Heidelberger Druckmaschinen hat schwierige Zeiten hinter sich. Der Druck sich zu verändern war immens. Einkauf und Entwicklung sind in der Transformation zusammen und auf Augenhöhe gerückt. Einen großen Anteil am Erfolg haben Christoph Woesler (CPO) und Frank Kropp (CTO). Wie die beiden den Turnaround geschafft haben und was das für die Beschaffung bedeutet, erzählen sie im Exklusiv-Interview.
TECHNIK+EINKAUF: Heidelberger Druckmaschinen hat einen erfolgreichen Turnaround hinter sich, bei dem auch im Einkauf kein Stein auf dem anderen blieb. Seitdem arbeiten Einkauf und Entwicklung enger zusammen. Wie sind Sie zusammengewachsen?
Christoph Woesler: Seit dem Umzug der Entwicklung in das Innovationszentrum in Wiesloch sind wir an einem Standort, was die Zusammenarbeit sehr gefördert hat. So konnten wir noch vor dem Lockdown räumlich immerhin über zwei Jahre zusammenwachsen. Auf Leitungsebene treffen wir uns hier – aktuell virtuell – wöchentlich mit Entwicklung, Einkauf und Produktmanagement. Wir besprechen den Stand der Neu- und Weiterentwicklungen und gleichen strategische Themen ab.
Frank Kropp: Dieses Lebenszyklus-Management begleiten wir bis hin zu den notwendigen Abkündigungen. Parallel sind wir in der Projektwelt eng verknüpft. Über den Strategieprozess sorgen wir dafür, dass unsere Entwicklungsprojekte durch den Einkauf unterstützt werden und das für die Themen des Einkaufs entsprechendes RD-Personal zur Verfügung steht.
Wie gestalteten Sie die Ratio-Projekte?
Woesler: Vor drei Jahren haben wir ein Projekt ausgerufen mit dem Ziel, agil zusammenzuarbeiten, die Selbstverantwortung der Mitarbeiter zu stärken und die Einkaufspreise um fünf Prozent zu senken. Daraus entstanden sehr viele Ideen, die wir erfolgreich mit Vorstand, Entwicklung, Produktion und Qualität umsetzen konnten. Es folgten Produktklausuren zur Herstellkostenreduktion, für die wir sehr intensiv mit der Entwicklung zusammengearbeitet und viele gute Ergebnisse erzielt haben.
Kropp: Wir arbeiten heute auf Augenhöhe. Die Projekte sind abgestimmt und vereinbart, die Zwänge des jeweils anderen akzeptiert. Den idealen Kompromiss zu finden ist wichtig. Der Schlüssel dazu ist, frühzeitig über Projekte, Ideen, Nöte, Zwänge und Strategien zu sprechen.
Vita Christoph Woesler
Der KIT-Maschinenbauingenieur Christoph Woesler verantwortet für Heidelberg Druckmaschinen den globalen Einkauf und ist Mitglied des Executive-Committee. Zuvor bekleidete er im Konzern diverse Funktionen in Qualität, Standortplanung, Produktion und Beschaffung.
Haben Sie hierfür ein Beispiel?
Woesler: Ja, eines, das extrem gut gelaufen ist: das System eines Lieferanten, dessen recht hohe Produktmarge wir kannten. Umgekehrt kannte er unsere. Zudem eine Single Source. Für den Einkauf in Summe also herausfordernd zu verhandeln. Im Rahmen unserer Verhandlungsoffensive hat der Lieferant uns dann angeboten, die Produktion zu uns ins Haus zu holen. Ein komplexes System mit viel Elektronik, Mechanik und Messtechnik. Diese Entscheidung kann der Einkauf nicht alleine treffen, dazu brauchen wir Entwicklung, Produktion, Qualität und Produktmanagement. Toll war, wie uns das gesamte Team unterstützt hat, weil alle verstanden haben, dass dieser Schritt sinnvoll ist. Zu erklären, warum wir etwas tun, das ist entscheidend. Wenn dann alle im Boot sind, empfinde ich dies als großen Erfolg.
Im Zuge der Projekte wurde sich von dem ein oder anderen Lieferanten verabschiedet. War das für die Entwickler einfach?
Kropp: Wenn wir einen Wechsel frühzeitig planen können und eine Chance haben, die Kapazitäten bereitzustellen, fällt die Umsetzung viel, viel einfacher. Mit dieser Offenheit haben wir es geschafft, die Teams mitzunehmen.
Heidelberger Druckmaschinen wagt sich mit der Wallbox jetzt auch in den Markt der E-Mobility. Was bedeutet das für die Beschaffung?
