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Synfuels statt Benzin im Tank? (Bild: nrqemi/AdobeStock)

In den Wäldern nördlich von Karlsruhe brüllen seit einem Jahr die Tiger. Zumindest jene, die sich Autofahrer in den Tank füllen können. In zwei Containern auf dem Campus Nord des Karlsruher Instituts für Technologie stellt das Start up Ineratec synthetische Kraftstoffe her.

Auch Shell mischt seinem V-Power-Diesel schon heute fünf Prozent solcher auch Syn- oder E-Fuels genannten Treibstoffe bei. In den Niederlanden gibt es Synfuels an Tankstellen auch von anderen Konzernen.

Moderne Alchemie: Aus Wasser Sprit machen

Um synthetischen Sprit zu gewinnen, spaltet Ineratec mit Hilfe großer Mengen Stroms Wasser durch Elektrolyse in Wasserstoff- und Sauerstoff. Der Wasserstoff lässt sich wiederum mit Kohlendioxid verbinden. Dadurch entsteht Methan – auch als Erdgas bekannt.

Dieses wiederum kann durch Syntheseverfahren zu Kohlenwasserstoffen wie Benzin, Diesel oder auch Methanol, also synthetischen Kraftstoffen, weiterverarbeitet werden.

Industrieabgase und Biogasanlagen liefern das benötigte Kohlendioxid

Das für diesen „Power-to-x“ genannten Herstellungsprozess benötigte Kohlendioxid lässt sich aus Industrieabgasen oder Gärungsvorgängen in Biogasanlagen abscheiden sowie mit speziellen Filtern aus der Luft gewinnen.

Wissenschaftler und Politiker hoffen daher, Benzin und Diesel aus Erdöl schon bald mit synthetischen Kraftstoffen ersetzen und so das Klimaproblem lösen zu können.

Klimaschutz ohne Mehraufwand

Synfuels unterscheiden sich technisch nicht von herkömmlichen Kraftstoffen. Deshalb lässt sich schon heute jeder Motor fast ohne Umbauten mit ihnen betreiben. Selbst Oldtimer nehmen dabei keinen Schaden.

Bei der Synthese des Methans zu Kohlenwasserstoffen kann die Prozessindustrie synthetischen Kraftstoffen zudem gezielt Eigenschaften verpassen, so dass mit ihnen betriebene Motoren den Brennstoff nahezu ruß- und schwefelfrei verbrennen, erheblich weniger Feinstaub und Co2 emittieren und zudem kälteunempfindlich sind.

Synthetisches Gas heizt Gebäude

Das gilt auch für synthetisch gewonnenes Gas. Dieses lässt sich als Kraftstoff ebenso nutzen wie beim Betrieb von Heizungen in Gebäuden oder in der chemischen Industrie.
All diese Vorteile bieten E-Fuels schon heute. Die Technologie zu ihrer Herstellung ist marktreif.

Synfuels statt Benzin im Tank? (Bild: nrqemi/AdobeStock)

Auch die vorhandene Tank- und Lagerinfrastruktur können Mineralölkonzerne für synthetische Kraftstoffe nutzen. Anders als bei Brennstoffzellenantrieben müssen sie Tankstellen nicht erst umrüsten.

Keine Mehrbelastung für die Autoindustrie

Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer hält synthetische Kraftstoffe daher für den weißen Ritter, mit dessen Hilfe er die deutschen Klimaschutzverpflichtungen erfüllen kann, ohne die Automobilindustrie zu belasten. Seine Hoffnung ist nicht unbegründet.

Auch 2025 werden mehr als drei von vier Pkw nach wie vor von Verbrennungs- oder Dieselmotoren angetrieben. Das prognostiziert der Verband der Automobilindustrie. Der Co2-Ausstoß dieser Fahrzeuge ließe sich mit synthetischem Benzin oder Diesel ohne weitere Maßnahmen sofort senken.

Schneller Beitrag für den Klimaschutz

Nach Berechnungen des Automobilzulieferers Mahle ist der Nutzen synthetischer Kraftstoffe für das Klima daher um das Zwanzigfache größer als der Verkauf emissionsfreier Neuwagen. Diese entfalten erst nach dem Austausch des gesamten deutschen Fahrzeugbestands einen erkennbaren Nutzen. Das aber kann dauern.

Würden Mineralölkonzerne ihren Kraftstoffen nur 20 Prozent Synfuels beimischen, sänken die Emissionen im Verkehrssektor dagegen sofort um 17 Prozent, so Mahle.

Pilotanlagen bei Audi, Lufthansa und Shell

An dieses Potenzial glaubt nicht nur Verkehrsminister Scheuer. Auch seine Freunde in der Automobilindustrie, Mineralölwirtschaft und Luftfahrt setzen große Hoffnungen in E-Fuels. Audi betreibt schon seit Jahren eine Power-to-X-Anlage im niedersächsischen Werlte.

