Lieferketten Transport

Durch die Coronakrise wurde nochmal deutlicher wie wichtig unsere globalen Lieferketten sind. - (Bild: Adobe Stock/kamonrat)

In den letzten zwei Dekaden nahm die Globalisierung rapide zu. Rohmaterialen werden heute auf weltweiten Märkten gehandelt, Vor- sowie Endprodukte insbesondere in den aufstrebenden Ländern Asiens gefertigt. All dies führt dazu, dass Produktions- und Lieferketten immer weiter verzahnt und auf Effizienz getrimmt werden. Von Agrarprodukten, über medizinische Ausrüstung bis hin zu Bausteilen für die Automobilindustrie. Gerade letztere war und ist ein Paradebeispiel für diesen Trend. Baugruppen und deren Vorprodukte reisen teilweise mehrmals zwischen Kontinenten hin und her, bevor sie genau dann ans Fertigungsband geliefert werden, wenn das Auto nach den individuellen Wünschen der Kunden gebaut wird. Dies minimiert Kosten in der Beschaffung und Lagerhaltung, birgt aber auch Risiken.

Nicht erst durch die COVID-19 Pandemie, sondern bereits durch die wirtschafts- und geopolitischen Verwerfungen in den letzten Jahren wurden in den Stabsabteilungen der Unternehmen Risikoanalysen und Notfallpläne entwickelt, um Lieferketten vor Verwerfungen zu schützen. Dass dies kein einfaches Unterfangen ist, zeigte die dramatische Situation in der deutschen Industrie im ersten Quartal 2020. In einem Großteil der Unternehmen kam es zu Lieferengpässen oder Ausfällen von Zulieferern.

Drei zukünftige Trends

Mehr Transparenz. Um solche Risken aktiv managen zu können, müssen die Strategen in den Unternehmen wissen, welche  oder globalen Ereignisse in welchem Ausmaß ein Risiko für die Lieferfähigkeit des Unternehmens darstellen. Es mag paradox erscheinen, aber durch die hochgradige Arbeitsteilung und rechtliche Konstruktion der Verträge ist dies den meisten Unternehmen nicht zwingend bekannt. Die Transparenz ist auf der ersten Ebene der Zulieferbeziehung noch sehr gut, doch auf der zweiten, dritten und vierten Ebene fehlt sie oftmals. Hier werden Unternehmen in Zukunft deutlich mehr investieren (müssen).

Bessere Nachverfolgung. Ein zweiter Trend wird die noch schneller voranschreitende Digitalisierung der Lieferketten sein. Mit neuen Technologien wie Blockchain lassen sich die Lieferwege eines jeden (Vor-)Produkts in Echtzeit lückenlos nachvollziehen. Die verbesserte Nachverfolgung wird helfen, Risiken früher und schneller zu erkennen.

Optimiertes Design von Lieferketten. Allerdings bleibt es Unternehmen auch mit den beiden zuvor genannten Maßnahmen oftmals nur übrig, passiv auf die Verwerfungen zu reagieren, da sich Lieferketten nicht im Handumdrehen umstrukturieren lassen. In der Konsumgüterindustrie ist dies noch in wenigen Wochen oder Monaten möglich, in der Pharma- und Automobilindustrie hingegen dauert der Prozess oftmals Jahre. Unternehmen werden sich also die Frage stellen müssen, wie die Lieferketten zukünftig optimalerweise ausgestaltet sein müssen, um Risken zu vermeiden und dem Unternehmen bestmögliche Resilienz zu bieten.

Lieferketten als strategisches Problem

Optimierte Lieferketten sind wie ein Uhrwerk, bei dem die Zahnräder nahtlos ineinandergreifen und sekundengenau dem Takt der Fertigung folgen. Das bedeutet aber auch, dass jede Abweichung von diesem Zustand zusätzliche Kosten für Unternehmen impliziert – Kosten für alternative Lieferwege, erhöhten Kapitalaufwand in der Lager- und Vorratshaltung oder längere Durchlaufzeiten vom Vorprodukt bis zum Endkunden. Die optimale Ausgestaltung von resilienteren Lieferketten ist somit ein hochkomplexes und strategisches Problem, bei dem es im Kern um die Abwägung zwischen zusätzlichen Kosten bei der Abweichung vom effizienten Optimum und der zu erwartenden Versicherung gegen Ausfälle bei der Ergreifung von bestimmten Maßnahmen geht. Welche Schritte kommen dafür in Frage?

Lagerhaltung: Naheliegend ist die Idee, einfach die Lagerbestände zu erhöhen, um Lieferausfälle von Vorlieferanten abfedern zu können. Dies mag über wenige Wochen eine Lösung sein, bei einer Pandemie, die über Monate wütet, ist das aber kein realistisches Szenario. Ein Unternehmen wie BMW mit einem Zukaufanteil von einem mittleren zweistelligen
Milliardenbetrag, müsste Waren im Wert von 20-30 Mrd. Euro in Lagern halten, um die Produktion garantiert über sechs Monate aufrechterhalten zu können.

