Ampullen mit Biontech-Impfstoff gegen Corona

Ampullen mit Biontech-Impfstoff: Wo produzieren die Pharmariesen in Deutschland Impfstoffe gegen Corona? (Bild: guteksk7 - stock.adobe.com)

Nach dem sehr schneckenhaften Start im Januar kommt mittlerweile Fahrt in die Impfkampagne. Das liegt auch daran, dass der Impfstoff von Biontech/Pfizer nicht nur guten Schutz verspricht, sondern auch hierzulande produziert und zuverlässig geliefert wird. Comirnaty ist das Musterbeispiel einer Entwicklung "made in Germany" und eines innerhalb eines Jahres aus dem Boden gestampften pan-europäischen Produktionsnetzwerks. Wo wird das Vakzin hergestellt? Wo finden die anderen Produktionsschritte statt? Und wo haben eigentlich Astrazeneca, Johnson & Johnson und Curevac ihre deutschland- und europaweiten Herstellungsanlagen und Kooperationspartner? Wir verraten es Ihnen.

Eigentlich war die Beschaffung der Corona-Impfstoffe über die EU eine gute Idee. Auf diesen Konsens können sich Politik und Wirtschaft einigen, denn eine größere Nachfrage verspricht in der Regel einen guten Preis und eine vorrangige Lieferung. Doch beim Corona-Impfstoff lief das anders, denn ebenfalls Konsens ist mittlerweile: EU und Bundesregierung haben die Impfstoffbeschaffung 2020 in jeder Hinsicht versemmelt. Von überall her hagelte es drastische Kritik. Auch der Essener Einkaufsexperte Gerd Kerkhoff bescheinigt der Kommission im Handelsblatt: "Ungenügend, sechs."

Der Gründer und Geschäftsführer der Einkaufsberatung Kerkhoff Group geht mit der Bundesregierung hart ins Gericht. Denn einerseits ging es bei der Beschaffung des Impfstoffs um Leben und Tod, andererseits darum, das wirtschaftliche Desaster diverser Lockdowns möglichst schnell zu beenden. Immerhin kosten die Schließungen rund zehn Milliarden Euro pro Monat.

Für Kerkhoff wäre die Impfstoffbeschaffung eigentlich ein ganz normaler Einkaufsvorgang gewesen, wenn auch "der wichtigste seit dem Zweiten Weltkrieg". Sein Weg wäre ein anderer: Statt um ein knappes Gut zu feilschen gilt es, den Preis zu erhöhen, um zum attraktiven Abnehmer zu werden. Das fand nicht statt. Zu allem Überfluss setzten die EU-Beschaffer auch noch auf die falschen Impfstoffe.

 

Auf der Karte sehen Sie die europäischen Standorte, die an der Produktion der in der EU zugelassenen Impfstoffe beteiligt sind.

Falsche Einkaufsstrategie bei den Corona-Impfstoffen

Mittlerweile entspannt sich die Lage trotz Problemen bei einigen Impfstofflieferanten. Was aber lief schief?

Beim Einkauf der Corona-Impfstoffe hatte die EU zuerst kein Glück und dann kam auch noch Pech dazu. Denn das Problem bestand natürlich darin, Impfstoffe zu kaufen, die zu dem Zeitpunkt noch keine EU-Zulassung hatten. Ein klassischer Katze-im-Sack-Kauf also.

Zwar sicherte sich die EU bereits im August 2020 die ersten Impfdosen. Allerdings waren es 300 Millionen Dosen des britisch-schwedischen Konzerns Astrazeneca. Dieser Hersteller stellte sich bereits recht früh im Jahr 2021 als unzuverlässig heraus und lieferte beständig weniger als vereinbart. Zudem produzierte der Impfstoff negative Schlagzeilen mit undurchsichtigen Studien und seltenen, aber schweren Nebenwirkungen.

Darüber hinaus setzte die EU auf den Impfstoff von Sanofi und Glaxo Smith Kline. 300 Millionen Dosen sollten im Fall einer Zulassung geliefert werden, die Bestellung erfolgte im September 2020. Doch das Vakzin entpuppte sich als unwirksam. Und auch die eingeplanten 200 Millionen Dosen von Johnson & Johnson, die im Oktober 2020 bestellt wurden, ließen auf sich warten.

