LkW in einem Tunnel

Lieferantenmanagement in der Krise: Warum reines Cost Cutting nicht hilft. (Bild: LkW in einem Tunnel - stock.adobe.com)

Im Management geht es oft zu wie im richtigen Leben. Die Neigung zur Verdrängung ist weiter verbreitetet als die Bereitschaft, aus Erfahrungen und Fehlern zu lernen. In der Corona-Krise greifen viele Unternehmen zu einem Mittel, das sich schon nach dem letzten großen Störfall der Wirtschaft, der Finanzkrise, als kontraproduktiv erwiesen hat: radikalem Cost Cutting nach der Rasenmäher-Methode.

Von oben angeordnete Budgetkürzungen bis weit in den zweistelligen Prozentbereich verschafften vielen Firmen zwar kurzfristig Luft. Diese wurde bei Lieferanten aber umso dünner. Deren finanzielle Schieflage, Qualitätsprobleme bis hin zu Insolvenzen, gehörten zu den Folgen. Gestörtes Vertrauen belastet so manche Geschäftsbeziehung bis heute.

Für die Akteure hat sich die "Strategie" längst gerächt. Als die Märkte wieder anzogen, ausgerechnet da, versagten die Lieferketten. Viele erkannten den Wert ihrer Lieferanten erst, als diese nicht mehr zur Verfügung standen.

Wichtige Lieferanten unterstützen

Wer aus nächster Nähe zusieht, wie jemand in den Abgrund stürzt, wird leicht mitgerissen. Angesichts solcher Ereignisse zeichnet sich ein Umdenken ab.

Laut Studien der Unternehmensberatung Inverto, auf Einkauf und Supply Chain Management spezialisierte Tochter der Boston Consulting Group, war noch im März nur eine Minderheit der Unternehmen bereit, Lieferanten in Not unter die Arme zu greifen. Im Juli konnten sich immerhin 80 Prozent ein Entgegenkommen bei Zahlungszielen und Preisen vorstellen.

Auch die Beschaffung von Vormaterialien auf eigene Rechnung wird zunehmend als Option betrachtet. Oft kann ein Kunde bessere Konditionen aushandeln als seine Lieferanten, beide Seiten sparen also. Ein weiterer Vorteil ist, dass das Material dem Auftraggeber gehört, wenn der Lieferant oder Verarbeiter doch noch Insolvenz anmelden muss.

Die Bereitschaft, einen Lieferanten zu unterstützen, hängt natürlich von dessen Bedeutung für das eigene Unternehmen ab. „Je größer diese ist, desto eher ist man zu einer Unterstützung bereit, die auch für einen selbst schmerzhaft ist, sprich Auswirkungen auf das EBITDA hat“, so Inverto-Geschäftsführer Thibault Pucken. Früher sei dieses Vorgehen nur in der Automobilbranche üblich gewesen, inzwischen werde es aber auch von Mittelständlern aus anderen Branchen praktiziert.

Für eine solche Entscheidung muss man erst einmal wissen, wie wichtig ein Lieferant überhaupt ist. Pucken: „Dazu sollte man nicht nur auf die aktuelle Produktion schauen, sondern auch die Entwicklungsabteilung und den Aftersales-Bereich mit einbeziehen.“

Die zweite Frage ist, wie es um den Lieferpartner wirtschaftlich bestellt ist. Abzuwarten, ob jemand nach Ablauf der verlängerten Insolvenzantragspflicht die Hosen herunterlässt, wäre ausgesprochen risikofreudig. Längst gibt es in puncto finanzieller Transparenz bewährte und verlässliche Instrumente.

Vom Accounting zum Portfolio-Ansatz

Sparen – koste es, was es wolle – der Griff nach dem rettenden Strohhalm zur Bewältigung eines Worst Cases entspreche einer kaum mehr zeitgemäßen Management-Kultur, befindet Professor Nils Dechow, Inhaber des Lehrstuhls für Unternehmensrechnung und Controlling an der EBS Universität Wirtschaft und Recht in Wiesbaden.

Bei diesem Accounting-Ansatz werde reflexhaft nur auf den aktuellen Kontostand geachtet. Einfach den Hebel auf Sparen umzulegen nach dem Motto "Zehn Prozent gehen immer", sei natürlich eine sehr wirksame Methode, verspreche aber nur kurzfristige Erfolgserlebnisse. Dechow: „Unternehmen müssen auf den Portfolio-Ansatz umstellen und mit intelligenten Methoden das Geschäft von morgen sichern.“

Nach Ansicht von Martin Babilas, CEO des Spezialchemiekonzerns Altana, trifft Corona die Wirtschaft ohnehin in einer hochkritischen Phase. „Die deutsche Industrie leidet nicht nur unter destruktiven Geschäftsmodellen, sondern seit einiger Zeit auch unter einer spürbaren Konjunkturschwäche. Jetzt kommen die Folgen der Pandemie hinzu, die noch gar nicht abzusehen sind.“

Unternehmen sollten nicht mit Sparwut reagieren, sondern gerade jetzt gezielt investieren – trotz rückläufiger Exporte, Produktivität und Gewinne, fordert Babilas. Auch ihm geben Erfahrungen aus der Finanzkrise recht. Laut einer Studie des ZEW Leibnitz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung haben deutsche Unternehmen, die ihre Innovationsaktivitäten nach 2008/2009 antizyklisch erhöhten, die damalige Rezession viel besser überstanden als andere.

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Prioritäten setzen

Entscheidend sei es, die richtige Balance zu finden, so Peter Leibinger, Chief Technology Officer von Trumpf. In der Phase eins nach dem Pandemieausbruch habe man erst einmal die Ausgaben auf das Nötigste reduziert, um Liquidität zu sichern. Jetzt, in Phase zwei, werde nach Prioritäten differenziert.

Leibinger: „Etwa zwei Drittel der F&E-Projekte laufen etwas verzögert. Damit verschaffen wir uns die finanzielle Luft für das eine Drittel mit Priorität A.“ Ungebremst läuft zudem das Start-up-Programm "Internehmertum", womit wortspielend "internes Unternehmertum" gemeint ist.

Betriebsangehörige haben die Möglichkeit, selbst entwickelte Geschäftsideen mit Unterstützung durch den Konzern in die Tat umzusetzen und damit womöglich einmal selbst Trumpf-Lieferant zu werden. Die ersten Ausgründungen sind nun am Markt, und die Vorstellung des Konzepts inmitten der Corona-Hochzeit war ein wohltuender Kontrast zu der weitverbreiteten Weltuntergangsstimmung.

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