Es war einmal ein junger Berater, der wieder zurück in die Industrie wollte. Zur Auswahl standen Produktionsleiter, Vertriebsleiter und Supply Chain Manager. Das war der Zeitpunkt, an dem ich anfing, mich mit SCM zu beschäftigen.
Da mir schon damals bewusst war, dass der Gewinn im Einkauf liegt, habe ich mich für Nummer drei entschieden und es bis heute nicht bereut. Allerdings: Ich habe damals schnell gemerkt, dass nur sehr wenige meiner Kolleginnen und Kollegen überhaupt wussten, was SCM überhaupt bedeutet. Zudem war der Einkauf damals noch so operativ, dass dessen Restrukturierung erst einmal Prio 1 hatte.
Auch, wenn ich heute Artikel über SCM lese, mich mit Führungskräften darüber unterhalte oder Stellenanzeigen lese, merke ich, dass Supply Chain Management immer noch falsch verstanden wird – oder besser: nicht so wie ich es verstehe.
Das höre ich am häufigsten:
- SCM ist das neue Wort für Logistik
- SCM ist der Überbegriff für Einkauf und Logistik
- SCM kümmert sich um die Lieferkette vom Lieferanten bis zum Wareneingang
- SCM konzentriert sich auf die Digitalisierung der Transportwege
Vor allem die ersten beiden Ideen höre ich oft, wenn es um SCM geht. In meinen Augen ist dies jedoch viel zu kurz gesprungen und wird der Bedeutung in keinster Weise gerecht.
Der Autor: Hans Boot
Hans Boot ist Partner bei der Durch Denken Vorne Consult GmbH, eine auf Einkauf und SCM spezialisierte Unternehmensberatung. Zuvor war er über zwölf Jahre als Führungskraft im Einkauf unterschiedlicher Unternehmen tätig.
Seine Kolumne erscheint exklusiv auf Technik-Einkauf.de.
Aber nun mal zu meinem Verständnis: Supply Chain Management kümmert sich um die gesamte Lieferkette vom ersten Unterlieferanten (zum Beispiel der Rohstoffhersteller) bis zum Endkunden. Es legt den Fokus auf die Ware oder die Dienstleistung, Prozesse, Dokumente, Systeme und Strukturen. Somit umfasst SCM nicht eine oder zwei Abteilungen, sondern schließt alle Abteilungen für den kompletten Prozess ein.
Wenn man ein SCM also richtig aufsetzen möchte, muss man seinen Blick über den berüchtigten Tellerrand richten und mit den heute „üblichen“ Strukturen brechen. Dann gibt es keinen strategischen und operativen Einkauf mehr, keine Logistikabteilung, kein autonomes Entwicklungsteam und auch keine QS-Mannschaft.
Unternehmen, die das volle Potenzial eines Supply Chain Managements schöpfen wollen, müssen ein Warengruppenmanagement aufbauen, in dem Einkauf, Fertigungsplanung, Logistik, Technik, F&E, QS und Vertrieb in crossfunktionale Teams sitzen und sich zusammen um die Bedürfnisse der externen und internen Kunden kümmern. Punkt!
Dies würde dann auch endlich dazu führen, dass alle Abteilungen zur gleichen Zeit dieselben Infos haben und darauf reagieren – oder noch besser – proaktiv agieren können. Je nach Branche bzw. Kundenstamm könnte man sogar noch einen Schritt weiter gehen und diese Teams nicht nach Warengruppen, sondern nach Endprodukt aufteilen.
Der erste Schritt wird an sich schon ein steiniger Weg, da es nun mal schwer ist, alte Strukturen und Machtverhältnisse aufzubrechen. Der Widerstand wird entsprechend hoch sein.
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Heißes Eisen: Oberste Management-Riege aufbrechen
Der zweite Schritt wird voraussichtlich noch schwieriger, denn man muss natürlich auch die bestehende Hierarchie anpassen. Entweder hat man dann immer noch einen CPO, CSO, COO usw. die sich intern abstimmen oder man macht wirklich einen Cut und dann gibt es nur noch einen CSCO mit vielen (gegebenenfalls globalen) Teamleitern.
Auch wenn diese Struktur sicherlich nicht bei allen Unternehmen funktionieren wird, bin ich überzeugt, dass es trotz der vielen Hürden und Widerstände langfristig viele Vorteile bringen wird und die Unternehmen dadurch auch viel effektiver auf Situationen wie die einer Pandemie reagieren können.
Habe ich in meiner ersten Kolumne noch für eine CPO-Quote plädiert, so möchte ich diesmal für eine CSCO-Quote werben.