Öl schmiert nicht nur Motoren, sondern auch die Wirtschaft. Und auch der Inflationsschock im Juli hatte viel mit dem Ölpreis zu tun. Doch welche Faktoren treiben derzeit eigentlich den Preis für den so wichtigen Rohstoff?
Die Antwort folgte prompt: Nur wenige Stunden nach der Veröffentlichung des alarmierenden Sachstandsberichts des UNO-Weltklimarats legten sich die chinesische und die australische Regierung fest: „Wir halten am bisherigen Klimakurs fest“, hieß es sinngemäß aus Peking und Canberra.
China ist der mit Abstand größte Netto-CO2-Emittent, Australien gehört zu den größten Pro-Kopf-Emittenten. Die Reaktion verdeutlicht, dass sich der IPCC-Bericht wohl kaum kurz- bis mittelfristig auf die Rohölpreise auswirken dürfte. Diese haben sich seit Oktober 2020 zeitweise mehr als verdoppelt und damit die Inflation in vielen Teilen der Welt angeheizt. 36 US-Dollar kostete Ende Oktober ein Fass der amerikanischen Referenzsorte WTI, 75 Dollar waren es Anfang Juli 2021, seither geht es wieder abwärts. Warum eigentlich?
Einfache Antworten gibt es im Hinblick auf den Ölpreis kaum. Ein Grund dafür ist der sinkende Einfluss des Opec-Kartells, dessen fünf Mitglieder (Saudi-Arabien, Iran, Kuwait, Venezuela, Vereinigte Arabische Emirate) inzwischen nur noch 40 Prozent der globalen Rohölproduktion fördern. Im halbjährlichen Turnus verabreden die Opec-Mitglieder gemeinsame Ölförderquoten mit dem Ziel, über das Angebot die Preise zu regulieren.
Förderkürzungen und -steigerungen der Opec wirken nur bedingt
Zuletzt hatte die Opec gemeinsam mit Russland im Juli beschlossen, die Ölproduktion um monatlich 400.000 Barrel pro Tag zu steigern und die seit über einem Jahr bestehende Produktionskürzung im September 2022 zu beenden. Während die Kürzungen im vergangenen Jahr für die Ölförderer den gewünschten Effekt hatten, spielen sie flexiblen Playern ebenfalls in die Hände, darunter der amerikanischen Fracking-Industrie.
Mit einer Förderung von zeitweise über 8 Millionen Barrel pro Tag sind die Schieferöl- und -gasförderer in Nordamerika längst ein gewichtiger Player. Insgesamt förderten die amerikanischen Produzenten 2019 über 12 Mio. Barrel/d – rund 14 Prozent des globalen Tagesbedarfs. Vor allem die Opec fürchtet inzwischen die amerikanische Konkurrenz, die sich nicht um Förderquoten schert, sondern für die lediglich ein Faktor zählt: der Preis pro Fass. Ab ca. 50 US-Dollar/Barrel lohnt sich Fracking und spült den Produzenten dringend benötigtes Geld in die Kasse.
Hier liegt auch die Limitierung für den Ausbau des Geschäfts: Waren in der Anfangszeit des US-Frackingbooms vor allem Investoren an dem Geschäftsmodell interessiert, müssen die Fracker inzwischen den Betrieb und den Ausbau ihrer Tätigkeit aus ihrem Cashflow finanzieren.
Auch deshalb hinkt die Antwort der Förderer inzwischen stärker dem Preisanstieg hinterher. „Die Ölpreise sind nach wie vor der wichtigste determinierende Faktor für die Ölförderung. Wenn also die Ölpreise rasch ansteigen, wie es im Szenario ‚Hoher Ölpreis‘ der Fall ist, dann würde die Förderung entsprechend folgen“, konstatiert die US-Energiebehörde Eia in ihrem jährlichen Energiebericht.
Erstmals seit anderthalb Jahren berichtete die Eia im August wieder von steigenden Produktionsmengen für Öl und Gas sowie einer wachsenden Zahl an Bohrplattformen.
