Das Unternehmen Arburg konzipiert schlüsselfertige, vollautomatisierte Produktionszellen. Daran ist der Einkauf maßgeblich beteiligt. Andreas Reich (Turnkey) und Ralf Felisoni (Einkauf) erklären, wie der Einkauf in die Kundenprojekte eingebunden wird und wie die Zusammenarbeit die Lieferantenbasis beeinflusst.
TECHNIK+EINKAUF: Herr Reich, Sie konzipieren mit Ihrem Team vollautomatisierte Spritzgieß-Produktionszellen. Wo liegt die Schnittstelle zum Einkauf?
Andreas Reich: Im Turnkey-Projektmanagement und Automationsgeschäft arbeiten wir sehr eng mit dem Einkauf zusammen. Wir konzipieren kundenspezifische Lösungen, die auf ein Bauteil bezogen sind. Hierfür liefern wir als Generalunternehmer Fertigungszellen – bestehend aus Spritzgießmaschine, Robot-System sowie Komponenten für vor- und nachgelagerte Prozessschritte, beispielsweise für die Zuführung von Einlegteilen, den Weitertransport der Spritzteile, Bedruckung, Montage, Qualitätsprüfung. Die Komponenten liefern externe Partner uns zu. Das ist die immens wichtige Schnittstelle zum Einkauf.
Herr Felisoni, Sie betreuen einkaufsseitig das Turnkey-Geschäft von Arburg. Welche Vorteile hat der klare Fokus?
Ralf Felisoni: Seit einigen Jahren betreuen wir den Bereich gezielt. Als die Projekte immer komplexer wurden, kam die Frage auf, ob wir die kaufmännische Seite abdecken. Das war die Gründungsstunde des Projekteinkaufs bei Arburg. Heute können wir sagen: Das ist ein großer Mehrwert. Auch für die Projektingenieure, die das Thema früher mit betreut haben.
Effizient: Der Einkauf als Anbieter für Lieferanten
Entlastet der Einkauf das Projektteam oder redet er eher rein?
Reich: Die Trennung hilft auf jeden Fall. Die Projektingenieure kümmern sich seitdem fokussiert um die Konzepte für eine immer anspruchsvollere, komplexere Technik. Der Einkauf betreut die kaufmännischen und vertraglichen Themen, die ebenfalls immer komplexer und wichtiger werden.
Ab wann ist der Einkauf beteiligt?
Felisoni: Wir bieten den Projektingenieuren einen Blumenstrauß an Lieferanten, mit denen wir die kaufmännischen Punkte bereits geregelt haben. Die Neuanfragen und den Bedarf an neuen Technologien diskutieren wir in wöchentlichen Teamsitzungen. Fehlt eine Technologie, suchen, analysieren und bewerten wir die Lieferanten gemeinsam. Wir agieren also sehr, sehr früh. Das gibt uns die Chance, die Spielregeln, die auch Geld kosten, wie verlängerte Gewährleistungen, Bankbürgschaften, früh zu platzieren, sodass der Lieferant das alles direkt im ersten Angebot berücksichtigen kann.
Wie finden Sie die Balance zwischen technisch und kaufmännisch bester Lösung?
Reich: Das Projektteam will termingerecht die technisch bestmögliche Lösung. Kann ein Lieferant das erfüllen, ist das ideal. Das bedeutet aber auch: Wir gehen zu den Lieferanten, die wir kennen, die zuverlässig das liefern, was wir brauchen, die unsere Anforderungen verstehen. Und dann kommt der Einkauf und hakt bei einigen Themen nach.
Felisoni: Die kaufmännischen Aspekte sind natürlich genauso wichtig. Niemand spricht gerne über Bankbürgschaften, bis zu dem Tag, an dem eine Insolvenz tatsächlich ins Haus steht. Unsere Herausforderung ist, das zu platzieren, die Kollegen zu unterstützen und die Prozesse so zu gestalten, dass wir bei wichtigen Komponenten eine Second-Source aufbauen.
Turnkey-Anlagen: Welche Größe hat die optimale Lieferantenbasis?
Sie wollen Ihre Lieferantenbasis also eher erweitern?
Felisoni: Es ist ein Ziel beider Abteilungen, die Abhängigkeit zu reduzieren. Auch für den Lieferanten darf sie nicht zu groß werden. Kapazität ist ein endliches Gut. Deshalb braucht man Alternativen.
Reich: Und hier sind wir wieder bei den Herausforderungen. Ich möchte aus technischer Sicht eigentlich nicht, dass der Blumenstrauß zu bunt wird. Ich möchte auf einen möglichst kleinen Kreis zurückgreifen, der exakt unsere Vorgaben und Standards erfüllt und eine Plug-and-Play-Lösung liefert. Wir wollen Single Source vermeiden, aber mit der Maßgabe, uns so breit wie nötig und so eng wie möglich aufzustellen.