Logistik gab den Ausschlag für Vektorimpfstoffe

Auf die revolutionären mRNA-Impfstoffe setzte man dagegen erst im November 2020. Ihr Nachteil: die notwendige konstant tiefe Kühlung entlang der Lieferkette.

Und so bestellten die europäischen Einkäufer dann auch erst im Spätherbst 300 Millionen Impfdosen beim deutschen Hersteller Biontech und seinem US-Partner Pfizer. Es folgten vorsichtige 80 Millionen Dosen des Moderna-Impfstoffs. Und auch Curevac und Novavax schafften es noch auf den Bestellzettel. Letztere befinden sich (Stand 22. April 2021) noch im Rolling-Review-Verfahren bei der Europäischen Arzneimittelbehörde, sind also noch nicht zugelassen.

Die Folge: Da andere Länder früher bei Biontech & Co. bestellt hatten, wurden diese auch früher beliefert. Zum Vergleich: Die Vereinigten Staaten und Großbritannien schlossen erste Verträge mit sechs Herstellern bereits im Juli und August. Damit sicherten sie sich frühzeitig Optionen für 840 Millionen (USA) bzw. 340 Millionen (UK) Dosen.

Auch Israel bestellte früh bei Biontech/Pfizer, zahlte mehr für die wertvollen Ampullen, übernahm zusätzlich die Produkthaftung und arbeitete darüber hinaus bei der Auswertung der Impfdaten eng mit dem Unternehmen zusammen.

Comirnaty von Biontech: eine europäische Kooperation

Der wohl wichtigste Impfstoff für die EU trägt den Namen Comirnaty und kommt aus dem Hause Biontech. Gemeinsam mit dem US-Partner Pfizer bringt das Mainzer Unternehmen seine PS auf die Straße. Zwar ist das mRNA-Vakzin von Uğur Şahin und Özlem Türeci eine Forschungsleistung made in Germany, die Produktion der Millionen Dosen des Biontech-Vakzins für den europäischen Markt ist dagegen ein Paradebeispiel für grenzüberschreitende Lieferketten und Zusammenarbeit.

Dabei sieht alles so einfach aus: Ein Fläschchen des Impfstoffs enthält lediglich:

  • modifizierte mRNA
  • Polyethylenglykol-haltige Lipide
  • Wasser
  • Natriumsalze
  • Zucker
  • Kaliumsalze
  • Cholesterin

Doch die einzelnen Produktionsschritte laufen in unterschiedlichen Betrieben und Zulieferunternehmen deutschland- und europaweit ab.

Der wohl komplizierteste Schritt bei der Impfstoffherstellung ist die Produktion der mRNA. Biontech hat dafür in Mainz, Idar-Oberstein und seit Februar 2021 auch in Marburg, spezielle Werke aufgebaut. In diesen entsteht der "Rohstoff". Aber auch Kooperationspartner steigen Schritt für Schritt in die Produktion ein.

Im zweiten Schritt muss dieser von Produktionsrückständen gereinigt werden. Denn er ist in diesem Rohzustand noch umgeben von vielen Enzymen und der DNA, aus der die mRNA "übersetzt" wurde.

 

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Anschließend benötigt die mRNA als Verpackung winzig kleine Lipidnanopartikel, also Fette. Das schützt die mRNA im Körper davor, zu schnell abgebaut zu werden. Dieser Schritt heißt Formulierung. Im letzten Schritt wird die auf diese Weise verpackte mRNA in eine Flüssigkeit gegeben und im Ampullen abgefüllt.

Vor allem die letzten Schritte übernehmen zahlreiche Unternehmen aus einem immer größer werdenden Netzwerk. Dazu zählen in Deutschland beispielsweise Dermapharm oder Rentschler.

Die Zulieferung des Lipids kommt aus dem österreichischen Klosterneuburg. Dort produziert Polymun die wichtige Formulierung für Biontech und Pfizer weltweit. Künftig soll auch Curevac hinzukommen.

Mehr Produktion in Europa

Im Februar genehmigte die Europäische Arzneimittelbehörde zwei neue Produktionsstätten, Marburg in Deutschland und Leiden in den Niederlanden. Damit soll die Impfstoffversorgung für Europa, aber auch weltweit, hochgeschraubt werden. Biontech und Pfizer haben beispielsweise angekündigt, bis Ende 2021 2,5 Milliarden Impfdosen herzustellen.

