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So verändert KI die Arbeit im Einkauf

TECHNIK+EINKAUF: Herr Vollmer, wo steht der Einkauf heute?

Marcell Vollmer: Der Einkauf befindet sich aktuell in einem starken Spannungsfeld. Eine ganze Palette neuer Technologien ist verfügbar – Robotic Process Automation, Machine Learning, KI, Blockchain und viele mehr. Noch geistern diese Technologien eher als Buzzwords herum und spielen nur in sehr fortschrittlichen Unternehmen eine tragende Rolle.

Aber es sind bereits ausgereifte Lösungen verfügbar – und die werden sich rasend schnell verbreiten. Unternehmen können damit ihre transaktionalen und operativen Prozesse nahezu vollständig automatisieren. Das ändert alles.

Otto Schell: Aus Sicht der SAP-Anwenderunternehmen kann ich bestätigen, dass wir an einem Wendepunkt stehen. In den letzten Jahrzehnten haben wir die Prozesse im Einkauf immer weiter gestrafft und vereinfacht, also klassische Optimierung betrieben. Jetzt müssen Entscheider komplett umdenken, denn es kommen völlig neue Faktoren ins Spiel.

Beispielsweise das Internet der Dinge: Bald bestellt nicht mehr der Einkäufer, sondern die Maschine selbst, wenn ihr Ölstand unter einen bestimmten Schwellenwert sinkt.

TECHNIK+EINKAUF: Werfen wir einen Blick voraus: Wo sehen Sie den Einkauf im Jahr 2025?

Vollmer: Systeme werden zunehmend eigenständig handeln, auch über Abteilungsgrenzen hinweg. Wenn Unternehmen beispielsweise einen neuen Mitarbeiter einstellen, müssen sie das Firmenhandy und den Laptop nicht mehr eigens bestellen. Stattdessen wird die Order automatisch angestoßen, sobald der – elektronische – Arbeitsvertrag unterschrieben ist. Auch der Vertrieb ist eingebunden: Wenn ein Kunde einen Vertrag unterzeichnet, bestellt das Warenlager selbsttätig die erforderlichen Produktionsmittel und plant die Herstellung. Dieses Konzept nennen wir „Intelligent Enterprise“ – integrierte Systeme wirken zusammen und erledigen vieles automatisch.

Schell: Darüber hinaus werden Einkäufer künftig auf ein riesiges Lieferanten-Netzwerk zugreifen und weniger Einzelverträge aushandeln. Und das mit größtem Komfort. Jeder, der einmal bei einem Einzelhändler im Internet bestellt hat, will diese Erfahrung auch im Geschäftsleben haben: Zwei, drei Klicks und ich bin da, wo ich hinwill.

Außerdem kann ich den gesamten Prozess nachverfolgen. Solche Plattform-Modelle werden sich auch in den Unternehmen durchsetzen und für mehr Transparenz, Flexibilität und Zusammenarbeit sorgen.

TECHNIK+EINKAUF: B2B-Unternehmen müssen also lernen von Amazon und Co.?

Schell: Genau. Das ist etwas, das viele Unternehmen jedoch nicht tun – lernen von denen, die es schon gemacht haben. Lieber sagt man: „Die werden mit ihrem Geschäftsmodell gegen die Wand fahren“. Aber das sagt man schon seit Jahren, und es passiert nicht. Von anderen Branchen lernen ist ganz wichtig. Wir alle brauchen diesen Austausch, es liegt momentan noch zu viel Potenzial auf der Straße.

Vollmer: Für dieses Potenzial kann ich ein Beispiel nennen: In meiner Zeit als Chief Procurement Officer bei SAP haben mein Team und ich SAP Ariba eingeführt und damit den Einkauf direkt mit unseren Lieferanten vernetzt. Zuvor war nur die Hälfte unserer Bestellungen und Rechnungen digital. Mit SAP Ariba konnten wir weitere 50 Prozent automatisieren. Damit haben wir unsere Kollegen entlastet und 20 Prozent mehr Produktivität erzielt.

TECHNIK+EINKAUF: Wo bleibt bei alldem der Mensch? Braucht der operative Einkauf überhaupt noch Mitarbeiter?

Schell: Die Einkaufsabteilung wird stärker strategische Aufgaben übernehmen, also die Regeln und Rahmenbedingungen festlegen oder den Markt sondieren und neue Lieferanten identifizieren.

Mitarbeiter haben also mehr und mehr beratende Funktion. Es gab schon immer Bestrebungen, den Einkäufer strategisch stärker einzubinden. Technologie macht das jetzt im großen Maßstab und hocheffektiv möglich.

Vollmer: Auf die Einkäufer kommt sicherlich eine Riesenveränderung zu. Gleichwohl bleiben sie sehr wichtig für ihr Unternehmen. Ich fasse das gern unter das Schlagwort „Powered by Data, Driven by People“: Wenn alle vorhersagbaren Prozesse automatisiert sind, wird der Mensch sich auf Ausnahmefälle konzentrieren.

Einkäufer sollten sich fragen: Wie kann ich meinen Wertbeitrag sicherstellen? Das geht beispielsweise, wenn sie aktiv Innovationen fördern, indem sie beispielsweise hochwertigere Werkstoffe von neuen Lieferanten für ihr Unternehmen sichern.

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