Mehrlieferantenstrategien: Eine weitere Lösung könnte es sein, mehrere Lieferanten für dasselbe Vorprodukt zu beauftragen, die aber an unterschiedlichen Orten produzieren (sogenanntes "multi sourcing"). Dies ist sinnvoll, wenn die Lieferanten wechselseitig auch in der Lage wären, einen Komplettausfall des jeweils anderen zu kompensieren. Es bedeutet aber auch, dass jeder Lieferant bei einer 50/50 Aufteilung, doppelt so viel Produktionskapazität und
geschultes Personal vorhalten müsste, wie in Normalzeiten benötigt wird. Und selbst in diesem Fall, wäre es kein Schutz gegen eine globale Pandemie, die gleichzeitig in Asien, Europa und Amerika wütet.

Lokalisierung: Ein Reflex, dem viele Unternehmen folgen, ist die Idee, Vorprodukte wieder näher an die eigene Fertigung zu holen. Auch dies wird keine alleinige Versicherung sein, wie die deutschlandweiten Probleme in den letzten Wochen gezeigt hatten.

Das Dilemma der Absicherung

Keine der obengenannten Ansätze kann also alleine die gewünschte Resilienz herbeiführen, sondern nur einen Beitrag zur Absicherung von Lieferketten leisten.

Obwohl diese Maßnahmen momentan intensiv diskutiert werden, ist paradoxerweise jede davon aus ökonomischer Sicht für Unternehmen nur schwer durchhaltbar. In Normalzeiten müssten Unternehmen enorme Summen aufwenden, um sich die oben beschriebenen Versicherungen zu leisten, verlieren damit aber Kostenvorteile im internationalen Wettbewerb und somit Marktanteile. In Zeiten ohne Katastrophenmeldungen wird sich ein kurzfristig incentivierter Manager im Zweifelsfall somit den Versicherungsaufwand sparen.

Dies mag für privatwirtschaftliche Unternehmen eine ganz individuelle und unternehmerische Entscheidung sein, in Bereichen wie der Medizintechnik wird es aber – nach den Erfahrungen der COVID-19 Pandemie – im nationalen Interesse liegen, dass medizinische Ausrüstung zu jedem Zeitpunkt in hinreichender Zahl in eigenen Land produziert werden kann. In Deutschland hatten wir das enorme Glück, dass einer der Weltmarktführer für Beatmungsgeräte hierzulande ansässig ist und die Bundesregierung schnell 10.000 Geräte beauftragen konnte. In Ländern wie Großbritannien oder den USA mussten überstürzt industrielle Konsortien gebildet werden oder Industrieunternehmen per Gesetz dazu gezwungen werden, kritische Ausrüstung zu produzieren.

Eine Hypothese

Wenn es also weder eine Vollkaskoversicherung gibt, noch die Unternehmen in Normalzeiten einen Anreiz haben, die Kosten einer Teilkaskoversicherung dauerhaft zu tragen, wie kann dann eine mögliche Lösung aussehen? Sowohl auf Unternehmensebene als auch auf nationaler Ebene wird es darum gehen, größtmögliche Flexibilität und die benötigten Fähigkeiten in den nationalen Liefer- und Produktionsnetzwerken zu halten.

Es macht aus ökonomischer Sicht wenig Sinn, dass Deutschland in Normalzeiten Masken oder Desinfektionsmittel in großem Stil produziert. Andere Länder haben in diesem Bereich komparative Vorteile. Es wird aber darum gehen, die Fähigkeit und Kapazitäten vorzuhalten und bei Bedarf aktivieren zu können. Dabei geht es nicht darum, in leerstehende und voll
ausgestattete Produktionshallen oder prallgefüllte Lager zu investieren. Es reicht aus, wenn zum Beispiel ein Parfümhersteller wie LVMH in Frankreich die Produktion von einem Tag auf den anderen von Parfüm auf Desinfektionsmittel umstellen könnte – die nationale Nachfrage wäre damit befriedigt. In Normalzeiten wird importiert, in Krisenzeiten die "strategische Reserve" aktiviert. BMW strebt in einem anderen Kontext eine ganz ähnliche Lösung im eigenen Interesse an. Der Autobauer möchte demnächst auf ein und derselben Produktionslinie Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor und Elektromotor bauen können. Dies ist sicher teurer als zwei individuelle, hochgradig optimierte Produktionslinien, aber eben auch eine Versicherung gegen sich verändernde Nachfragemuster.

Da es nicht zwingend im Interesse eines jeden Unternehmens ist, die aus nationaler Sicht benötigten Fähigkeiten und Kapazitäten vorzuhalten, wird der Staat aktiv werden müssen, ähnlich wie wir es aus den Industrien von nationalem Interesse bereits kennen, zum Beispiel beim Flugzeugbau oder der Wehrtechnik. Dort zahlt der Staat bewusst dafür, Technologien, Fähigkeiten und Produktionskapazitäten im eigenen Land zu halten und sich so einen Grad an Autarkie zu sichern – insbesondere in Krisenzeiten.                                                                                                                    Quelle: tws partners

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