Shell baut seit Ende Juni eine Elektrolyse-Station im Rheinland. In Schleswig-Holstein stellt die Raffinerie in Heide für Lufthansa in einem Pilotprojekt synthetisches Kerosin her.

Power-to-X macht Luft- und Seefahrt klimaneutral

Im Jahr 2050 werden Power-to-X-Anlagen in der EU 70 Prozent des Energiebedarfs des Verkehrssektors decken, stellt auch die Deutsche Energieagentur (dena) in einer Studie fest. „Der größte Teil dieser E-Fuels wird dabei für den Flug-, Schiffs- und Straßengüterverkehr benötigt“, so die dena.

Für diese Transportsparten sind noch lange keine Antriebe in Sicht, die ihre Energie aus Batterien beziehen.

Die Energie von 6.000 Atomkraftwerken

Auf dem Weltmarkt könnte 2050 synthetischer Sprit gehandelt werden, der so viel Energie enthält wie 20.000 Terrawattstunden Strom. Dazu müssen Öl- und Energiekonzerne Power-to-X-Anlagen mit einer Leistung von bis zu 6000 Gigawatt bauen, hat das Beratungsunternehmen Frontier Economics in einer Studie im Auftrag des Weltenergierats Deutschland errechnet.

Genau damit haben die Berater auch das Problem synthetischer Kraftstoffe beschrieben. Denn 6000 Gigawatt entsprechen der Leistung von etwa gleich vielen Atomkraftwerken.

Das Problem: Der Strom reicht nicht

Doch wenn synthetische Kraftstoffe einen Beitrag zum Klimaschutz leisten sollen, müssen sie mit Strom aus erneuerbaren Energien produziert werden. „Die Klimabilanz von strombasierten Kraftstoffen hängt neben der Effizienz der Produktion von der Herkunft des Stroms ab“, stellt die Bundesregierung in der Antwort auf eine Anfrage der FDP-Fraktion im Bundestag fest.

Noch gibt es in Deutschland jedoch nicht ausreichend Wind- und Sonnenstrom.

Klimaschonend fahren? Nur wenn der Wind weht

Um die durch den Straßenverkehr verursachten Emissionen in Höhe von zwölf Millionen Tonnen Kohlendioxid mit Hilfe synthetischen Benzins oder Diesels zu reduzieren, bräuchte es 110 Terrawattstunden Strom, rechnet die Umweltschutzorganisation Greenpeace vor.

Das entspricht fast genau der Strommenge, die alle in Deutschland installierten Windräder produzieren. Sie speisten 2018 etwas mehr als 111 Terrawattstunden ins Netz ein, so das dem Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE).

Um das 2018 auf deutschen Flughäfen von Airlines getankte Kerosin durch E-Fuels zu ersetzen, bräuchte es weitere 200 Terrawattstunden Strom, sagt Greenpeace. Insgesamt stammten dem Fraunhofer ISE zufolge in Deutschland 2018 jedoch nur 219 Terrawattstunden Strom aus erneuerbaren Energiequellen.

Power-to-X-Industrie entsteht nicht in Deutschland

Da sich in Deutschland wohl auch 2050 nicht genug grüner Strom wird produzieren lassen, um den Bedarf der Industrie sowie der privaten Haushalte zu befriedigen, und klimaneutral E-Fuels herzustellen, wird hierzulande auch keine nennenswerte Power-to-X-Industrie entstehen.

Das geschieht eher in wind- und sonnenreichen Regionen wie Nordafrika, Patagonien oder Australien, erwarten Wissenschaftler. Zumal sich Synfuels aufgrund ihrer hohen Energiedichte wirtschaftlich sinnvoll über weite Strecken transportieren lassen.

Hohe Energiedichte, bescheidener Wirkungsgrad

Ob alternative Kraftstoffe auch technisch sinnvoll sind, bezweifeln Kritiker dagegen. Denn so groß ihr Beitrag für den Klimaschutz sein kann, so gering ist ihr Wirkungsgrad. Bei den zahlreichen Umwandlungsschritten im Zuge eines Power-to-X-Prozesses geht von der eingesetzten Energie so viel verloren, dass am Schluss nur knapp ein Drittel in Fortbewegung umgesetzt wird.

Bei Elektroautos liegt der Gesamtwirkungsgrad dagegen bei 70 Prozent. Deshalb benötigt ein mit synthetischen Kraftstoffen betriebener Benziner oder Diesel 103 Kilowattstunden Strom, um 100 Kilometer weit zu fahren. Ein E-Motor kommt mit 15 Kilowattstunden aus. Das ist fast sieben Mal weniger.

Entsprechend müssten für die Herstellung von Synfuels sieben Mal so viele Windräder und Solaranlagen gebaut werden, wie bei einer Energiewende, die auf Elektromobilität setzt. Das ist teuer und macht es letztlich nur für Airlines, Reedereien und Schwerlastspeditionen rentabel, sich mit synthetischen Kraftstoffen den Tiger in den Tank zu holen.

Autor: Gerd Meyring

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