China und Dollarkurs bleiben Zünglein an der Waage
Dass der Ölpreis Anfang August innerhalb weniger Tage um fast 10 Prozent gefallen ist, lag allerdings weder am Kräftemessen zwischen Opec und Frackern noch an der Ankündiguung der Opec, täglich 400.000 Barrel zusätzlich fördern zu wollen – denn so beeindruckend die Zahl auch scheinen mag, es ist nicht einmal ein halbes Prozent der aktuellen globalen Tagesproduktion.
Einen deutlich größeren Einfluss hatten dagegen neue Corona-Beschränkungen in China, der infolge starker Arbeitsmarktzahlen in den USA gestiegene Wechselkurs des Dollars sowie eher enttäuschende Import-Export-Zahlen aus China.
Welche Zukunftsstrategien haben die Erdöl-Konzerne?
Lange Zeit durfte Erdöl für eine Reihe von Staaten und globalen Konzernen als Gelddruckmaschine gelten. Dass das nicht auf ewig so weitergehen würde, dürfte den meisten Akteuren spätestens in den letzten Jahren bewusst geworden sein. Wer aber bisher davon ausging, sich weiter auf stabile Einnahmen aus dem Ölgeschäft verlassen und das Geschäftsmodell dabei über die Jahre allmählich auf nachhaltigere Felder erweitern zu können, den muss die Corona-Krise erschreckt haben – und zwar ebenfalls nachhaltig.
Zweifellos geht 2020 als eines der größten Krisenjahre der Ölindustrie in die Geschichte ein: Die Nachfrage nach Erdöl brach um knapp ein Viertel ein, der Ölpreis notierte zeitweise sogar im negativen Bereich. Diese Kombination sorgte beim jahrzehntelang gewinnverwöhnten „Big Oil“ für Rekordverluste.
Shell und Exxon Mobil verzeichneten für 2020 jeweils ein Minus von knapp 22 Milliarden US-Dollar. BP – mit einem Verlust von 6 Milliarden Dollar noch vergleichsweise glimpflich davongekommen – kündigte einen Abbau von 10.000 Stellen an, beim Konkurrenten Shell sollen es bis zu 9.000 Stellen werden.
Corona-Krise hat „nachhaltige“ Auswirkungen
Die Zahlen verdeutlichen das Ausmaß dieser Krise. Und auch die Ölkonzerne gehen mittlerweile davon aus, dass es nach Corona keine Rückkehr zur vergleichsweise gemütlichen Vor-Krisen-Welt geben wird. Zwar rechnet BP in seinem Energy Outlook 2020 damit, dass der globale Energiebedarf – getrieben von den Entwicklungsländern – auch in den nächsten Jahren steigen wird.
Schon jetzt ist aber absehbar, dass dieses Wachstum durch die Corona-Krise deutlich geringer ausfallen wird als ursprünglich angenommen. Dies liegt neben dem geringeren erwarteten Wirtschaftswachstum auch an sich ändernden Verhaltensweisen der Menschen im Zuge der Krise. So könnten Menschen weniger reisen, auf andere Verkehrsmittel umsteigen oder – auch in einer „Nach-Corona-Welt“ –häufiger von zu Hause arbeiten, glaubt BP.
Viele dieser möglichen Änderungen betreffen gerade den Ölverbrauch. Und so geht auch BP selbst im Falle von „Business-as-Usual“ nur noch von einer etwa gleichbleibenden Nachfrage nach Öl aus, die sich über die nächsten 20 Jahre stabil bei etwa 100 Millionen Barrel pro Tag ( Mb/d) einpendeln soll. 2050 läge man dann bei 95 Mb/d.
Glaubt man dagegen dem „Rapid“-Szenario, das weltweit wachsende Klima-Bemühungen miteinbezieht, hat die Ölnachfrage im Vorkrisenjahr 2019 bereits ihren Höhepunkt erreicht und wird nun kontinuierlich sinken: bis 2050 auf 55 Mb/d. Im Fall von „Net Zero“ – also einer weltweiten Klimapolitik, die das 1,5-Grad-Ziel noch erreichen will – könnte der Ölverbrauch sogar auf etwa 30 Mb/d sinken.
