Schild mit der Aufschrift Geschlossen in einem Geschäft

Euler Hermes rechnet mit einem Anstieg der Insolvenzen im neuen Jahr. (Bild: Axel Bueckert/Adobestock)

Update 27. Juli 2020

Einer aktuellen Untersuchung von Euler Hermes zufolge sollen die weltweiten Insolvenzen bis 2021 um insgesamt 35 Prozent steigen. Das wäre ein neuer Negativrekord. Im Zentrum der globalen Pleitewelle sieht der Kreditversicherer die USA. Hier sollen bis 2021 bis zu 57 Prozent mehr Unternehmen zahlungsunfähig werden. Alleine die Steigerung in 2020 sieht Euler Hermes bei 47 Prozent, in 2021 soll die Steigerung dann nur noch 7 Prozent betragen.

Während sich die USA aktuell im Epizentrum der Insolvenzwelle befinde, herrsch in einigen anderen Ländern noch die Ruhe vor dem Sturm – so auch in Deutschland. Allerdings dürfte spätestens ab dem Herbst überall auf der Welt die Pleitewelle einsetzen, die sich dann über das gesamte erste Halbjahr 2021 fortsetzt. In zwei von drei Ländern zeigt sich bereits jetzt ein massiver Anstieg der Pleiten, im anderen Drittel wiederum findet der stärkste Anstieg zeitversetzt erst 2021 statt.

„Vergleicht man die Prognosen von 2021 mit den Fallzahlen von 2019, ergibt dies in den beiden Jahren einen kumulierten Zuwachs der globalen Pleiten um mehr als ein Drittel (+35%) auf einen neuen Negativrekord", sagt Maxime Lemerle, Chef der Insolvenz- und Branchenanalysen bei der Euler Hermes Gruppe. „Wenn die jeweiligen staatlichen Unterstützungsmaßnahmen zu früh beendet werden, dürfte der Anstieg sogar noch um fünf bis zehn Prozentpunkte höher ausfallen."

Kommt Deutschland mit einem blauen Auge davon?

Keine guten Nachrichten für die Exportnation Deutschland, bei der sich negative Entwicklungen in den Exportmärkten meist stärker auswirken als in anderen Staaten. Trotzdem kommt Deutschland im Vergleich voraussichtlich besser durch die Krise als viele andere.

„Deutschland könnte im Vergleich zu vielen anderen Ländern mit einem blauen Auge davonkommen", sagt Ron van het Hof, CEO von Euler Hermes in Deutschland, Österreich und der Schweiz. „Gründe dafür sind neben der besseren Ausgangssituation und dem kürzeren, weniger strikten Lockdown vor allem die schnellen und sehr umfangreichen Sofortmaßnahmen der Regierung. Insbesondere der gemeinsame Schutzschirm von Bund und Kreditversicherern für deutsche Unternehmen hat den Handel erst einmal stabilisiert und Lieferketten zusätzlich geschützt."

Insgesamt dürften die Pleiten hierzulande im Zuge der Covid-19-Pandemie bis 2021 um insgesamt zwölf Prozent auf dann etwa 21.000 Fälle ansteigen. Der Löwenanteil dürfte mit acht Prozent auf 2021 entfallen. 2020 erwartet der Kreditversicherer einen Zuwachs der Fallzahlen um vier Prozent auf rund 19.500 Fälle. Damit gehört Deutschland wie auch Großbritannien, Frankreich, Belgien, der Schweiz oder Indien zu dem Drittel der Länder, die die Negativeffekte zeitverzögert erreicht.

Aussetzung der Insolvenzantragspflicht

Neben den staatlichen Sofortmaßnahmen ist einer der Hauptgründe dafür die temporäre Aussetzung der Insolvenzantragspflicht in Deutschland bis zum Herbst.

„Unternehmen in Schieflage müssen dies aktuell erst im Herbst bei einem Insolvenzgericht anzeigen", sagt Van het Hof. „Deshalb sehen wir aktuell noch relativ wenige Fälle in Deutschland. Aber der Schein trügt und im Herbst schlägt für viele die Stunde der Wahrheit. Auch wenn aufgrund der temporär ausgesetzten Antragspflicht zuletzt nur wenige Insolvenzen angemeldet wurden, darf auch das nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir im ersten Halbjahr 2020 trotzdem bereits eine Häufung von Großinsolvenzen sehen – insbesondere in Schlüsselbranchen wie der Automobil- und Metallindustrie."

Grafik zur Zunahme der weltweiten Insolvenzen
Prozentuale Zunahme der globalen Pleiten. (Grafik: Dörte Neitzel, Daten: Euler Hermes)

Schuldenberge machen neue Geschäftsmodelle schwierig

Hinzu kommen große Herausforderungen für die Unternehmen bezüglich der sich – nicht zuletzt durch Covid-19 – drastisch verändernden Geschäftsmodelle.

