Zwei Männer geben sich über einen Tisch hinweg die Hand

Einkauf darf einfacher und effizienter gehen. Autor Wolfgang Schmid hat seine Ideen dafür vorgestellt. (Bild: Panumas - stock.adobe.com)

In den letzten Jahren haben die Tools und Theorien im Einkauf stetig zugenommen. Die Komplexität der Strukturen führt dazu, dass die Effizienz nachlässt. Wir sprachen mit Manfred Schmid, der sich für einfacherer Strukturen und mehr Übersichtlichkeit ausspricht.

Herr Schmid, der Titel Ihres aktuellen Buches heißt ‚Einkauf neu denken‘. Warum sollte der Einkauf neu denken?

Manfred Schmid: Ich sage nicht, wir müssen alles neu denken. Aber natürlich will ich einige Gedanken einbringen, um neue Dinge und Denkweisen anzustoßen. Grundsätzlich sind wir in einer Welt, in der zu komplex gedacht wird. Das Ganze führt dann zu einer sehr unübersichtlichen Welt. Da schadet es nicht, wenn man versucht, ein wenig Struktur reinzubringen. Dinge schon neu zu denken, aber vielleicht auch mal einfacher zu denken, das ist der Ansatz von ‚Einkauf neu denken‘.

Was macht heutzutage einen guten Einkauf noch aus? Sind es optimierte Prozesse oder integrierte Daten?

Schmid: Seine Daten sollte man schon im Griff haben, das ist eine Grundvoraussetzung. Aber ich glaube, das ist momentan nicht das ganz große Problem. Viel wichtiger ist das Thema Prozesse, insbesondere das Managen von Lieferantenbeziehungen.

Das ist natürlich vielschichtig, im letzten Jahr war vor allem das Risikomanagement einer der Schwerpunkte, weiterhin spannend ist in diesem Zusammenhang auch das Thema Digitalisierung. Ich sehe das aber, ehrlich gesagt, relativ entspannt. Die Digitalisierung ist ja ein Übergang von der Industriegesellschaft in die Wissensgesellschaft.

Ich vergleiche das ganz gern mit dem Übergang vor 200 Jahren von der Agrargesellschaft in die Industriegesellschaft. Man muss jetzt nicht verzweifelt in den nächsten zwei Jahren die Digitalisierung umsetzen. Es gibt an jeder Ecke neue Start-ups, die mit Künstlicher Intelligenz, Big Data und anderem den Einkauf analysieren und Prozesse automatisieren.

Aber es ist noch ein langer Weg, und man muss es nicht bis nächstes Jahr erledigt haben. Ich sollte in Ruhe abwägen, was in mein Unternehmen und zu meinen Prozessen passt, und auch mal etwas testen und wieder verwerfen dürfen. Ich frage in meinen Seminaren: Wer schickt denn noch Faxe? Das Ergebnis: 85 Prozent schicken noch Faxe.

Also sind digitalisierte Prozesse noch lange nicht angekommen?

Schmid: Das ist nicht nur ausschließlich im Einkauf so, auch in vielen Nachbarabteilungen, die noch nicht so weit sind. Nun ist natürlich auch die Bandbreite der Digitalisierung extrem weit.

Es müssen sich alle damit beschäftigen, die wirklichen Digitalisierungsfortschritte ergeben sich abteilungsübergreifend, aber meiner Meinung nach ist es kein Grund zur Panikmache. Man hat ja oft das Gefühl, du musst schon längst auf den Zug aufgesprungen sein und bis Mitte nächsten Jahres muss alles erledigt sein. Wir stehen am Anfang eines sehr langen Weges.

Aber hat sich durch Corona nicht der Druck erhöht, sich zu digitalisieren?

Schmid: Es ist ganz viel Druck aufgebaut worden in Bereichen wie Schulen und öffentlicher Verwaltung. Auf den Einkauf natürlich auch ein Stück mehr. Und das ist auch gut so. Denn in dem Bereich haben wir uns hier in Deutschland nicht unbedingt mit Ruhm bekleckert.

