlage“ nach § 313 BGB könnte bei drastischen Preissteigerungen in Folge des Kriegs in der Ukraine vorliegen. Aber: Die Rechtsprechung ist bei der Anwendung von § 313 BGB sehr zurückhaltend, wenn Verkäufer sich auf Preissteigerungen bei Vorlieferanten berufen, weil der Verkäufer grundsätzlich das Preisrisiko zu tragen hat. Nur in außer-gewöhnlichen Fällen wird die Rechtsprechung daher eine Störung der Geschäftsgrundlage aufgrund von Preiserhöhungen annehmen.

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Meist können Unternehmen zusätzliche Sicherheiten verlangen

Wie sollten Unternehmen nun vorgehen? Sie sollten zunächst in jedem Einzelfall prüfen, ob die Sanktionen der EU oder Russlands ihre Vertragspartner oder die gehandelten Güter betreffen. Die Leistung wäre dann rechtlich unmöglich im Sinne des § 275 BGB. Ist dies nicht der Fall, aber ein Unternehmen möchte dennoch nicht leisten oder liefern, lohnt es sich häufig, die Force-Majeure-Klauseln in den Verträgen zu prüfen.

Greifen diese ebenfalls nicht, wäre zu prüfen, ob ein Fall der tatsächlichen Unmöglichkeit nach § 275 BGB vorliegt. Allerdings haben Verkäufer im Fall der Unmöglichkeit auch keinen Anspruch auf die Gegenleistung. Mit der Beschränkung der Zahlungssysteme könnten sich Verkäufer in Deutschland auf die „Einrede des nicht erfüllten Vertrags“ (§ 320 BGB) oder „Unsicherheitseinrede“ (§ 321 BGB) beziehen und Vorkasse oder an-dere Sicherheiten von russischen Vertragspartnern verlangen.

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