
Digitaler Stromzähler: Bei der Energiebeschaffung heißt es, Verbrauch und Einkauf als Einheit zu sehen. (Bild: ARVD73 - stock.adobe.com)
Schweiß perlt auf der Stirn. Das Herz rast. Im Magen schlägt mit harter Faust die Übelkeit zu. Einkäufer, die 2022 die Entwicklung des Strompreises verfolgten, kennen die Symptome einer Panikattacke gut. Zwischen Ende März und August schoss die Notierung für eine Megawattstunde Strom in der Spitzenlast zur Lieferung in den kommenden vier Wochen bis sechs Jahren an der Leipziger Strombörse (EEX) von knapp 250 Euro auf über 1.250 Euro in die Höhe. Seitdem ist sie zwar wieder auf aktuell rund 200 Euro gesunken. Damit ist Strom aber immer noch 360 Prozent teurer als zu Jahresbeginn 2021. „Auf das Niveau vor dem russischen Überfall auf die Ukraine wird der Preis mittelfristig wohl auch nicht zurückkehren“, erwartet Stefan Benett, Geschäftsführer bei der auf den Einkauf spezialisierten Unternehmensberatung Inverto und Leiter der Praxisgruppe Energie. Der Strompreis wird künftig zudem volatiler, seine Entwicklung daher schwerer vorhersehbar sein.
„Für Einkäufer ändert sich dadurch zwar im Grunde nichts an den Kriterien, die sie bei Beschaffungsentscheidungen anlegen“, erklärt Kevin Domnick, Senior Project Manager bei Inverto. „Es geht auch künftig im Wesentlichen um den Preis und den richtigen Zeitpunkt des Einkaufs.“ Da die Energiekosten jedoch bis zu einem Fünftel der gesamten Ausgaben eines Betriebs ausmachen, können die dauerhaft höheren Preise die Existenz von Unternehmen gefährden.
Dauerhafter Anstieg der Energiepreise kann die Existenz von Unternehmen gefährden
Mit der Situation umgehen können Unternehmen nur, wenn sie die Optimierung ihres Verbrauchs und den Einkauf von Strom künftig als eine zusammenhängende Aufgabe sehen und ihren Umgang mit Energie grundlegend neu aufsetzen. „Dabei müssen sie alle Facetten des Themas durchdenken und zunächst genauestens ermitteln, wie viel Energie sie tatsächlich benötigen“, rät Inverto-Experte Stefan Benett. Denn wenn sie Energielieferanten ihren Bedarf möglichst exakt mitteilen, sparen sie bares Geld. Schließlich lassen es sich Netzbetreiber teuer bezahlen, wenn sie Mehr- und Minderbedarfe gegenüber der prognostizierten Stromnachfrage eines Kunden ausgleichen müssen.
Bei der präzisen Erfassung des Bedarfs helfen Energiemanagementsysteme, an die alle Verbraucher im Betrieb angeschlossen sind, aber auch der aktuelle Versorger. Er kann Auskunft über den Lastgang eines Unternehmens geben, weil er weiß, wann dieses in der Vergangenheit welche Verbrauchsspitzen hatte und wann es weniger Energie abnahm als vereinbart.
Tranchenmodelle führen nach wie vor zu guten Einkaufspreisen
„Nur wer seine Grund- und Spitzenlast genau kennt, kann auch entscheiden, über welchen tatsächlichen Strombedarf er zu einem bestimmten Zeitpunkt einen längerfristigen Liefervertrag abschließen will“, fasst Stefan Benett zusammen. Das sei im Rahmen eines Tranchenmodells auch heute noch empfehlenswert. Denn nach wie vor gelte, dass durch den Abschluss mehrerer Kontrakte zu unterschiedlichen Zeitpunkten und Tarifen sowie Laufzeiten im Schnitt ein guter Einkaufspreis entstehe. Doch auch wer sich wegen der aktuell volatilen Preise vertraglich nicht langfristig binden und seinen Bedarf lieber zeitnah am Spotmarkt beschaffen möchte, braucht Transparenz darüber, wie viel Energie er in den kommenden Stunden oder am nächsten Tag benötigt.
Wenn sie eine Zulassung an der Leipziger Strombörse, die Zulassung bei einem Clearinghaus und Mitarbeiter haben, die die Händlerprüfung der EEX bestanden haben, können Unternehmen direkt an deren Spotmarkt einkaufen. Der Aufwand, um diese Anforderungen zu erfüllen, lohnt sich aber nur für sehr große Betriebe.