Welche Baugruppen kaufen Sie zu?
Felisoni: Zuführ-, Einlege-, Entnahme-, Ablage-, Förder- und Verpackungstechnik sowie Qualitätsprüfung sind die wesentlichen Warengruppen. Aber auch Technik zum Montieren, Prüfen, Beschriften, Veredeln. Unsere Lieferanten sind kleine bis sehr kleine Mittelständler, gerade in der Automatisierung und wenn es um besondere Technologien geht. Für uns ist das auch ein Kostenvorteil, da wir keinen Überbau mitfinanzieren.
Reich: Viele kommen aus der Region, da Sondermaschinenbau in Süddeutschland eine große Tradition hat. Mit größeren Automationsunternehmen arbeiten wir eher mit Blick auf global eingesetzte Anlagen.
Felisoni: Wobei Größe nur eine Dimension ist. Wir achten vor allem auf die Stabilität des Unternehmens. Wir machen regelmäßige Lieferanten-Bewertungen, nicht mit der Gießkanne, sondern sehr spezifisch über Daten aus dem Bundesanzeiger, Bilanzanalysen, Kennzahlencockpits. Und wir monitoren für die Lieferanten unser Auftragsvolumen, schauen uns die Durchschnittswerte an und weisen auf mögliche Kapazitätsengpässe hin.
Steuerung: Warum ein größeres Portfolio wichtig ist
Sie übernehmen auch den Forecast?
Felisoni: Ja, wenn wir wissen, der Lieferant arbeitet zu 25 Prozent oder mehr für uns, können wir das relativ gut machen.
Wie finden Sie die Balance zwischen technisch und kaufmännisch bester Lösung?
Reich: Unsere Lieferanten sind mit uns gewachsen, aber natürlich nicht in dem Maße wie wir. Deshalb ist das größere Portfolio wichtig. Natürlich müssen Preis, Qualität und Verfügbarkeit stimmen.
Qualität: Warum die Nähe zum Hersteller der Zulieferteile so wichtig ist
Ist die regionale Nähe Ihrer Partner für Sie wichtig?
Reich: Wir konstruieren Unikate. Das bedeutet: Ein Konzept kann noch so perfekt sein, die Wahrheit liegt in der Inbetriebnahme bzw. in der Testphase hier bei uns. Ist etwas nachzuarbeiten, ist Nähe ausgesprochen hilfreich. Wenn wir morgens anrufen, ist der Monteur oft am gleichen Tag vor Ort. Das ist das A und O in unserem Geschäft.
Felisoni: Local for local wird dann spannend, wenn unsere Kunden nicht in Deutschland sitzen. Dann entscheidet auch der After-Sales-Support. Jedoch gilt auch hier, je enger wir die Dinge mit den Lieferanten hier in der Testphase klären, desto besser funktioniert die Anlage, sodass wir sie bedenkenlos weltweit ausliefern können.
Wie finden Sie heraus, ob neue Partner zu Ihnen passen?
Felisoni: Der erste Schritt ist ein standardisierter Fragebogen. Wichtig für uns ist: Wir brauchen nicht A–Z, uns reicht A–C, wenn der Lieferant uns dort mit Erfahrung bedienen kann. Wir starten mit kleinen Projekten, und wenn das Vertrauen da ist, weiten wir die Zusammenarbeit auf komplexere Aufgaben aus.
Reich: Das Schöne ist, dass unsere Projekte diese Bandbreite haben. So kann ich neue Lieferanten Schritt für Schritt qualifizieren.
Wo erleben Sie Herausforderungen in Ihrer Zusammenarbeit?
Felisoni: Am Anfang galt es zunächst, ein Verständnis füreinander zu entwickeln. Der Einkäufer ist keine Bedrohung, der will nicht seine zehn Prozent verhandeln, sondern er unterstützt das Business.
Reich: Die verschiedenen Rollen gegenüber dem Lieferanten, das Partnerschaftliche in der Technik und der distanziertere Gegenpol, sind wichtig.
Felisoni: Eine weitere Herausforderung ist die Spiegelung der Verträge.
Automatisiert: Warum der Einsatz von Standards für die Herstellung so wichtig ist
Wie kommen Sie zu einer Lösung, die für alle passt?
Felisoni: Standards helfen sehr. Wir gehen von einem gewissen Standard aus, zu dem der Vertrieb in Richtung Kunde verkauft und spiegeln diesen zum Lieferanten. Die Haftung ist natürlich im Einzelfall zu klären. Wurden unsere AGBs vom Kunden akzeptiert, wird das in den Verträgen der Lieferanten berücksichtigt.
