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(Bild: comzeal/AdobeStock)

Beim Laufen passieren im Kopf bisweilen die erstaunlichsten Dinge, fand Joschka Fischer heraus. Unternehmen, die schnell und flexibel auf Marktanforderungen und Kundenwünsche reagieren, wissen, was der ehemalige Bundesaußenminister und passionierte Marathonläufer meint: Agil wird nur, wer bereit ist, althergebrachte Denkweisen und Organisationsstrukturen zu ändern.

Ohne agile Methoden jedoch überleben Unternehmen nicht. Denn Produktlebenszyklen werden immer kürzer. Kunden wollen immer individueller bedient werden. Produzenten müssen daher immer schneller und häufiger neue Produkte entwickeln.

Mit agilen Methoden lassen Unternehmen Dampf ab

Auf diese Herausforderung reagieren immer mehr Organisationen, indem sie Entwicklungsprojekte mit agilen Methoden wie Design Thinking, Feature Driven Development, vor allem aber Scrum managen.

Auf Scrum, den aus IT-Projekten und dem IT-Management stammenden Ansatz, setzen neun von zehn Unternehmen, die agil arbeiten, ergab eine Umfrage des IT-Branchenverbands Bitkom.

Acht von zehn Unternehmen, die mit diesen Methoden arbeiten, sind laut einer Studie der Hochschule Koblenz davon überzeugt, dass sie dadurch in jedem zweiten Projekt Zeit und Kosten sparen und zugleich bessere Arbeitsergebnisse erzielen.

Agilität ist die Bereitschaft, mit Unvollendetem zu leben

Produkte agil zu entwickeln, heißt sie in kleinen, leichter überschau- und planbaren Schritten zu entwerfen. Agile Unternehmen arbeiten eine Innovation nicht erst bis zur Marktreife aus, stellen anschließend einen Prototyp her, und fertigen das endgültige Produkt nachdem sie diesen erfolgreich getestet haben.

Vielmehr legen sie die endgültigen Funktionalitäten und Spezifikationen erst während der Arbeit an dem Produkt fest.

Agile Methoden machen Projektarbeit zum Intervalltraining

Die Entwicklungsarbeit erfolgt zum Beispiel bei Scrum in kurzen Arbeitsabschnitten – sogenannten Sprints. Diese dauern oft nur wenige Wochen. Bei jedem Sprint entwickelt das Projektteam nur einige Funktionen oder Schritte des Fertigungsprozesses eines Produkts.

Ein Arbeitsabschnitt ist beendet, wenn die Ziele erreicht sind, die sich das Team für diesen Sprint gesetzt hat. Um das Projekt steuern zu können, wird ein Katalog aller noch zu erfüllenden Aufgaben geführt und ständig aktualisiert.

Autonome Teams und Agilität – Zwillinge aus demselben Ei

Wie ein Team seine Ziele erreicht, bestimmt es bei der Arbeit nach Scrum selbst. Eine aufwändige Projektplanung gibt es nicht. Die Teams organisieren sich selbst. Dazu treffen sie sich täglich zu zeitlich strikt begrenzten Kurzbesprechungen. Teammitglieder berichten dabei über den Fortschritt ihrer Arbeit und die Schwierigkeiten, auf die sie dabei stoßen.

Auch nach Abschluss eines Sprints bewertet das Team die dabei gemachten Erfahrungen und die erreichten Zwischenziele.

Kurze Kommunikationswege steigern die Motivation

Durch die kontinuierlichen, schnellen Feedbackschleifen behalten die Beteiligten den Überblick über das Projekt, können Ideen ohne lange Rücksprachen mit Vorgesetzten schnell ausprobieren und sind in den gesamten Entwicklungsprozess eingebunden.

Die intensive Kommunikation lässt das Team während eines Projektes ständig dazu lernen. Außerdem steigt die Motivation seiner Mitglieder und letztlich die Qualität des entwickelten Produkts.

Agilität – Antagonist des Einkaufs?

