Wenn Spinnen vereint weben, können sie einen Löwen fesseln, heißt es in Äthiopien. Die Weisheit gilt auch bei der Planung und Errichtung neuer Büro- und Fertigungsgebäude. Denn wenn Bauherr, Architekt und Fachplaner dabei von Anfang an zusammenarbeiten, entsteht das Bauwerk termingerecht und ohne Überschreitung des Kostenrahmens – vorausgesetzt die an Planung und Bau Beteiligten arbeiten mit Building Information Modeling (BIM).
Bei dieser Methode entwerfen der Architekt und die Fachplaner das Gebäude nicht am Zeichenbrett, sondern entwickeln zunächst ein digitales Modell des Bauwerks. Darin hinterlegen sie alle Bauteile mit einer Fülle von Informationen etwa zum Material, aus dem Wände und Decken bestehen, dem Wärmedurchgangskoeffizient oder der Schallabsorptionsfähigkeit von Fenstern und Türen. Angaben zum Hersteller und das Einbaudatum von Heizkesseln oder Klimaanlagen finden sich in dem Modell ebenso wie Bedienungsanleitungen und Wartungsverträge.
Building Information Modeling unterstützt Gebäudeverwalter und die Instandhaltung
So muss der Verwalter diese beim Betrieb des Gebäudes später nicht in überfüllten Aktenordnern suchen. Mit den im Modell hinterlegten Daten kann er auch die Instandhaltung leichter planen, weil das virtuelle Abbild jederzeit Auskunft darüber gibt, wann wo im Gebäude welche Maßnahmen durchzuführen sind.
Da alle an dem Bauvorhaben Beteiligten ihre Planungen in dasselbe Modell eintragen, kann dieses bei einem BIM-Projekt noch vor dem ersten Spatenstich auch automatisch prüfen, ob Gas-, Wasser- und elektrische Leitungen dort verlaufen können, wie von den einzelnen Fachbetrieben geplant, oder ob etwa der Sanitärplaner eine Wasserleitung dort verlegen will, wo der Statiker einen Stahlträger vorgesehen hat.
Werden solche Widersprüche und Kollisionen erst auf der Baustelle entdeckt, müssen Arbeiter bereits gebaute Gebäudeteile wieder abreißen. Das führt zu hohen Mehrkosten und Zeitverzug.
Termingerecht und ohne Mehrkosten bauen
Mit BIM bleiben Projekte somit sehr viel eher im geplanten Kostenrahmen. Doch auch der Faktor Zeit erhält mehr Zuverlässigkeit. Weil das Modell das geplante Gebäude und die für seinen Bau erforderlichen Arbeiten der einzelnen Gewerke für alle Beteiligten transparent macht, können diese ihre jeweiligen Leistungen besser und abgestimmter eintakten.
Der Bau kann weitgehend ohne Leerlaufzeiten umgesetzt und termingerecht(er) fertiggestellt werden. Da das Gebäude dadurch früher in Betrieb genommen werden kann, verbessert sich so letztlich die Rentabilität des für seinen Bau eingesetzten Kapitals.
Deshalb und da sich mit BIM geplante und errichtete Bauwerke später effizienter nutzen und günstiger unterhalten lassen, sinken über den gesamten Lebenszyklus des Gebäudes hinweg die Kosten für die Immobilie. Auch dann, wenn Architekt und Planer für die Erstellung des Modells sowie die Erfassung und Einarbeitung der geforderten Daten sowie deren laufende Aktualisierung während der Bauarbeiten mehr abrechnen.
Davon sind drei von vier Anlagenbauern, Bauunternehmern und Fachplanern überzeugt, ergab eine Studie der Unternehmensberatung PricewaterhouseCoopers zur Digitalisierung in der Baubranche. Genauso viele Befragte berichteten zudem, dass es dank BIM zu weniger Reklamationen und Nacharbeiten kommt. Sechs von zehn Teilnehmern der Studie gaben an, dass sie dadurch seltener in gerichtliche Auseinandersetzungen mit Bauherrn verwickelt sind.
BIM liefert die optimale Gebäudehülle für die Industrie 4.0
In der Industrie 4.0 kann BIM sogar noch mehr: „Da die Komplexität der in einem Gebäude ablaufenden Prozesse in der vernetzten und digitalisierten Fertigung zunimmt, steigen auch die Ansprüche an das Gebäude selbst. BIM und ein digitaler Zwilling helfen, diese Komplexität beherrschbar zu machen“, erklärt Stefanie Samtleben, Expertin für die BIM-Planung von Fabrikgebäuden für die Industrie 4.0 beim Fraunhofer-Institut für Fabrikbetrieb und -automatisierung (IFF).