Reich: Vieles federn wir durch Lieferantenvereinbarungen ab, in denen wir Lieferung, Gewährleistung, Haftung, Eigentumsvorbehalt, Zahlungsbedingungen und so weiter grundsätzlich klären. Übrig bleiben dann nur noch die projektspezifischen Besonderheiten.
Wo wollen Sie besser werden?
Reich: Ein großes Thema ist die Logistik, sprich Lagerplatz und Engpässe. Bislang sagen wir mit Blick auf die Terminsicherheit: Der Lieferant liefert nach Fertigstellung und wir integrieren die Komponenten, sobald wir sie brauchen.
Das heißt, Wareneingang und Lagerflächen sind ein Problem?
Felisoni: Arburg ist stark gewachsen, entsprechend haben sich die Produktionsflächen entwickelt. Wie bei vielen Unternehmen sind die Logistikflächen ein Thema. Natürlich will man Teile möglichst früh im Haus haben, aber das tut dem Beschaffungslogistiker natürlich weh.
Lässt sich das nicht über exakte Liefertermine steuern?
Felisoni: Das ist die Besonderheit in diesem Geschäft. Basis ist eine Bestellung, deren Liefertermin von Kunden- oder Montageseite zum Teil korrigiert wird. Dann geht es darum, gemeinsam mit den Lieferanten flexibel auf die Terminänderungen zu reagieren.
Reich: Was wir gelernt haben, ist, dass ausschließlich Workflows dabei nicht weiterhelfen. Wir regeln das deshalb über ein wöchentliches Meeting zwischen Montage, Projektierung und Einkauf, stimmen ab, wo wir terminlich liegen und informieren Kunden, Lieferanten und Montage kurzfristig.
"Bei Preisnachfragen meinen wir es ernst"
Wie bringen Sie die Anforderungen des Einkaufs auf die Vertriebsseite, damit alle an einem Strang ziehen?
Felisoni: Das geht von der Tagesebene, über den wöchentlichen Abgleich bis zu strategischen Meetings, in denen wir klären: Was sind neue Themen, die beim Einkauf landen? Was sind neue Themen, die im Vertrieb landen? Und wir versuchen zu standardisieren. Es bringt Geschwindigkeit, wenn man ein Konzept nicht jedes Mal neu erarbeiten muss.
Reich: Das geht so weit, dass wir bestimmte Automationskomponenten direkt mit unserem Know-how anbieten. Beim Lieferanten fragen wir erst an, wenn es konkret wird. Das spart Aufwand, auch beim Lieferanten. Von einer kleinen Organisation kann ich nicht erwarten, dass sie für uns in einer Woche 20 Angebote in einem Zeitfenster von zwei oder drei Tagen anfertigt.
Ist das dann nicht ein erhöhter Aufwand für Sie?
Felisoni: Der Aufwand entsteht dann eher im Vorfeld, indem wir Konfigurationen zum Beispiel für einen Greifer in Module aufteilen und für die Module Preise erfragen. Unser Ziel dabei ist, dass der Lieferant uns immer direkt seinen besten Preis gibt. Wir wollen nicht jeden Fall im Detail verhandeln. Damit ist allen klar, wenn wir mit einem Preis nicht zufrieden sind und nachhaken, dann meinen wir es ernst. Der Druck entsteht durch die Second Source und den Marktpreis, der sich auch in technischen Nischen stets abzeichnet.
Vita Andreas Reich
Der Wirtschaftsingenieur Andreas Reich ist seit 2000 für Arburg tätig, zunächst als Area Sales Manager Westeuropa sowie Senior Sales Manager Verpackungstechnik mit globaler Verantwortung. 2017 übernahm Andreas Reich die Abteilung Turnkey, die vollautomatisierte, kundenspezifische Fertigungszellen konzipiert und baut.
Vita Ralf Felisoni
Der Maschinenbau-, Mechatronik- und Wirtschaftsingenieur Ralf Felisoni arbeitet seit 2011 bei Arburg im Bereich Materialwirtschaft. 2016 übernahm er die Leitung der neu gegründeten Gruppe Projekteinkauf (für das Turnkey-Geschäft) mit den weiteren Schwerpunkten Global Sourcing/Riskmanagement, Recht im Einkauf und Beschaffungslogistik.
Das Unternehmen: Arburg GmbH + Co KG
Der Hersteller hochwertiger Maschinen für die Kunststoffverarbeitung fertigt ausschließlich im Stammwerk Loßburg, dessen Produktionsfläche aktuell 171.000 m2 umfasst. In Deutschland beschäftigt Arburg rund 2.500 Mitarbeiter, weitere 500 kommen weltweit an insgesamt 33 Standorten hinzu. Der konsolidierte Umsatz lag 2018 bei rund 750 Millionen Euro. Der Exportanteil liegt bei rund 70 Prozent.