Isenburg

Insbesondere für die Großabnehmer von elektrischer Energie stellt sich die Situation durch die Energiewende verändert dar. War die den Verbrauchern im Netz zur Verfügung stehende Energie durch konventionelle Kern- und Kohlekraftwerke gut regelbar, dann liefern Windräder und Solarzellen abhängig von der Witterung elektrische Energie in das Stromnetz.

Flexibilität kann jedoch auch auf der Verbraucherseite zu Anpassungen führen. Gerade die Großkunden der Stromversorger wie Stahlwerke beginnen ihre Produktion an die im Übertragungsnetz zur Verfügung stehende Energie anzupassen. Im Rahmen des Projektes New 4.0 stellt sich die ArcelorMittal Hamburg GmbH dieser Aufgabe. Das Unternehmen wurde 1969 als Hamburger Stahlwerke GmbH gegründet und ist einer der größten Hersteller von Qualitätswalzdraht in Deutschland. Hierzu meint Projektingenieur und Energiemanager Dr. Matthias Weng vom Hamburger Stahlwerk: „Es geht darum, die Erzeugerseite, die mit ihren Windrädern volatil sein kann, und die Verbraucherseite, die eigentlich gerne mit einer konstanten Produktion arbeitet, in Einklang zu bringen. Diesem Umstand wollen wir begegnen, indem wir uns als Stahlwerk flexibel zeigen.“  Dazu wollen die Hamburger Stahlkocher, wenn viel Windstrom im Netz ist, mehr produzieren und in Zeiten mit weniger Energie im Netz auch weniger produzieren.

Eine Besonderheit ist die eigene Reduktionsanlage, in der ein Gemisch aus Kohlenmonoxid und Wasserstoff das Eisenerz in so genannten Eisenschwamm umwandelt. Dann folgen der Schmelzofen und die Pfannenöfen, wo der Eisenschwamm zusammen mit Stahlschrott aufgeschmolzen wird und die Zugabe von Legierungsbestandteilen erfolgt. In diesem Bereich werden pro Jahr etwa 1,1 Millionen Tonnen Stahl produziert. Der Stromverbrauch für den Schmelzbetrieb liegt zusammen mit der folgenden Strangguss-Anlage zur ersten Formgebung des Stahls bei etwa 600.000 MWh pro Jahr. Beim Betrieb des Schmelzofens kann das Hamburger Stahlwerk flexibel reagieren und mal mehr und mal weniger produzieren, erklärt Weng. Weiter meint der Energietechniker: „Der durchschnittliche Leistungsbezug beim Schmelzen liegt bei etwa 100 MW. Dort können wir Spielräume ausnutzen, die technisch möglich sind von +/- 10 MW. Damit ist eine Bandbreite von +/- 10 Prozent möglich.“

Netzstabilität gewährleisten

Jeder Übertragungsnetzbetreiber muss seine Netzstabilität aufrechterhalten. Wenn zum Beispiel schlagartig wenig Windstrom im Netz ist, droht das Stromnetz zusammenzubrechen. Hierzu Weng: „Dann können wir weniger Leistung aus dem Netz herausnehmen und sorgen für mehr Stabilität im Netz. Im umgekehrten Fall, wenn zu viel Windstrom im Netz ist, könnte uns der Übertragungsnetzbetreiber auffordern das Netz zu entlasten, und das Stahlwerk bezöge mehr Strom.“ Dabei erhalten die Übertragungsnetzbetreiber ihre Informationen von Prognosespezialisten für erneuerbare Energien, wie der enercast GmbH aus Kassel.

„Zum Handel mit Regelenergie gibt es einen virtuellen Marktplatz. In Abhängigkeit von unserem Produktionsplan können wir uns vorstellen, dort unsere Lastflexibilität anzubieten“, erklärt Weng die Idee. Für die Positionierung auf dem Marktplatz wird dann ein Leistungspreis festgelegt. Diese Haltung zur Energiewende kann betriebswirtschaftlich interessant werden, so die Bewertung Wengs zum auch Timeshift genannten Projekt. Die Frage, wo Weng die Stahlindustrie beim Thema Energie in 10 Jahren sieht, beantwortet der junge Mann mit: „Wir arbeiten daran, die Energiewende mitzuleben und eigene Ideen zu entwickeln.“ Dabei wendet der Energiespezialist des Stahlwerkes ein, das niemand wisse, wo die kritische Windstrom-Menge im Netz sei. Man müsse sich eben Schritt für Schritt herantesten, so Weng. Im Auge hat er dabei auch das 1,5 Grad Ziel der Klimaschutzkonferenz in Paris. Grundsätzlich stehen Energiemanager Weng und auch Geschäftsführer Lutz Bandusch der Energiewende positiv gegenüber. Herausforderungen sieht Weng noch bei der Regulatorik. Aber anders als vom Gesetzgeber derzeit noch gefordert, kann Stahlhersteller ArcelorMittal keine 98 Prozent Mindestverfügbarkeit zur Abnahme des Stroms leisten, da der geschmolzene Stahl zunächst weiterverarbeitet werden muss, bevor neu geschmolzen werden kann. Mehr Flexibilität auf Seiten des Gesetzgebers sei daher notwendig, heißt es.

Text und Bild: Dr. Thomas Isenburg

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