Ein Mitarbeiter im Dresdner Halbleiterwerk

Das Halbleiterwerk in Dresden ist Boschs erste AIoT-Fabrik. AIoT steht für die Kombination von Künstlicher Intelligenz und dem Internet der Dinge. (Bild: Bosch)

43 Milliarden Euro. So viele Subventionen für die europäische Halbleiterindustrie versprach EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton gestern bei der Vorstellung des European Chips Act in Brüssel. Für die Illustration hatte er eine Wafer-Scheibe mitgebracht, damit das Publikum sehen konnte, um was es genau geht.

Knapp zwei Jahre nach Beginn der Halbleiterkrise reagiert die Behörde damit auf die anhaltende Knappheit von Mikrochips. Das Geld soll dabei helfen, weitere Chipfabriken anzusiedeln und auf diese Weise die Versorgungssicherheit der europäischen Unternehmen stärken. Damit würden Vorkehrungen getroffen, "zukünftige Schocks für unsere Wirtschaft zu vermeiden, wie wir sie mit den derzeitigen Versorgungsengpässen bei Chips sehen", so Breton.

Die EU hat fünf spezifische Bereiche ausgemacht, die sie mit ihrer Förderung im Blick hat:

  • Forschung und Entwicklung,
  • Unterstützung von Start-ups,
  • der Weg vom Lab(or) zur Fab,
  • Errichtung entsprechender Produktionsstätten für allerlei Typen von Mikrochips,
  • Aufbau von dazugehörigen Lieferketten mit lokalen wie internationalen Partnern.

Das Ziel: Bis 2030 sollen 20 Prozent der weltweit produzierten Chips aus Europa stammen. Da Experten damit rechnen, dass sich der Markt bis dahin verdoppelt, bedeutet das: Die europäische Produktion muss sich vervierfachen. Aktuell beträgt ihr Anteil am Weltmarkt gerade einmal neun Prozent. Der Großteil der Halbleiter wird in Asien gefertigt, allen voran Taiwan, Südkorea und China.

Zwar glänzt Europa mit dem niederländischen Ausrüster ASML, der die Belichtungsmaschinen mit extrem-ultravioletter (EUV)Technik in alle Welt liefert, eine große Fab für Halbleiter, Testing- und Packaging-Anlagen sind jedoch nicht unter den Unternehmen.

So teilen sich die 43 Milliarden Euro auf

Die 43 Milliarden Euro, mit denen die EU jetzt wirbt, setzen sich zusammen aus unterschiedlichen Maßnahmen für unterschiedliche Töpfe.

Zum einen sieht die EU-Kommission elf Milliarden Euro an Subventionen für bereits vorhandene Forschung und Entwicklung im Rahmen eines erweiterten "Chips Joint Undertaking" vor. Das Geld soll für den Einsatz von fortschrittlichen Halbleiter-Tools, Pilotlinien für die Entwicklung von Prototypen und für das Testen von neuen Anwendungen genutzt werden. Auch die Weiterbildung von Mitarbeitern steht im Fokus. Das Geld soll aus Mitteln der EU, den Mitgliedsstaaten und Drittstaaten kommen, die mit den entsprechenden Programmen assoziiert sind. Bereits existierende Förderprogramme wie "Horizont Europe" und "Digitales Europe" sollen in diesen Topf einbezogen werden.

Mit dem Programm „Digitales Europa“ wird der Aufbau digitaler Kapazitäten, etwa in der Halbleitertechnologie, unterstützt. So sollen Leistungssteigerungen vor allem beim Hochleistungsrechnen, in der künstlichen Intelligenz und in der Cybersicherheit erreicht werden. Mit dem Programm „Horizont Europa“ werden neben der vorwettbewerblichen Forschung die technologische Entwicklung und Innovation im Bereich Werkstoffe und Halbleiter unterstützt.

Baustein Nummer zwei ist ein "Chip-Fonds". Dieser wird laut EU mit einem Kapital von zwei Milliarden Euro für Start-ups, Scale-ups und andere Unternehmen in der Lieferkette ausgestattet. Er soll die Anfangsfinanzierung erleichtern, sodass auch mittelständische Unternehmen ihre Innovationen entwickeln können und die Chance erhalten, im zweiten Schritt größere Investoren an Land zu ziehen.

