Seit einigen Jahren gibt es bei den deutsch-chinesischen Handelsströmen vor allem eine Entwicklung: China verschifft immer mehr Waren nach Deutschland, umgekehrt stagniert der Absatz fast. Im Jahr 2022 war diese Entwicklung besonders drastisch: Die Ausfuhren nach China stiegen nur um gut 3 Prozent, die Einfuhren dagegen um 34 Prozent. Allerdings: Der hohe Anstieg auf der Einfuhrseite liegt teils an Sondereffekten.
Eine neue IW-Studie nimmt nun die Handelsströme genau unter die Lupe und identifiziert die Produkte, bei denen die Abhängigkeit Deutschlands besonders groß geworden ist: So gab es im Jahr 2021 298 Produktgruppen mit einem Einfuhrwert von jeweils mindestens zehn Millionen Euro, bei denen Deutschlands Importe zu mehr als 50 Prozent aus China kamen. Bei 211 dieser Produktgruppen hat sich Chinas Anteil 2022 weiter vergrößert.
So trug ein sehr starker, aber nur temporärer Anstieg in einer Untergruppe der Chemischen Erzeugnisse allein rund ein Drittel zum Anstieg des Einfuhrwerts von 34 Prozent bei. Zudem hatten Preissteigerungen einen Effekt, da die gewichtsmäßige Einfuhr aus China (in Tonnen) nur um gut 8 Prozent stieg. Dieser Effekt sollte aber nicht überbewertet werden, da Preissteigerungen auch bei den Gesamteinfuhren eine große Rolle spielten und zudem teilweise länger relevant sind, also nur bedingt einen Sondereffekt darstellen.
Zudem stiegen auch die gewichtsmäßigen Einfuhren aus China weit stärker als die aus allen Ländern, die um knapp zehn Prozent schrumpften. Chinas Anteil an den deutschen Einfuhren stieg also wert- und gewichtsmäßig deutlich. Jenseits gewisser Sondereffekte war der wertmäßige Einfuhranstieg aber sehr breit angelegt. Knapp über die
Hälfte der 4-Steller-Produktgruppen mit auswertbaren Daten (119 von 229) weisen Einfuhrwachstumsraten von über 30 Prozent auf. Unter den Top Ten der 4-Steller-Produktgruppen mit dem stärksten Beitrag zum Gesamteinfuhrwachstum befinden sich fünf Produktgruppen der Elektroindustrie.
2-stellige Produktgruppen: Welche Sondereffekte gab es 2022?
Auf der 2-Steller-Ebene des Güterverzeichnisses für Produktionsstatistiken (GP) sind die deutschen Einfuhren von Chemischen Erzeugnissen aus China im Jahr 2022 wertmäßig um 285 Prozent gestiegen. Damit trägt allein diese Warengruppe, auf die 12,7 Prozent der Einfuhren aus China entfallen, zu fast 37 Prozent oder 12,6 Prozentpunkten zum gesamten Einfuhranstieg von rund 34 Prozent bei. Ohne die Sonderentwicklung bei den Chemischen Erzeugnissen wären die gesamten deutschen Einfuhren aus China „nur“ um 21,5 Prozent gestiegen und damit leicht unterdurchschnittlich im Vergleich zum Gesamthandel.
Beim Blick auf die gewichtsmäßige Entwicklung in Tonnen (statt in Euro) ergibt sich bei den Chemischen Erzeugnissen ein Anstieg von 29 Prozent. Der Unterschied zwischen den Zuwächsen der Werte und des Gewichts macht deutlich, dass hier offenbar Preisanstiege eine große Rolle spielen. Allerdings steuern die Chemischen Erzeugnisse auch auf Gewichtsbasis immerhin knapp 27 Prozent zum gewichtsmäßigen Zuwachs der gesamten Einfuhren von 8,2 Prozent bei.