Ihre Erfahrung aus der Industrie 4.0 bringt sie auch in das Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum Planen und Bauen ein. Mit diesem fördert das Bundeswirtschaftsministerium die Digitalisierung in Handwerksbetrieben sowie kleinen und mittelständischen Bauunternehmen. Thomas Kirmayr, Leiter des Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrums Planen und Bauen und zugleich auch Geschäftsführer der „Allianz Bau“ der Fraunhofer-Gesellschaft stimmt Samtleben zu: „Wenn Unternehmen ihre Produktion über das Internet der Dinge mit Plattformen vernetzen und dort mit Künstlicher Intelligenz optimieren brauchen sie für ihre Fertigungsprozesse auch die optimale Gebäudehülle“, sagt Kirmayr.
Wie das Gebäude idealerweise beschaffen sein sollte, lasse sich mit einem digitalen Zwilling des Bauwerks schon in der Planungsphase in einer Qualität simulieren, wie sie Industrieunternehmen aus der Anlagenplanung mit CAD-Modellen schon lange kennen.
Jeder bauliche Einfluss auf die Produktionsprozesse lässt sich simulieren
„Denn in dem virtuellen Modell sind nicht nur alle Gebäudeteile miteinander verknüpft. Mit entsprechenden Programmen lassen sich auch Angaben zur geplanten Nutzung des Bauwerks einspielen – etwa der Lärmpegel oder die Luft- und Wärmeströme der Maschinen, die dort aufgestellt werden“, berichtet Kirmayr.
Mit den Daten können Produktionsplaner und Fachingenieure dann ermitteln, wie sie das Gebäude optimal gestalten müssen, um die dort ablaufenden Prozesse baulich bestmöglich zu unterstützen. „Sie können also beispielsweise überprüfen, ob an vorgesehenen Arbeitsplätzen zur richtigen Zeit möglichst viel Tageslicht einfällt, an den Aufstellorten von Anlagen dagegen aber möglichst wenig Wärme durch die Sonne eingetragen wird“, erläutert Thomas Kirmayr.
Was in Fertigungshallen und Laboren geht, funktioniert natürlich auch in Bürogebäuden. „Dort lässt sich mit einem digitalen Zwilling simulieren, in welchen Bereichen ihrer Gebäude sie am wenigsten Heizenergie und Strom für Lüftung und Beleuchtung brauchen.
Wenn ihr Bedarf an Büroarbeitsplätzen künftig sinkt, weil mehr Mitarbeiter im Home Office tätig sind, können Unternehmen Betriebskosten sparen, wenn sie die noch benötigten Schreibtische in den ermittelten ressourcenschonenden Bereichen platzieren, statt über das gesamte Gebäude zu verteilen“, erklärt Silke Wedemeyer.
Die Architektin unterrichtet an der Jade-Hochschule Oldenburg und ist ebenfalls eingebunden in das Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum Planen und Bauen. Sie ist spezialisiert darauf, Planungsbüros sowie kleine und mittelständische Bauunternehmen bei der Digitalisierung ihrer Abläufe zu unterstützen.
BIM-Verträge rechtssicher gestalten
Als der Deutsche Bundestag 2017 die Reform des Bauvertragsrechts vorbereitete, spielte BIM noch keine so große Rolle, dass der Gesetzgeber die Methode in der am 1. Januar 2018 in Kraft getretenen Novelle berücksichtigt hätte.
Bauherrn müssen die Pflichten ihrer Planer sowie deren Haftung und Vergütung daher rechtlich in eigenständigen Werkverträgen regeln. Dies gilt für alle Leistungen, die über die Erstellung eines einfachen, geometrischen Modells hinausgehen.
Diese Leistung wird noch von der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) erfasst. Sie überlässt dem Planer bei der Wahl der Planungsmethode die Entscheidungsfreiheit. Er kann also händisch ebenso wie mit BIM-Modellierungssoftware arbeiten.
Den Aufwand, der entsteht, wenn ein einfaches Modell mit vielen Daten angereichert und zu einem digitalen Zwilling erweitert wird, bildet die HOAI aber nicht mehr ab. Wer das volle Potenzial der BIM-Methodik nutzen will, sollte mit der Projektsteuerung sowie Erfassung, Aktualisierung und Qualitätssicherung der Daten daher einen BIM-Manager in einem eigenständigen Vertrag beauftragen.
Bestandteil dieses Vertrags sollten sowohl die Auftraggeber-Informationsanforderungen wie die im BIM-Ablaufplan für das Projekt festgelegten Kommunikationswege und Regeln der Zusammenarbeit sein.
BIM setzt eine hohe Datenqualität voraus
Aus dieser Praxis weiß Silke Wedemeyer auch, dass BIM nur funktioniert, wenn bei einem mit der Methode umgesetzten Bauvorhaben klar geregelt ist, welcher Beteiligte für die Qualität der Informationen im Modell zuständig ist. „BIM kann sein Potenzial nicht entfalten, wenn die vorgehaltenen Daten nicht aktuell und valide sind“, bestätigt auch Stefanie Samtleben.
„Deshalb muss festgelegt werden, wie die Informationen während der gesamten Planungs- und Bauphase in der geforderten Qualität nachgehalten und neue Daten ergänzt werden.“ Um dies zu regeln, muss der sogenannte BIM-Ablaufplan (BAP) erstellt und als Bestandteil in die Verträge mit Architekt und Planern aufgenommen werden.