Was bedeutet das also für die Beschaffung in der Zukunft? Arbeiten Teams in Entwicklung und Produktion agil, stellen sie Einkäufer vor Herausforderungen, die sie so bislang nicht kannten. Beschaffer stellen sicher, dass Unternehmen rechtzeitig und vollständig mit Waren und Dienstleistungen in der geforderten Qualität und zu den bestmöglichen Konditionen beliefert werden.

Dazu erstellen sie detaillierte Lasten- und Pflichtenhefte für Lieferanten und schließen mit diesen oft langfristige Rahmen- und Lieferverträge, um bessere Preise zu erzielen.

Um so arbeiten zu können, brauchen Einkäufer Zeit. Die fehlt ihnen, wenn die Kollegen aus der Entwicklung agil arbeiten – eine grundlegende Veränderung, die klassische Konstellationen auf den Kopf stellt. Zwei von drei Befragten gaben in einer Studie der Unternehmensberatung Sopra Steria an, heute erheblich schneller Entscheidungen treffen zu müssen, als vor fünf Jahren. Jeder Zweite muss den Daumen zudem häufiger heben als früher.

Vorsprung durch Wissen

Um dieses Tempo mithalten zu können, müssen Einkäufer ihre Warengruppe sowie die technologische Entwicklung auf ihrem Beschaffungsmarkt hervorragend kennen. Außerdem müssen sie wissen, was Kunden von den Produkten ihres Unternehmens erwarten.

Nur mit diesem Wissensvorsprung können sie jederzeit auf Augenhöhe mit Kollegen aus der Entwicklung oder dem Controlling verhandeln. Bei einem agilen Entwicklungsprojekt ändern diese ihre Ansichten und Ansprüche an zu beschaffende Dienstleistungen, Komponenten und Bauteile in der Regel häufig und oft unvorhersehbar.

Automatisierung macht agil

Um Beschaffungsentscheidungen so schnell treffen zu können, wie agile Arbeitsweisen dies erfordern, müssen Einkäufer zudem schnell alle erforderlichen Teile-, Kosten- und Lieferantendaten zur Hand haben.

Alles, was sich mithilfe von RPA, Künstlicher Intelligenz oder Blockchain automatisieren lässt, sollten Einkaufsabteilungen deshalb automatisieren. So befreien sie Einkäufer auch von zeitraubenden operativen Aufgaben. Das verschafft der Beschaffung die Zeit, die sie braucht, um ihre Markt- und Technologiekenntnisse auf dem Stand zu halten, den agile Prozesse erfordern.

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Agilität stellt hohe Ansprüche ans Lieferantenmanagement

Wer Produkte agil entwickeln will, muss auch sein Lieferantenmanagment an die neue Arbeitsweise anpassen. Die an einem agilen Projekt beteiligten Kollegen sollten dazu gemeinsam definieren, welche Anforderungen sie an externe Partner stellen und welches Ergebnis sie erreichen wollen.

Der Einkauf muss seinen strategischen Partnern diese Erwartungen nachvollziehbar vermitteln und Verträge entwerfen, die die Besonderheiten agiler Zusammenarbeit abbilden. Sie müssen genau beschreiben, wie der Lieferant mit seinem Kunden zusammenarbeiten soll und definieren zu welchen Zwischenterminen welche Ergebnisse vorliegen müssen. Außerdem braucht es Vereinbarungen darüber, wie Partner honoriert werden, wenn sie Meilensteine erreicht haben.

Sind diese Voraussetzungen erfüllt, sprinten Einkäufer bei agilen Projekten gemeinsam mit ihren Zulieferern zum Erfolg.

Grafik agile Methoden
Laut einer Studie von BME und Entero nutzen rund vier Prozent der befragten Unternehmen agile Methoden im Einkauf, 14 Prozent testen sie und in 37 Prozent der befragten Unternehmen wird ein agiler Einkauf zumindest diskutiert. (Quelle: Entero)

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