Woesler: Wir haben uns in diesem wachsenden Marktsegment erfolgreich etabliert und verkaufen von der Wallbox mittlerweile eine immens hohe Stückzahl. Auch hier gibt es im Hintergrund den ein oder anderen Engpass, den wir gemeinsam lösen müssen. Etwa für ein elektronisches Bauteil, für das wir vorübergehend andere Teile aus der Bauelementefamilie verbauen mussten. Dies muss natürlich die Entwicklung testen und freigeben. So konnten wir auf dem Spotmarkt Bestände kaufen, um die Produktion nicht abreißen zu lassen, bis die nächste zugesicherte Lieferung kam. Das war nur möglich, weil uns die Entwicklung hier massiv unterstützt hat.
Und wenn das nicht funktioniert, konstruieren Sie um?
Kropp: Grundsätzlich sind Abkündigungen nichts Ungewöhnliches. Natürlich sind sie mal mehr oder weniger brisant, aber letztlich geht es immer um die Frage, haben wir die Chance zu bevorraten, ein Alternativprodukt zu beschaffen oder inwieweit müssen wir in eine Umkonstruktion einsteigen.
Hatten Sie krisenbedingt mit Lieferausfällen zu kämpfen?
Woesler: In Summe konnten wir das alles innerhalb des Einkaufs zusammen mit Operations im Team organisieren. Wir mussten unter anderem eine für uns kritische Insolvenz managen, haben jedoch auch das gemeinsam mit dem Lieferanten abfangen können.
Vita Frank Kropp
Der Maschinenbauingenieur (TU Dortmund) Frank Kropp ist seit 2012 Leiter Forschung und Entwicklung von Heidelberg Druckmaschinen und Mitglied des Executive-Committee. Seit 1994 hat er im Konzern verschiedene Aufgabe in Entwicklung inne.
Wie eng binden Sie Lieferanten in Ihren Innovationsprozess ein?
Kropp: Weil immer mehr Teil-(Lösungen) extern verfügbar sind, beschränken wir uns zunehmend auf unsere Kernkompetenzen – in Abstimmung mit dem Einkauf, der den Part des Lieferanten- und Qualitätsmanagements abdeckt. Wichtig ist, dass wir früh festlegen, was wir selbst entwickeln und was wir an Teillösungen zukaufen.
Wie ist der Heidelberg-Core definiert?
Kropp: Eine Stärke von Heidelberg sind sehr integrierte Lösungen. Für uns stellt sich deshalb die Frage, inwiefern wir externe Lösungen so integrieren können, dass sie ideal zu unseren Prozessen passen. Tun sie dies nicht, kommen wir in die Bereiche, die wir selbst abbilden, um einen Mehrwert für Kunden zu schaffen.
Wie halten Sie es mit dem Forecast in Richtung Lieferant?
Woesler: In der Regel liefern wir einen Forecast von einem Jahr. Natürlich schwankt unser Auftragseingang, dann schwanken die Lieferpläne der Lieferanten mit. Aber die Lieferanten haben in der Regel die Freigabe, sich für einen definierten Zeitraum aufgrund unserer Pläne Rohmaterial zu beschaffen und auch Fertigmaterial auf Lager zu halten, das wir abnehmen. Das gibt Planungssicherheit. Und wir melden in Allokationsphasen keine Phantom-Bedarfe, nach dem Motto: „Ich brauche zehn, bestelle aber vorsorglich 50.“ Unsere Lieferanten wissen, dass wir Versorgungskrisen nicht künstlich nach oben schaukeln. Was bedeutet: Was wir bestellen, nehmen wir ab und erwarten, dass es geliefert wird.
Passt Ihr Forecast immer?
Woesler: In einem Jahr wie 2020 mit den negativen Auswirkungen der Pandemie passt der Forecast natürlich nicht, dann werden die Lieferpläne korrigiert und die Lieferanten atmen mit uns mit. Wir haben in der Krise auch die Bestände nochmals bewusst heruntergefahren.
Der Konzern geht in neue Märkte, Stichwort Wallbox. Spielen Start-ups als Partner eine Rolle?
Kropp: Start-ups sind willkommene Innovationspartner, sie gehen andere Wege, probieren schnell etwas aus. Die Frage ist, ob man mit ihnen über die Phase des Ausprobierens in Richtung Serie geht. Die Industrialisierung würden wir immer eher bei uns sehen. Es gab im Bereich Elektronik und 3D-Druck auch schon den umgekehrten Weg. Da kam ein junges Unternehmen zu uns, wir haben unser Industrialisierungs-Know-how eingebracht und die 3D-Druckmaschinen gefertigt.
Woesler: Der Einkauf profitiert, wenn Volumen dazukommt. Die steigende Nachfrage nach unserer Wallbox treibt zum Beispiel unseren Elektronik- und Blechumsatz nach oben. Und es ist ein anderes Geschäft, weil es um Cent-Beträge geht. Es bringt Komplexität, neue Perspektiven, andere Anforderungen und neue Prozesse; eine Herausforderung, die wir sehr gerne annehmen.