„So ist zum Beispiel kein Unternehmen darauf ausgerichtet, plötzlich nur noch die Hälfte der Kunden zu bedienen. Viele Unternehmen müssen ihr Geschäftsmodell grundlegend überdenken und adaptieren. Das müssen sie erst einmal finanzieren, dazu brauchen sie Margen und eine Lösung für die Restrukturierungen ihrer Schuldenberge, die durch Covid-19 bei vielen Unternehmen stark gewachsen sind. Zusammen mit der digitalen Transformation sind das viele Variablen, die über die weitere Entwicklung auch nach 2021 entscheiden werden“, resümiert Van het Hof.

Trotzdem trifft es viele Unternehmen in anderen Ländern früher und härter: Die USA (+47% Anstieg der Insolvenzen 2020) führen das Negativranking der Länder an, die bereits 2020 unter einem massiven Anstieg der Insolvenzen leiden. Sie teilen ihr Schicksal mit zwei von drei Ländern weltweit. Darunter befinden sich neben den USA, Brasilien (+32% im Jahr 2020) und China (+21%) auch viele europäische Staaten wie beispielsweise Portugal (+30%), die Niederlande (+29%), Spanien (+20%) oder Italien (+18%).

Januar-Voraussage noch mit vergleichsweise moderatem Anstieg

Bereits vor der Corona-Pandemie, im Januar, prognostizierte Euler Hermes steigende Insolvenzzahlen für 2020. Danach wären die weltweiten Pleiten weiter auf dem Vormarsch gewesen, und das zum vierte Mal in Folge.

Die Experten der Allianztochter gingen vor einem halben Jahr aber noch davon aus, dass 2020 weltweit rund sechs Prozent mehr Insolvenzen mit sich bringen sollte. Das wäre eine etwas langsamere Zunahme als noch 2019 gewesen (+9%).

„In vier von fünf Ländern steigen 2020 voraussichtlich die Pleitefälle an“, sagt Ron van het Hof, CEO von Euler Hermes in Deutschland, Österreich und der Schweiz. „2019 war der Zuwachs zwar insgesamt höher, aber dafür waren im vergangenen Jahr nur zwei von drei Länder von steigenden Insolvenzen betroffen. Das bedeutet, dass Exportrisiken praktisch überall lauern – einen "sicheren Hafen" gibt es kaum noch.“

Anhaltende Konjunkturschwäche, politische und soziale Unsicherheiten

Die Ursachen für den Anstieg der weltweiten Insolvenzen sah Euler Hermes damals in der anhaltenden Konjunkturschwäche, insbesondere in den Industriestaaten und dem produzierenden Gewerbe. Die schwache Nachfrage hatte die Lagerbestände vielerorts steigen lassen und zu Überkapazitäten geführt, vor allem in der Automobilindustrie.

Auch die weiter nachhallenden Folgen aus Handelskonflikten, politischen Unsicherheiten und sozialen Spannungen waren Gründe für die - aus heutiger Sicht - moderaten Anstiege der Insolvenzfälle.

Rote Laterne wäre an Chile gegangen

So rechneten die Euler-Hermes-Experten zu Jahresbeginn damit, dass China 2020 die rote Laterne nach drei Jahren an Chile weiterreichen würde. Für die Südamerikaner wären im laufenden Jahr die Insolvenzen auch ohne Corona um 21 Prozent angestiegen. Die Slowakei (+12%) und Indien (+11%) wären gefolgt.

Auch für China hatten die Volkswirte für 2020 eine weitere Pleitewelle und einen Anstieg der Fallzahlen um 10 Prozent erwartet - und das nach einem bereits massiven Anstieg um rund 20 Prozent im Jahr 2019. Auch Singapur (+10%) und Hongkong (+9%) wären ohne Corona hart getroffen worden.

Frankreich wäre Klassenbester in Europa geworden

Für Westeuropa rechnete Euler Hermes ursprünglich mit einem Plus von drei Prozent (2019: 2%). Dabei sahen sie besonders Dänemark (+6%), Spanien, die Niederlande und Irland (jeweils +5%) sowie Italien (+4%) im Fokus.

Aber auch Großbritannien wäre "nur" mit dem Brexit bei einem erneuten Zuwachs von rund 3 Prozent bei den Pleiten gelandet. Auch für Deutschland rechneten die Analysten mit drei Prozent mehr Insolvenzen als noch 2019.

Als rühmliche Ausnahme in Europa wären Frankreich gewesen: Für unsere französischen Nachbarn hatten die Volkswirte 2020 nach langen wirtschaftlich eher schwierigen Zeiten eine Stagnation der Insolvenzen prognostiziert.

Besonders bitter: Brasilien war auf gutem Weg

Auch weltweit wäre der Klassenprimus bei der Insolvenzentwicklung durchaus überraschend gewesen: Für Brasilien hatte Euler Hermes gegen den weltweiten Trend sogar drei Prozent weniger Pleiten als 2019 erwartet.

Damit hätte sich das südamerikanische Land im selben Takt mit Ungarn (-3%), Griechenland und Litauen (jeweils -2%) sowie Neuseeland, Polen, Norwegen, Luxemburg und eben Frankreich (alle 0%) befunden. Bis Corona kam.

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