Sie empfehlen, die Komplexität im Einkauf zu reduzieren. Wie soll das gehen?

Schmid: Das Typische an Komplexität ist, die kommt ganz, ganz heimlich geschlichen, und wenn sie einmal da ist, ist sie schwierig wieder loszuwerden. Grundsätzlich gibt es zwei Möglichkeiten, mit dem Thema umzugehen. Ich versuche es zu vermeiden, das wäre natürlich der Königsweg.

Der zweite Weg ist, die Komplexität zu beherrschen. Das schaffe ich ein Stück weit mit Struktur. Dabei kann die Digitalisierung helfen. Was uns Corona gezeigt hat, ist, dass irgendwie alles mit allem verwoben ist. Es hilft, zu vereinfachen, Struktur reinzubringen und die Vielzahl der Daten und Varianten beispielsweise mit Big Data und Künstlicher Intelligenz zu organisieren.

Was ist momentan aus Ihrer Sicht der größte Spannungsbogen im Einkauf?

Schmid: Meiner Meinung nach ist es tatsächlich die Versorgungsicherheit. Ich arbeite seit 25 Jahren im Einkauf, aber, wenn ich die Probleme im Suezkanal, die Frachtcontainerproblematik und die teilweise leeren Supermarktregalen sehe – Lieferkettenprobleme in diesem Ausmaß gab es vorher nicht.

Die Lieferprobleme bei Halbleitern führen dazu, dass die Automobilindustrie Schichten absagen muss. Es kann auch mal etwas schiefgehen, aber die Vielzahl der Einschläge ist im Moment einfach zu hoch. Das hinterlässt Spuren im Denken der Einkäufer, daher hat die Versorgungssicherheit momentan die höchste Priorität.

Zudem steigen durch die Verknappung, ob bei Rohstoffen, Halbleitern oder auch bei den Frachtcontainern, insgesamt die Preise.

Wie sehen Sie das Lieferkettengesetz?

Schmid: Ich sehe es mal aus Kundensicht: Wenn ich bei Facebook 30 Klicks mache, dann kennt mich Facebook oder der Algorithmus angeblich besser als meine eigene Frau. Man spricht vom gläsernen Kunden. Und das ist etwas, das ich mir auch als Einkäufer wünschen würde: Den gläsernen Markt oder den gläsernen Lieferanten.

Wenn ich irgendeinen Handwerker benötige, dann schaue ich mir doch auch die Google-Bewertungen an und orientiere mich daran. So etwas gibt es im professionellen B2B-Bereich bisher kaum. Es ist nicht abwegig, dass große Lieferantenportale eine Bewertung der Teilnehmer oder der dort gelisteten Kunden und Firmen aufnehmen.

Ich wünsche mir in der Lieferkette schon mehr Transparenz, und das Lieferkettengesetz geht in die richtige Richtung. Natürlich muss weiterhin eine klassische Lieferantenbewertung für Bestandlieferanten gemacht werden, aber wenn ich einen transparenteren Zuliefermarkt erhalte, ist das für mich ein Fortschritt, insbesondere beim Onboarding von neuen Lieferquellen.

Ist das die neue Form des Wissensmanagements für einen erfolgreichen Einkauf?

Schmid: Wir sind als Einkäufer davon abhängig, mehr Informationen zu bekommen. In vielen Unternehmen findet mehr als 50 Prozent der Wertschöpfung außerhalb des eigenen Unternehmens statt. Es geht dabei nicht nur um die Kosten meines Produkts, sondern auch um Know-how und insbesondere um Innovationen.

Die finden nicht nur im eigenen Unternehmen statt, sondern vielmehr im Rest der Welt. Da ist es nicht damit getan, dass ich auf Messen fahre und mir dort technische Neuerungen anschaue. Davon mal abgesehen, dass das im Moment gar nicht so einfach ist. Ich brauche Strate­gien, um Innovationen in mein Unternehmen und in meine Produkte zu bringen.