Die EU-Kommission hat zudem beschlossen, den Export von Impfstoffen aus der Union stärker zu kontrollieren. Schränkt das Bestimmungsland den Export des Vakzins oder seiner Bestandteile seinerseits ein, kann die Ausfuhr untersagt werden. Ausschlaggebend ist künftig auch, ob die Infektions- und Impflage schlechter ist als in der EU.

Wie leistungsfähig die europäischen Produktionsstandorte sind, zeigen diese Zahlen: Bis Mitte März fanden rund 43 Millionen Impfdosen ihren Weg in andere Länder. Diese zehn Länder erhielten die meisten:

  • Großbritannien: 10,9 Millionen
  • Kanada: 6,6 Millionen
  • Japan: 5,4 Millionen
  • Mexiko: 4,4 Millionen
  • Saudi-Arabien: 1,5 Millionen
  • Singapur: 1,5 Millionen
  • Chile: 1,5 Millionen
  • Hongkong: 1,3 Millionen
  • Südkorea: 1 Million
  • Australien: 1 Million

Im Gegenzug erhielt die EU im ersten Quartal 2021 gut 107 Millionen Impfdosen. Diese verteilten sich auf folgende Hersteller:

  • Astrazeneca: 30 Millionen (von ursprünglich geplanten 120 Millionen Dosen)
  • Biontech/Pfizer: 67,5 Millionen
  • Moderna: 9,8 Millionen

Im zweiten Quartal 2021 erwartet die EU insgesamt 360 Millionen Dosen Impfstoff. Davon sollen 200 Millionen von Biontech/Pfizer kommen, 70 Millionen von Astrazeneca, 55 Millionen von Johnson & Johnson sowie 35 Millionen von Moderna. Auch Curevac soll Ende Juni einen kleinen Teil beisteuern (Stand der Zahlen: 17. März).

US-Blockade von Rohstoffen gefährdet Produktion von Curevac

Update 5. Mai 2021

Zwar ist der mRNA-Impfstoff der Tübinger Firma Curevac noch nicht zugelassen, produziert wird jedoch bereits allenthalben. Die Zulassung ist für Mai, spätestens Juni eingeplant.

Nun berichtet der Spiegel, dass die US-Regierung den Export dringend benötigter Materialien für die Herstellung behindert. Grundlage ist ein Kriegswirtschaftsdekret (Defense Production Act). Dieser sieht eine Priorisierung für US-Regierungsaufträge vor, wenn das Angebot an bestimmten Materialien nicht ausreicht. Dann wird vorrangig die US-Produktion versorgt, ehe exportiert werden darf.

"Durch den Defense Production Act bekommen wir bestimmte Waren nicht aus den USA heraus" zitiert der Spiegel Curevac-Vorstandschef Franz-Werner Haas. "Wir bekommen längst nicht immer die Materialien, die wir brauchen."

Insgesamt benötigt der Curevac-mpfstoff rund 90 Elemente. Fehlt eins, stockt die Produktion. Die aktuellen Lieferprobleme betreffen Nukleotide und spezielle Plastikbehälter. Diese werden zum Teil von deutschen Firmen in den USA produziert.

Ab Ende Juni soll Curevac maßgeblich zur deutschen und europäischen Impfkampagne beitragen - zumal sowohl Astrazeneca als auch Johnson & Johnson ihre Lieferzusagen merklich gekürzt haben. Rund 300 Millionen Impfdosen will das Unternehmen der EU liefern.

Portrait Dörte Neitzel Redakteurin Technik+Einkauf
(Bild: mi connect)

Die Autorin: Dörte Neitzel

Dörte Neitzel ist Wissens- und Infografik-Junkie vom Dienst. Dinge und Zusammenhänge zu erklären ist ihr Ding, daher beschreibt sie sich selbst auch gern als Erklärbärin mit Hang zur Wirtschaft – was einem lange zurückliegenden VWL-Studium geschuldet ist. Nach einigen Stationen im Fachjournalismus lebt sie dieses Faible bevorzugt auf der Webseite der TECHNIK+EINKAUF aus und taucht besonders gern ab in die Themen Rohstoffe und erneuerbare Energien.

Privat ist Südfrankreich für sie zur zweiten Heimat geworden, alternativ ist sie in der heimischen Werkstatt beim Schleifen, Ölen und Malern alter Möbel zu finden oder in südbayerischen Berg-und-See-Gefilden mit Hund im Gepäck unterwegs.

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