Und nicht nur der Verbrauch sinkt, auch die Preiserwartungen müssen die Ölkonzerne korrigieren: Bis 2050 rechnet BP nur noch mit einem durchschnittlichen Preis der Ölsorte Brent von 55 Dollar pro Fass. Das ist fast ein Drittel weniger als die Schätzungen vor der Krise.
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Ölkonzerne setzen auf Erneuerbare, Wasserstoff und Chemie
Viele Ölkonzerne haben daher den bisher eher gemächlichen Umbau ihres Geschäftsmodells nochmal deutlich beschleunigt. Ähnlich wie die Automobilindustrie stehen die Unternehmen dabei vor einem Dilemma: Während man den Zugang zu den angestammten Futtertrögen nicht verlieren will, um den teuren Umbau überhaupt finanzieren zu können, ist man gleichzeitig gezwungen, immer mehr Investitionen in den Aufbau der neuen Geschäftsfelder zu stecken. Ein durchaus nicht immer einfacher Balanceakt.
Und auch die Frage, wo denn die größten Zukunftschancen für die Unternehmen überhaupt liegen, ist alles andere als eindeutig. Vor allem die europäischen Konzerne setzen hier weiter auf den Bereich Energie, aber diesmal erneuerbare. So hat sich etwa Shell nicht nur das Ziel gesetzt, in Deutschland bis 2030 rund 1.000 Schnellladesäulen an seinen Tankstellen zu errichten, sondern auch eigene Offshore-Wind-Projekte voranzutreiben.
Der Strom soll dann auch für verschiedene Wasserstoff-Projekte wie in der Rheinland-Raffinerie Wesseling zum Einsatz kommen. Insgesamt will Shell zum „führenden Anbieter von grünem Wasserstoff für Industrie- und Transportkunden“ aufsteigen. Ähnliche Pläne gibt es bei BP, wo man die Investitionen in erneuerbare Energien bis 2030 auf jährlich 5 Milliarden Dollar steigern und die Erzeugung erneuerbarer Energien auf 50 GW erhöhen will. Die Produktion von Öl soll dagegen in den nächsten 10 Jahren um 40 Prozent sinken.
Die Corona-Pandemie hat auch in der Ölindustrie die Zeichen der Zeit geändert. Bild: ryanking999 – stock.adobe.com
Neben erneuerbaren Energien verlegen die Konzerne ihre Aktivitäten von der klassischen Ölförderung auch verstärkt in den Downstream-Bereich. Am deutlichsten ist diese Verschiebung bei OMV zu erkennen. Die Österreicher machten ihre Ambitionen schon im März 2020 klar, als sie ihren Anteil am Petrochemie-Unternehmen Borealis auf 75 Prozent aufstockten.
Mit den gemeinsamen Produktionskapazitäten soll das Unternehmen zur „Nummer 1 unter den Ethylen- und Propylenproduzenten in Europa“ und zu einem der zehn größten Polymerhersteller weltweit aufgestiegen sein. Diese Ambitionen untermauert das Unternehmen auch mit neuen Projekten in diesem Bereich, etwa mit der zuletzt angekündigten 40-Millionen-Euro-Investition am Chemiestandort Burghausen.
2021 kündigte OMV außerdem eine neue Unternehmensstruktur an, die „den Ausbau des Chemiegeschäfts deutlich voranbringen“ soll. Das Unternehmen sieht sich damit selbst auf dem Weg der „Vorwärtsintegration in den Chemiesektor“.
Vorsicht: Nicht alle sind dabei
Während also vor allem die europäischen Ölkonzerne schon einen deutlichen Schritt in eine neue Richtung gemacht haben, sind US-amerikanische Ölkonzerne wie Exxon oder Chevron noch deutlich zurückhaltender. Dies liegt sicher auch an einem deutlich anderen politischen Umfeld unter US-Präsident Trump, der das klassische Geschäftsmodell mit Deregulierung und immer neuen Bohrerlaubnissen förderte. Auch hier ändern sich jedoch allmählich die Zeichen der Zeit.