Darüber hinaus sollen die Mitgliedsstaaten selbst zusätzliche 30 Milliarden Euro an Beihilfen genehmigen dürfen. Das soll insgesamt größere Subventionen in Investitionsprojekte erlauben - etwa die Ansiedelung einer neuen Halbleiterfabrik. In bestimmten Fällen "kann es gerechtfertigt sein, eine nachgewiesene Finanzierungslücke bis zu 100 Prozent mit öffentlichen Mitteln zu decken", heißt es in der Mitteilung der EU-Kommission. Die Voraussetzung für die Förderung: Anlagen müssen in Europa "die ersten ihrer Art" sein.

Unterschied zu IPCEI

Um die Halbleiterindustrie zu stärken, bereiten 18 EU-Mitgliedsstaaten aktuell ein zweites Projekt von gemeinsamem europäischen Interesse (IPCEI) für den Bereich Mikroelektronik und Kommunikationstechnik vor. IPCEI erlaubt den Ländern, mit öffentlichen Mitteln Projekte zu kofinanzieren, sofern es sich um große, integrierte und grenzüberschreitende Projekte handelt. Diese sollen die Voraussetzungen für "bahnbrechende Innovationen in Schlüsselsektoren und -technologien" sein. Auch die erste gewerbliche Nutzung darf gefördert werden. Insgesamt ist von 145 Milliarden Euro Subventionen in den Jahren ab 2025 die Rede.

Die Förderungen im Rahmen des European Chip Act sollen IPCEI-Förderungen also ergänzen, da sie die Voraussetzung der erstmaligen Anwendung einer Technologie lediglich auf Europa beschränken und nicht - wie IPCEI - auf die erstmalige Anwendung weltweit.

Damit wäre beispielsweise die Unterstützung des von Intel angedachten europäischen Fab-Komplexes möglich geworden. "Wir würden an unserem neuen Standort über ein Jahrzehnt hinweg sechs bis acht Fabs errichten", hatte Intel-Chef Pat Gelsinger im "Handelsblatt" letztes Jahr verkündet. "Das wäre das mit Abstand größte Fab-Projekt auf europäischem Boden aller Zeiten."

Chips Act muss noch beschlossen werden

Das Europäische Parlament und die Mitgliedstaaten müssen dem Vorschlag für den European Chips Act nun noch zustimmen. In der Zwischenzeit will die EU-Kommission eine "europäische Expertengruppe für Halbleiter" gründen. Diese soll im Europäischen Halbleitergremium aufgehen, sobald der Chips Act verabschiedet wurde.

Diese Experten sollen die aktuelle Lage des weltweiten Chipmangels auswerten und zusammen mit den EU-Mitgliedsstaaten kurz- und langfristige Maßnahmen zur Besserung der Liefersituation schaffen. Vorbild dafür ist die USA, die ein ähnliches Gremium hat.

Podcast: ZVEI-Präsident über den Halbleitermangel und die Elektroindustrie

So fördern andere Länder ihre Halbleiterindustrie

Die EU reagiert mit dem Chips Act auf Initiativen in anderen Regionen der Welt. Laut Nord LB habe China Schätzungen zur Folge im Rahmen seiner Initiative „Made in China 2025“ in den letzten zehn Jahren rund 150 Milliarden US-Dollar in seine Hochtechnologie investiert. Wie das Fachmedium Technode berichtet, soll die chinesische Regierung allein 2020 Halbleiter-Konzerne mit Direktzahlungen in Höhe von mindestens 35 Milliarden US-Dollar unterstützt haben. Dies sei eine Steigerung von über 400 Prozent im Vergleich zum vorangegangenen Jahr. Das private Risikokapital stieg im selben Zeitraum fast ebenso steil an. Nach den US-Sanktionen, die Ex-Präsident Donald Trump über den chinesischen Smartphone-Hersteller Huawei verhängt hatte, wird die technologische Selbstversorgung für China zur nationalen Sicherheitsfrage - entsprechend viel Geld fließt.

Japan hat angekündigt, 8 Milliarden US-Dollar für inländische Investitionen in Halbleiter zur Verfügung zu stellen. Diese sollen zusätzlich durch private Mittel ergänzt werden. Südkorea unterstützt seine Halbleiterindustrie mit der K-Semiconductor-Belt-Strategie durch steuerliche Anreize, die laut der Semiconductor Industry Association (SIA) bis 2030 auf 450 Milliarden US-Dollar geschätzt werden.

