Bild von Martin Schmauder

(Bild: Prof. Dr. Martin Schmauder (Schmauder)

Professor Schmauder ist seit 2000 Inhaber der Professur für Arbeitswissenschaft an der TU Dresden und Experte für die Bereiche Arbeitsorganisation, Ergonomie, Arbeitsschutz und Human Ressource Management.

Welche Fachbereiche spielen in der Forschung zur Ergonomie am Montagearbeitsplatz eine Rolle?

Ergonomie ist eine interdisziplinäre Veranstaltung und deshalb auch wirkungsvoll. Ausgangspunkt ist der Mensch mit seinen Leistungsvoraussetzungen. Deshalb benötigen wir Kenntnisse der Physiologie. Dazu brauchen wir die Biomechanik für Kräfte und Bewegungen. Die Arbeitshygiene ist für die Arbeitsumgebung wichtig und die Arbeitspsychologie für die Arbeitsinhalte. Für die Arbeitsorganisation braucht man die BWL und für die Umsetzung die Ingenieure. Das nennt man dann gelebte Interdisziplinarität. Der Ergonom hat Kenntnisse von der Arbeit und dem Menschen und verknüpft beides miteinander.

Welchen Gefährdungen soll mit einer ergonomischen Gestaltung von Arbeitsplätzen begegnet werden?

Es geht in der Ergonomie nicht nur um Gefährdungen, sondern um Humanität und Wirtschaftlichkeit, das heißt um die Optimierung von Arbeitsplätzen. Ungünstige Körperhaltungen und Bewegungsabläufe sollen vermieden werden, sodass der Mensch langfristig arbeitsfähig bleibt.

 

Was muss bei der Umsetzung berücksichtigt werden?

Wir benötigen die Verhältnis- und die Verhaltensergonomie. Es müssen die Voraussetzungen durch ergonomisch günstige Arbeitsplätze geschaffen werden. Die Menschen müssen sich darüber hinaus gesundheitsgerecht verhalten, indem sie die angebotenen Möglichkeiten auch tatsächlich nutzen. Das kann beispielsweise die individuelle Einstellung von Tisch und Stuhl sein.

In diesem Zusammenhang wird auch von den individuellen Leistungsvoraussetzungen der Mitarbeiter gesprochen. Was ist darunter zu verstehen?

Jeder Mensch ist anders. Wir kommen ja nicht aus einer Maschine, die qualitätsgesichert immer gleiche Teile produziert. Die individuellen physischen und psychischen Leistungsvoraussetzungen sind dann auch je nach Trainings- und Ausbildungsstand verschieden. Geschlecht, Körperabmessungen und das Alter spielen natürlich auch eine Rolle.

Welche Rolle spielt hier das Alter, auch im Hinblick auf den demographischen Wandel?

Mit zunehmendem Alter verändern sich die Leistungsvoraussetzungen. Insbesondere die körperlichen und die an Sinnesorgane gebundenen Fähigkeiten nehmen ab. Andere bleiben gleich oder verbessern sich. So bleibt etwa die Lernfähigkeit gleich und die sozialen Fähigkeiten nehmen zu. Was beachtet werden muss, ist die größer werdende Spanne zwischen hoher und geringer Leistungsfähigkeit bei älteren Mitarbeitern. Hier spielen Faktoren wie Vorerkrankungen eine Rolle, während ein gesunder Lebenswandel sich natürlich positiv auswirkt.

Inwieweit lässt sich diese Leistungsvariabilität im Alter durch Hilfsmittel am Arbeitsplatz ausgleichen?

Eine gute ergonomische Gestaltung zeichnet sich durch Einstellmöglichkeiten aus, sodass jeder Mitarbeiter die für ihn günstigen Bedingungen herstellen kann. Diese technischen Voraussetzungen sind aber nur ein erster Schritt. Er braucht ebenso eine professionelle Betreuung bei der Festlegung der für ihn individuell optimalen Einstellungen. Das gemeinsam erarbeitete Ergebnis lässt sich durch farbliche Markierungen oder eine vorhandene Memoryfunktion bei einer elektrischen Höhenverstellung speichern.

Warum bringen einzelne, isolierte Maßnahmen meist nicht den gewünschten Erfolg?

Arbeit ist nicht statisch und kurzfristig, sondern dynamisch und langfristig. Wir müssen also den gesamten Arbeitsablauf betrachten und nicht nur einen kleinen Teilablauf optimieren. Und dann muss man immer auch in den Blick nehmen, ob das, was man auf diese Art und Weise tut, auch langfristig so ausgeführt werden kann. Das „Wegrationalisieren“ von Bewegungen am Arbeitsplatz, sodass man beispielsweise nicht mehr aufstehen und ein paar Schritte gehen muss, mag kurzfristig wirtschaftlich sein. Langfristig ist die Veränderung für den Beschäftigten eventuell aber nicht günstig.

Was sind aus Ihrer Sicht die Vorteile eines modularen Arbeitsplatzsystems auf Basis eines Baukastens bei der Umsetzung von Ergonomie am Arbeitsplatz?

Bei einem modularen System passt alles zusammen und es kann erweitert werden. Der Vorteil einer geschraubten Verbindung liegt darin, dass man sie wieder lösen kann. Das lernt der Maschinenbauer im ersten Semester. Und genau das ist auch der Vorteil von solchen Systemen, dass sie individuell an die Arbeitsaufgaben und an die Menschen angepasst werden können.

Ein oft genannter Einwand gegen ein solches Gesamtkonzept ist, dass Ergonomie schlicht zu teuer sei. Was stimmt an dieser Rechnung nicht?

Arbeitsplatzsysteme auf Basis eines Baukastens können ja mehrfach verwendet werden. Wenn es Änderungen im Produktspektrum gibt – was heutzutage oft vorkommt –, dann können diese Systeme angepasst werden und es muss nicht etwas Neues beschafft werden. Auf die Nutzungsdauer gerechnet, sind Arbeitsplatzsysteme nicht wirklich teurer.

Welche einfachen Hilfsmittel bei der Auswahl ergonomischer Betriebsausstattung gibt es?

Inzwischen gibt es Planungshilfen, Online-Konfiguratoren und digitale Ergonomiesysteme, mittels derer man bereits in der Planung den Menschen grafisch in den Arbeitsplatz integrieren kann. Sich im Vorfeld zu überlegen, wer welche Arbeitsabläufe an den einzelnen Arbeitsplätzen ausführt, vermeidet Änderungen. Der Planer sollte also ein Grundwissen in Ergonomie mitbringen.

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