Passen Ihre Entwicklungsprozesse zu den neuen Geschäftsmodellen? Oder muss da nachgesteuert werden?
Kropp: Wir haben unsere Entwicklungsprozesse um Prozesse aus dem Automotive-Business angereichert, gleichzeitig jedoch festgestellt, dass wir mit unserem relativ strikten Quality-Gate-Prozess eine sehr gute Basis haben. Für manche Themen kann und muss man aber die Prozesse auch abspecken.
Druckmaschinen sind komplex, neue Märkte kommen dazu. Wie beherrschen Sie die Komplexität?
Kropp: Wir haben mit unserem Komplexitätsmanagement die Teilevielfalt deutlich reduziert. Mittlerweile haben wir im Entwicklungsprozess verankert, dass wir überlegen, wie viele Neuteile wir brauchen, ob wir diese überhaupt generieren wollen und welche Alternativen es gibt.
Woesler: Dem Einkauf hilft die höhere Stückzahl. Das macht Verlagerungen und Preisverhandlungen grundsätzlich einfacher. Aktuell ist das für uns teilweise noch schwierig.
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Multisourcing ist also keine Option für Heidelberger?
Woesler: Wir haben in der Regel für eine Sachnummer einen, für manche mehrere Lieferanten freigegeben. In der Elektronik funktioniert das, aber bei einem Bauteil, das wir über drei Jahre entwickeln, kann ich das Volumen nicht auf zwei Lieferanten aufteilen.
Kropp: Irgendwann im Entwicklungsprozess müssen wir uns entscheiden, mit wem wir zusammenarbeiten. Außer Bauteile sind so kritisch, dass wir das mit mehreren Partnern darstellen. Aber der Qualifizierungsaufwand steigt dann natürlich beträchtlich.
Wie managen Sie Ihre Risiken?
Woesler: Diese machen wir über eine Watchlist transparent. Wir beobachten die Volumen-Entwicklung der Lieferanten bei uns, ihre generelle Umsatzentwicklung, nutzen Daten der Creditreform und berechnen die Wiederbeschaffungszeit für einen Ausfall. Daraus ergibt sich die Watchlist. Mit diesen Lieferanten stehen wir im Gespräch und monitoren ihre Lage eng und transparent – auch in finanzieller Hinsicht.
Wo sehen Sie in Ihrer Zusammenarbeit noch weitere Potenziale?
Kropp: Ich würde mir wünschen, dass wir unsere Zusammenarbeit bereits in der Vorentwicklung starten, in dem Stadium, in dem wir uns gegebenenfalls schon auf einen Partner einlassen. Genauso wie wir heute für die Serienentwicklung fragen, wo wir vom Einkauf Unterstützung brauchen, sollten wir das auch für Technologiestudien machen.
Woesler: Und dazu würde der Einkauf natürlich weitere Ratio-Projekte machen, was gleichzeitig die Kapazitäten der Entwicklung strapaziert. Deshalb brauchen wir eine Balance zwischen Neuentwicklung und Herstellkostenreduktion. Die haben wir im Prinzip. Das heißt, wenn der Einkauf konkret mit Ideen kommt, die Vorteile und Risiken aufzeigt und die Technik ins Boot holt, bekommt er die Entwicklungskapazitäten.
Welche Rolle spielt neben Kosten und Volumina der Faktor Nachhaltigkeit?
Kropp: Wir müssen schon heute viel mehr dokumentieren und nachweisen, als wir das noch von vor wenigen Jahren mussten. Insofern hat Nachhaltigkeit an Bedeutung gewonnen, etwa in der Werkstoffauswahl. Zudem müssen wir im Blick behalten, was in drei bis fünf Jahren relevant ist. Das Thema prägt deshalb unsere Entwicklungsarbeit. Hinzu kommt die Fragestellung: Was rechnet sich für den Kunden und wofür ist er bereit, dafür zu investieren.
Und das Lieferkettengesetz? Wie setzen Sie das um?
Woesler: Bis zum Tier-2 kennen wir unsere Lieferkette bei den wichtigen Lieferanten. Das ist schon aus Risikogesichtspunkten wichtig. Nachhaltigkeit rückt auf der Agenda weiter nach vorne. Deshalb sind wir zum Beispiel mit Monitoring-Plattformen im Gespräch und werden auch hier die nächsten Schritte gehen.
Das Unternehmen: Heidelberger Druckmaschinen
Der Markt- und Technologieführer der Druckbranche Heidelberger Druckmaschinen AG erwirtschaftete mit 11.300 Mitarbeitern im Geschäftsjahr 2019/ 2020 einen Konzernumsatz von rund 2,35 Milliarden Euro. Über die Druckindustrie hinaus stößt der Konzern in neue Märkte vor: mit einer Ladestation für E-Fahrzeuge (Wallbox) und gedruckter organischer Elektronik.