Spotmarkt lohnt sich für große Unternehmen
Alternativ können Unternehmen Strom mit Hilfe eines Brokers am Spotmarkt beschaffen. Doch auch dann brauchen sie Transparenz darüber, wie viel Strom sie brauchen. „Idealerweise liegen Informationen zum konkreten Energiebedarf in einem Rhythmus von 15 Minuten vor“, erklärt Energiefachmann Stefan Benett. „So können Experten die Bedarfe optimal in konkrete Marktanfragen übertragen. Auf dieser Basis können Energieerzeuger und -lieferanten dann den optimalen Preis anbieten.“
Wie hoch dieser ist, steht am Spotmarkt aber erst zum Monatsende fest. Einkäufern fehlt dort deshalb die Planungssicherheit. Auf das Risiko, dass Preise höher ausfallen als erwartet, müssen sie sich einlassen – und einstellen. Das können sie tun, indem sie an der Börse neben Strom auch Futures auf steigende Preise kaufen. Auch Banken bieten Hedging-Produkte an. Die Kosten für diese Absicherung fressen einen Teil des am Spotmarkt eventuell erzielten Preisvorteils aber wieder auf.
Mit Power Purchase Agreements unabhängiger vom Strommarkt
Sinnvoller ist es daher im Rahmen der Neustrukturierung des Bedarfs und der Beschaffung von Energie auch in erneuerbare Energien zu investieren. Dies geht mit eigenen Anlagen oder sogenannten Power-Purchase-Agreements-(PPA-)Abnahmeverträgen mit Laufzeiten zwischen drei und zehn Jahren, die Unternehmen meist mit Betreibern von Wind- und Photovoltaikparks schließen. Für diese werden PPAs zunehmend attraktiver, da seit 2021 immer mehr ihrer Anlagen aus der Förderung nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz herausfallen. Diese endet 20 Jahre, nachdem ein Windrad oder eine PV-Anlage ans Netz gegangen ist.
Der Automobilzulieferer Schaeffler aus Herzogenaurach nutzt PPAs bereits in großem Maßstab. Zuletzt schloss er eine Vereinbarung mit dem Windparkbetreiber Statkraft Markets. Dieser soll ab 2024 acht Prozent des von Schaeffler benötigten Stroms liefern. „Als Unternehmen mit vielen Produktionsstandorten erhöhen wir durch Power Purchase Agreements die Planungssicherheit bei der Grünstrom-Beschaffung und machen uns unabhängiger vom volatilen Strommarkt“, betont Andreas Schick, Vorstand für Produktion, Supply Chain Management und Einkauf bei Schaeffler.
„Ein PPA ist empfehlenswert“, bestätigt Stefan Benett von Inverto. Allerdings orientierten sich auch bei den zumeist niedrigeren Gestehungskosten für ‚grüne Energie‘ die Preise eher am langfristigen Gesamtmarktpreis. „Dennoch sind die Verträge lohnenswert, weil sie Unternehmen helfen, sich weniger abhängig vom Strommarkt zu machen und so ihr Risiko besser zu managen“, ergänzt sein Kollege Kevin Dominick.
Gleichstromtechnik senkt die Anschlusslast
Versorgungssicherheit, Nachhaltigkeit und Unabhängigkeit beim Einkauf von Strom will auch die Schaltbau AG aus München in einem dieser Tage in Betrieb genommenen neuen Werk im niederbayerischen Velden erreichen. Dieses hat der Elektrotechnikspezialist, der gut 2.900 Mitarbeitende beschäftigt, mit einer PV-Anlage mit einer Spitzenleistung von 1,3 MW, thermischen und Batteriespeichern für den erzeugten Strom und vor allem einem Gleichstromnetz ausgestattet.
So sparte sich der Mittelständler den Einbau von Wechselrichtern. Diese braucht, wer sowohl selbsterzeugten Sonnen- als auch Wechselstrom aus dem öffentlichen Netz nutzen will. Allerdings geht durch die Umwandlung Energie verloren. „Durch die Gleichstromtechnik lässt sich die Anschlussleistung, die Fabriken aus dem öffentlichen Netz beziehen, dagegen um 60 bis 70 Prozent senken. Allein dadurch amortisiert sich ein Gleichstromnetz“, fasst der Geschäftsführer von Schaltbau, Dr. Jürgen Brandes, zusammen.
Von Panikattacken aufgrund der Situation am Strommarkt ist er weit entfernt.
Zusammenfassung: Energiebeschaffung
Der Strompreis ist dramatisch gestiegen. Ein veritables Problem, da Energiekosten bis zu 20 Pozent der Ausgaben eines Unternehmens ausmachen können. Um den Anstieg der Energiepreise zu bewältigen, sollten Unternehmen ihren Energieverbrauch und Stromeinkäufe auf einander ausrichten. Für die Energiebeschaffung gibt es unterschiedliche Einkaufsstrategien: Tranchenmodelle oder PPAs. Auch der Einkauf am Spotmarkt ist eine Möglichkeit. Wer Produktions- und Verwaltungsgebäude neu baut und sich mit selbsterzeugtem Strom versorgen will, sollte über Gleichstromtechnik nachdenken.
Immer informiert mit den Newsletter von TECHNIK+EINKAUF

Hat Ihnen gefallen, was Sie gerade gelesen haben? Dann abonnieren Sie unseren Newsletter. Zwei Mal pro Woche halten wir Sie auf dem Laufenden über Neuigkeiten, Trends und Wissen rund um den technischen Einkauf - kostenlos!