Ein tieferer Blick auf die 4-Steller-Ebene der GP-Außenhandelsstatistik zeigt, dass diese Sonderentwicklung bei der Warengruppe „Sonstige organische Grundstoffe und Chemikalien‘“ zu verorten ist, deren Einfuhrwert aus China sich im Jahr 2022 um rund 750 Prozent erhöhte. Damit trägt allein diese Warengruppe rund 33 Prozent oder 11,4 Prozentpunkte zum gesamten Einfuhranstieg von rund 34 Prozent bei.
Dabei handelt es sich um einen echten Sondereffekt. Das macht die Entwicklung der Einfuhren dieser Warengruppe im Jahresverlauf 2022 deutlich: Der sehr starke Anstieg in den Monaten des ersten Halbjahres bildete sich in der zweiten Jahreshälfte 2022 wieder weitgehend zurück.
Meist wertmäßiger als gewichtsmäßiger Zuwachs
Selbst der gering anmutende Anstieg der gewichtsmäßigen gesamten Einfuhren aus China von 8,2 Prozent führt dazu, dass Chinas gewichtsmäßiger Einfuhranteil deutlich steigt, da die gewichtsmäßigen gesamten deutschen Einfuhren aus allen Ländern im Jahr 2022 um knapp 10 Prozent gesunken sind. Wertmäßig wuchs der Einfuhranteil Chinas von 2021 auf 2022 von 11,9 auf 12,8 Prozent, gewichtsmäßig von 2,3 auf 2,8 Prozent. Hinter den unterschiedlichen Anteilen steht nicht zuletzt, dass aus China, aufgrund hoher Transportkosten und weil China nicht ölreich ist, relativ wenig an sehr schweren Gütern importiert wird.
Bei der Wertentwicklung der Einfuhren aus China im Jahr 2022 wird neben einer recht großen Streuung der Punkte der 2-Steller-Produktgruppen deutlich, dass viele Warengruppen wertmäßige Zuwachsraten zwischen 20 und 50 Prozent aufweisen. Der hohe Einfuhranstieg aus China ist daher nicht ausschließlich auf die Sonderentwicklung bei den Chemischen Erzeugnissen zurückzuführen, sondern findet sich auch in der Breite wieder.
Weitere Produktgruppen, die aufgrund ihres hohen Importanteils einen nennenswerten Beitrag zu der Entwicklung 2022 beigetragen haben sind „elektrische Ausrüstungen“: Bei einem Einfuhranteil von rund 15 Prozent und einem Wertzuwachs der Einfuhren aus China von rund 40 Prozent entfällt allein auf sie im Jahr 2022 ein Wachstumsbeitrag von 17 Prozent oder 5,8 Prozentpunkten des Gesamteinfuhranstiegs aus China von 34 Prozent.
Bei der Warengruppe „Datenverarbeitungsgeräte, elektr. u. opt. Erzeugn.“, die als wichtigste Importwarengruppe fast 30 Prozent der gesamten deutschen Einfuhren aus China ausmacht, reicht ein Anstieg von 14 Prozent im Jahr 2022 aus, damit auf sie ein Wachstumsbeitrag von rund 15 Prozent oder 5 Prozentpunkten der rund 34 Prozent an Gesamteinfuhranstieg entfällt.
Zusammen mit den Chemischen Erzeugnissen tragen diese drei Warengruppen damit rund 69 Prozent oder gut 23 Prozentpunkte zum Gesamteinfuhranstieg bei. Dies verdeutlicht ebenfalls, dass es sich um eine Entwicklung handelt, die nicht auf die Sondereffekte bei Chemischen Erzeugnissen begrenzt ist.
Güterverzeichnis für Produktionsstatistiken (2-stellige Produktgruppen)
4-stellige Produktgruppen: Durchschnittliche 55 Prozent mehr Einfuhren
Auch der Blick auf die 4-stelligen GP-Produktgruppen bestätigt, dass der Einfuhranstieg aus China im Jahr 2022 ein breit angelegtes Phänomen ist. Die Verteilung von 229 4-Steller-Produktgruppen zeigen eine recht große Streuung mit Wachstumsraten von über 100 Prozent (30 Warengruppen) und Rückgängen (29). Relevant ist aber vor allem der Blick auf größere Wertzuwächse: Knapp über die Hälfte der Produktgruppen (119 der 229) weist Einfuhrwachstumsraten von über 30 Prozent auf. Der Mittelwert liegt bei 55 Prozent Einfuhranstieg, der Median bei 31 Prozent.
