Seit dem frühen Dienstagmorgen (23.3.2021) geht im Suezkanal nichts mehr. Ein 400 Meter langes Containerschiff hat sich quer gestellt und blockiert eine der wichtigsten Transportrouten der Welt. Der Frachter mit dem Namen Ever Given hat den Kanal laut City AM. Er ist auf dem Weg nach Rotterdam von Yantian in China. Durch die Havarie könnten sich auch Lieferungen von Öl und Gas verzögern.
Die Ever Given hat sich mit dem Bug auf der Ostseite des Kanals festgefahren. Das Heck zeigt auf das gegenüberliegende Ufer. Daher staut sich der Verkehr auch in beide Richtungen. Wie die Nachrichtenagentur Bloomberg berichtet, sollen schon mehr als hundert Schiffe im Stau stehen.
Wie schnell das Containerschiff wieder weiterfahren kann, steht nicht fest. Nach Tracking-Angaben von Refinitiv Eikon kamen dem Frachter bislang sieben Schlepper zu Hilfe und auch Bagger sollen den Bug befreien - aber ohne Erfolg.
Zum Vorfall selbst gibt es unterschiedliche Meldungen. Laut City AM sagt der Schiffseigner, dass es einen "starken Wind" gegeben hätte, sodass den Schiffsrumpf vom Weg abgekommen und auf Grund gelaufen sei. Spiegel Online dagegen berichtet von einem Sandsturm und schlechter Sicht. Die britische BBC zitiert lokale Medien, nach denen technische Probleme für den Kontrollverlust verantwortlich seien.
Die Ever Given fährt unter der Flagge von Panama und wurde 2018 gebaut.
Milliardenschaden für Weltwirtschaft - steigt der Ölpreis?
Wie abhängig die Weltwirtschaft von der knapp 200 Kilometer langen Verbindung zweier Meere ist, zeigt sich in aktuellen Schätzungen: Für große Schiffe bedeutet jeder Tag in der Warteschlange einen Schaden von etwa 100.000 US-Doller, schätzt Vincent Stamer vom Kieler Institut für Weltwirtschaft (Quelle: tagesschau.de).
Und noch ist immer nicht abzusehen, wie lange die Bergung dauern wird. Für Martijn Schuttevaer von Royal Boskalis Westminster, der Muttergesellschaft des Schiffsbergespezialisten Smit, ist es eine Frage, wie tief sich das Schiff in das Ufer eingegraben hat. Smit und Experten aus Japan, dem Land des Eigentümers Shoei Kisen Kaisha, sind mit der Bergung beauftragt. Muss der Frachter entladen werden, kann das Wochen dauern, denn das benötige laut Smit einen Spezialkran oder Hubschrauber, die die Container an Land bringen.
Auswirkungen könnte die Havarie auf den Ölpreis haben, denn auch Tanker nutzen die Route für die Versorgung. Aktuell stauen sich Tankertrackers zufolge zahlreiche Schiffe mit Erdöl aus USA, Oman, Russland und Saudi-Arabien - und zwar auf beiden Seiten des Kanals. Aufsummeriert warten dem Branchendienst zufolge zehn Millionen Barrel Öl auf ihre Weiterfahrt.
Für die wartenden Schiffe stellt sich natürlich die Frage: weiter warten oder den Umweg über Afrika in Kauf nehmen? Auf dem Weg von Asien nach Europa und andersherum nutzen rund 98 Prozent der Containerschiffe die Suez-Route. Laut der Kanalbehörden waren das im vergangenen Jahr rund 50 pro Tag.
Vincent Stamer rechnet in jedem Fall mit Verzögerungen bei Warenlieferungen von Elektronik, Textilien und Maschinenteilen. In Zeiten chronischen Containermangels ist die Havarie jetzt das i-Tüpfelchen und verschärft die Situation zusätzlich.
Suezkanal ist wichtigste Abkürzung von Europa nach Asien
Der Suezkanal ist gute 200 Kilometer lang. Er ist die wichtigste Abkürzung für die Schifffahrt zwischen Europa und Asien und Afrika. Eine Passage kostet rund 250.000 Euro, doch die wiegen den längeren Transportweg rund um das Horn von Afrika auf.
2015 wurde der Suezkanal ausgebaut. Er wurde vertieft und mit einem 35 Kilometer langen Parallelkanal versehen. Seitdem gehen etwa zehn Prozent des Welthandels durch das ägyptische Nadelöhr.
Auf der Trackingseite Vesselfinder.com lässt sich der Stau nachverfolgen: Sowohl im Mittelmeer bei Port Said als auch in Suez im Roten Meer ballen sich die wartenden Containerschiffe. Die Ever Given steckt kurz hinter Suez fest.
Es ist übrigens nicht das erste Mal, dass die Ever Given eine teure Havarie verursacht. Der Containerriese kollidierte im Jahr 2019 mit einer Fähre auf der Elbe. Das Heck des Frachters drückte die 25 Meter lange Fähre "Finkenwerder" an den Schiffsanleger in Blankenese. Auch hier sollen starke Winde eine Rolle gespielt haben, während die Hamburger Polizei von einem Fahrfehler sprach.
Ever Given-Kapitän fährt Penis-Muster ins Rote Meer
Nettes Detail am Rande: Vor der Havarie, als das Schiff auf seine Passage wartete, "malte" der Kapitän einen überdimensionalen Penis ins Rote Meer. Das zeigen Trackingdaten von Vesselfinder. Der Spiegel zitiert auf seiner Webseite das Management des Frachters mit den Worten: "Es ist nicht ungewöhnlich, dass Schiffe, die auf die Einfahrt warten, vorher herummäandern."
Die Autorin: Dörte Neitzel
Dörte Neitzel ist Wissens- und Infografik-Junkie vom Dienst. Dinge und Zusammenhänge zu erklären ist ihr Ding, daher beschreibt sie sich selbst auch gern als Erklärbärin mit Hang zur Wirtschaft – was einem lange zurückliegenden VWL-Studium geschuldet ist. Nach einigen Stationen im Fachjournalismus lebt sie dieses Faible bevorzugt auf der Webseite der TECHNIK+EINKAUF aus und taucht besonders gern ab in die Themen Rohstoffe und erneuerbare Energien.
Privat ist Südfrankreich für sie zur zweiten Heimat geworden, alternativ ist sie in der heimischen Werkstatt beim Schleifen, Ölen und Malern alter Möbel zu finden oder in südbayerischen Berg-und-See-Gefilden mit Hund im Gepäck unterwegs.