Und auch die USA haben im vergangenen Jahr ihren Chips Act durch Senat und Repräsentantenhaus bekommen: Die Hauptbestandteile sind ein 52-Milliarden-Dollar-Paket für Zuschüsse an die Halbleiterindustrie für Forschung, Produktion und Chip-Design. Zudem sollen mit weiteren 45 Milliarden Dollar die Lieferketten für Hightech-Produkte gestärkt werden, schreibt das Magazin Time.

Kommentar

Portrait Dörte Neitzel
Dörte Neitzel, Redakteurin Technik-Einkauf.de, Volkswirtin und interessiert am ganzen Halbleiter-Schnickschnack.

43 Milliarden Euro will die EU also lockermachen. Für mehr Halbleiter. Hört oder liest sich doch super, oder? Aber schauen wir doch mal genauer hin. Denn es gibt mitnichten ein volles EU-Konto, von dem Halbleiterunternehmen mit entsprechendem Subventionswunsch eine entsprechende Überweisung erhalten könnten. Vielmehr geht es beim größten Batzen, den 30 Milliarden, darum, dass die EU es den Mitgliedsländern ermöglicht, (ihren) Unternehmen Staatshilfen in bislang nicht gekannten Dimensionen zukommen zu lassen. Ein kleiner, aber feiner Unterschied.

Gehen wir jetzt mal davon aus, dass Intel seine Pläne wahrmacht und seinen Halbleiterkomplex mit sechs bis acht Fabs in den kommenden zehn Jahren in der EU hochzieht. Rechnet man eine Fab mit etwa zehn Milliarden Euro ein und den geforderten Subventionen von gut 40 Prozent, stehen summasummarum zwischen 20 und 30 Milliarden Euro auf Intels Wunschzettel. Das wiederum werden sich nur wenige Länder leisten wollen und vor allem können. Spontan würden mir Deutschland, Frankreich und vielleicht noch Italien einfallen. Alleine mit einem solchen Mega-Projekt wären die angedachten 30 Milliarden Euro aus dem Chips Act bereits verplant.

Ein weiterer Punkt ist der Mangel an Arbeitskräften. Unternehmen wie Bosch oder Infineon fangen jetzt schon das große Zähneklappern an, wenn sie daran denken, wie viele "High Potentials" sie an die Konkurrenz namens Intel verlieren könnten. Denn logischerweise wird Intel dort hingehen, wo es eine entsprechende Infrastruktur, Fachkräfte und Kunden vorfindet. Und wie schaut es aus mit den Kapazitäten? Züchten wir uns mit neuen Giga-Fabs nicht vielleicht massive Überkapazitäten heran? Immerhin wird gerne behauptet, dass die Halbleiterversorgung einem Schweinezyklus folgt: Es gibt immer entweder zu viel oder zu wenig.

Keine Frage: Hierzulande - und damit meine ich ganz Europa - muss etwas in Sachen Halbleiter getan werden. Sollen wir aber wirklich in einen Subventionswettlauf einsteigen, bei dem andere Länder lange vor uns gestartet sind? Und den wir zumindest gegen China in jedem Fall verlieren werden. Gibt es vielleicht noch andere Möglichkeiten, wie Unternehmen flexibler werden könnten? Immerhin hat es Tesla während der Halbleiterkrise geschafft, seinen Laden besser am Laufen zu halten als hiesige "Vorzeigeunternehmen" wie BMW oder VW. Musk ließ flugs andere Chips verbauen und passte die Software an. Woher kommt nur diese Agilität?

Der European Chips Act kann also eigentlich nur ein Baustein sein in einem kompletten Ökosystem zur Wiederbelebung der Halbleiterindustrie auf diesem Kontinent. Dazu gehören neue Halbleiterwerke (kein Zweifel), aber vor allem ein Verständnis für die hiesigen Bedürfnisse der Abnehmer - und eben keine prestigeträchtige 2-nm-Fab. Dass dazu massive staatliche Gelder fließen dürfen, mag Hardcore-Liberalen ein Dorn im Auge sein, für mich ist es nur konsequent. Denn alleine bekommt die hiesige Industrie die Folgen dieses Markt- und Staatsversagens auf der Halbleiter-Bühne eher nicht mehr in den Griff. Dafür hat man sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten zu sehr darauf verlassen, dass die Lieferketten halten und die Digitalisierung und Elektrifizierung vielleicht doch nur ein vorübergehendes Phänomen sein könnte.

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