Wie ein BAP aussieht, der in der Praxis gut funktioniert, haben die Experten des Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrums Planen und Bauen in vielen Pilotprojekten ermittelt. Diese Erkenntnisse stellen sie Bauherrn und –unternehmen in ihren vielfältigen Angeboten zum digitalen Planen und Bauen sowie in Handreichungen wie dem BIM-Leitfaden für den Mittelstand zur Verfügung.
"Verstehen Sie BIM als Teil Ihrer Industrie-4.0-Strategie"
Aus ihrer praktischen Arbeit wissen die Fachleute des Kompetenzzentrums allerdings auch, dass der beste BAP wenig hilft, wenn Auftraggeber bei einem BIM-Projekt nicht wissen, welche Informationen sie über ihr Gebäude überhaupt benötigen. „Der Bauherr trägt bei digitalen Planungsprozessen viel Verantwortung“, betont der Leiter des Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrums Planen und Bauen, Thomas Kirmayr.
Um ihre Rolle ausfüllen zu können, sollten sich Bauherrn aus der Industrie zunächst damit beschäftigen, welche neuen Möglichkeiten ihnen digitalisierte Planungs- und Bauprozesse als Tools bei der Steigerung der Effizienz und Produktivität ihrer Kernprozesse bieten. „Sie sollten BIM als Bestandteil ihrer Industrie-4.0-Strategie und weniger als Teil ihres Gebäudemanagements sehen“, rät Kirmayr.
Wer diesen Perspektivenwechsel vollziehe, erkenne rasch die produktionstechnischen Vorteile, die er sich mit BIM erschließt. Durch BIM ist es so auch möglich, verschiedene Nutzungsszenarien zu simulieren und so letztlich das Bauwerk nutzungsgerecht zu optimieren. All das ermöglicht BIM und der so geschaffene digitale Zwilling des Bauwerks.
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Ausschreibung und Vergabe cross-funktional vorbereiten
Wenn sie im Rahmen eines Bauprojektes BIM-Planungsleistungen vergeben, können weder Gebäudemanager noch Einkäufer diesen Informationsbedarf alleine ermitteln. „Dazu müssen sie sich Kollegen aus der Gebäudeverwaltung ebenso mit an den Tisch holen, wie solche aus der Werkslogistik und der Produktionsplanung“, rät Thomas Dengler, Wirtschaftsingenieur und Produktionstechniker am Fraunhofer IFF.
Der Input der Produktionsplaner sei vor allem dann wichtig, wenn das Set-up der Fertigung in dem neuen Gebäude öfters verändert werden soll, berichtet Dengler, der Mittelständler bei Planungs- und Bauprozessen unterstützt. Damit Planer von Anfang an wissen, was von ihnen gefordert wird, sollten Bauherrn ihren Informationsbedarf möglichst zu Beginn der Planung ihres Gebäudes benennen können, in den sogenannten Auftraggeber-Informationsanforderungen (AIA) strukturiert auflisten und diese ebenfalls zum Vertragsbestandteil machen.
Dieses Dokument muss auch die Datenformate und Klassifikationen festlegen, die der Bauherr braucht, um die Informationen über die (Daten-)Schnittstellen der von ihm verwendeten Simulations- und Gebäudemanagementprogramme in diese einspielen und weiterverarbeiten zu können.
Auf den Bauherrn kommt es an
Auch damit hat der Bauherr seine Aufgaben bei einem BIM-Projekt allerdings noch nicht erfüllt. „Denn die Qualität des Planungsergebnisses hängt davon ab, wie eng er während des gesamten Bauvorhabens mit Architekten und Planern zusammenarbeitet“, erklärt Fraunhofer-Fachmann Kirmayr.
Der digitale Prozess der Bauplanung und –ausführung sei erheblich kooperativer, iterativer und agiler, als die herkömmliche Art, zu bauen. „Da mithilfe des digitalen Zwillings zu jedem Zeitpunkt der Planung und des Baus alle denkbaren Gestaltungsmöglichkeiten simuliert werden können, sind bei BIM viel öfter Entscheidungen zu fällen, die nur der Bauherr treffen kann“, sagt Kirmayr.
Wenn Einkäufer die dazu erforderliche Zusammenarbeit und Kommunikation zwischen den Kollegen aus den Fachabteilungen und den Planern sowie dem Architekten koordinieren, sind auch sie mit einem BIM-Projekt länger beschäftigt als mit der Ausschreibung und Vergabe klassischer Planungsleistungen. Nicht selten haben sie dabei wie bei der Entwicklung ihrer Lieferanten auch die Aufgabe, Planern und ausführenden Unternehmen die Prozesse in ihrer Fertigung verständlich zu machen.
Doch dieser Aufwand lohnt. Denn dann läuft es wie bei den Spinnen im Hochland Äthiopiens. Wenn sie vereint weben, stemmen sie selbst das größte Projekt.