Die Automobilindustrie zeigt beispielsweise, wie Zulieferinnovationen aktiv eingebunden werden können. Diese Form der Zusammenarbeit mit den Lieferanten braucht man heute.

Vita Manfred Schmid

Portrait von Manfred Schmid
(Bild: privat)

Manfred Schmid ist Manfred Schmid ist selbstständiger Unternehmensberater und Industriemanager. Der Maschinebau- und Wirtschaftsingenieur war in Managementpositionen und als Geschäftsführer für verschiedene Hidden Champions tätig. Zentrales Feld seiner Arbeit ist die nachhaltige Unternehmensentwicklung. Schwerpunkte bilden dabei Beschaffungsprojekte und Einkaufsoptimierung. Sein Buch ‚Einkauf neu denken‘ ist im Verlag Books on Demand erschienen.

Dann ist also die große Frage, wie man am besten die Innovation von Lieferanten mit ins Boot holt?

Schmid: Genau! Es gibt so viele kreative Ideen auf der Welt und die meisten entstehen außerhalb meiner Firma. Ich kann ja nicht davon ausgehen, dass alles bei mir im Haus entsteht. Diesen Innovationsmarkt muss ich natürlich anzapfen und abschöpfen.

Wie gelingt dies?

Schmid: Da reicht es nicht, nur auf Fach- oder eigene Hausmessen zu gehen. Zum einen gebe ich meinen eigenen Lieferanten zu verstehen: Wenn ihr was Neues habt, dann möchte ich das nicht auf einer Messe vorgestellt bekommen, sondern ich hätte es gerne aufgrund unserer guten Lieferantenbeziehung als Erster gesehen.

Ich möchte schauen, ob wir das bei uns verwenden können, damit auch Umsatz bei euch generieren, und ob wir es gemeinsam weiterentwickeln können. Andererseits muss ich aber auch proaktiv den Markt nach neuen Techniken absuchen. Man muss informiert sein, was es Neues da draußen gibt. 

Es braucht also einen Innovationsscout. Ist das mehr im Einkauf verankert oder in den Entwicklungsabteilungen? 

Schmid: Das hängt, glaube ich, von den Unternehmen ab. In einem Unternehmen läuft es in Abstimmung mit dem Einkauf, in anderen Unternehmen läuft es nur in der Entwicklung – da ist der Einkauf leider kaum involviert.

Ein Miteinander bringt einfach das größte Augenmerk auf dieses wichtige Thema. Um dann schließlich eine Innovation von außen als Serienprodukt ins eigene Unternehmen und in den Markt zu bringen, müssen die Abteilungen ohnehin zusammenwirken, das geht einzeln einfach nicht.  

Jetzt können Einkäufer dank Corona aber nicht vor Ort bei den Lieferanten sein... 

Schmid: Trotz der Problematiken, die Corona mit sich brachte, gibt es weiterhin Innovationspräsentationen oder Innovationsroadmaps bei den Unternehmen, die uns neue Entwicklungen zeigen. Aber ich sehe ein Problem darin, dass wir nicht mehr raus zum Lieferanten kommen. Dort kann man viel lernen und entdecken.

Der Kontakt zum Herstellungsprozess, zur Wertschöpfung, geht verloren. Diese Möglichkeit, zu sehen, wie der Laden tickt und ein Gespür dafür zu bekommen, wie es um ihn steht, wie hoch die Auslastung ist, geht verloren. Vieles wie Risikobeurteilung wird dadurch erheblich schwerer. Hier gibt es sicherlich einiges nach Corona nachzuholen. 

Erwarten Sie auch wie viele Kreditversicherer, dass die Zahl der Insolvenzen ansteigt?

Schmid: Im letzten Oktober waren sich ja alle einig, dass die Insolvenzwelle im Januar kommt. Da will ich mich gar nicht ausschließen. Inzwischen glaube ich nicht mehr an die große Insolvenzwelle, vor allem nicht in der klassischen Industrie.

Wir werden natürlich Probleme bekommen im Einzelhandel und in der Gastronomie/Hotellerie. Aber ich glaube, dass in allem eine Chance der Bereinigung liegt.

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