Auch auf der 4-Steller-Ebene stechen einige Warengruppen heraus. Auf die Top Ten der Produktgruppen mit dem größten prozentualen Beitrag zum gesamten Einfuhranstieg aus China im Jahr 2022 entfallen zusammen knapp 77 Prozent des Gesamtanstiegs. Neben der Warengruppe „Sonstige organische Grundstoffe und Chemikalien“ sind es überwiegend Produkte der Elektroindustrie (5 von 10). Den zweithöchsten Anstieg steuern die elektronischen Bauelemente mit rund 14 Prozent bei.
Top 10 der GP-4-Steller-Produktgruppen mit dem größten Beitrag zum Zuwachs der dt. Importe aus China 2022
Bei welchen 8er-Produktgruppen ist Deutschland besonders abhängig?
Die IW-Studie untersucht auch 8-stellige Produktgruppen nach ihrer China-Abhängigkeit, also auf der höchstmöglichen Disaggregationsstufe. Das Fazit: Insgesamt gibt es mehr Anteilsanstiege als -rückgänge bei Warengruppen mit einer sehr großen China-Abhängigkeit. Im Einzelnen unterteilt sich das wie folgt:
- 36 Warengruppen weisen einen China-Anteil von 80 Prozent oder mehr im Jahr 2021 auf. Nur bei acht dieser Warengruppen ist eine deutliche Verringerung um fünf Prozentpunkte oder mehr sichtbar. Bei neun der Warengruppen ist dagegen ein deutlicher Anteilsanstieg von fünf Prozentpunkten und mehr zu sehen.
- Einen China-Anteil von 70 Prozent und mehr verzeichnen sogar 86 Warengruppen.
- Mehr Anstiege als Rückgänge gibt es auch bei den Warengruppen mit Einfuhranteilen aus China von 50 Prozent und mehr. Bei über 70 Prozent dieser Produktgruppen (211 von 298) ist der China-Anteil im Jahr 2022 gestiegen.
Ab wann gilt ein Importanteil als kritisch oder abhängigmachend?
Das Institut der deutschen Wirtschaft wertet anteilswerte chinesischer Einfuhren von über 50 Prozent oder über 80 Prozent als ein erstes Indiz für kritische Abhängigkeiten. Bei jeder Warengruppe ist jedoch separat zu prüfen, ob sie ökonomisch für längere Zeit verzichtbar ist, und wenn nicht, ob sie in überschaubar kurzer Frist durch Importe aus anderen Ländern oder heimische Produktion in ausreichendem Maß ersetzt werden könnte. Nur wenn das nicht möglich ist, kann von einer wirklich kritischen Abhängigkeit gesprochen werden.
Vermutlich ist dies zumindest bei einigen dieser Warengruppen der Fall, etwa bei manchen Rohstoffen und besonders bei Seltenen Erden. Es ist daher grundsätzlich eine bedenkliche Entwicklung, wenn im Jahr 2022 bei vielen Produktgruppen mit ohnehin schon hohen Einfuhranteilen Chinas diese Anteile überwiegend noch weiter zugenommen haben. Eine Diversifizierung der Bezugsquellen und ein De-Risking scheint hier offenbar noch nicht stattgefunden zu haben.
Ausblick: Wie sieht es 2023 aus?
Das IW hat für einen Ausblick die Daten aus dem ersten Quartal 2023 analsysiert. Hier zeigt sich auf den ersten Blick eine andere Entwicklung als im Jahr 2022. Die Einfuhren aus China gingen im ersten Quartal 2023 gegenüber dem ersten Quartal 2022 um 9,7 Prozent zurück und die Ausfuhren nach China sogar um 12 Prozent. Hinter dieser Entwicklung stehen auf beiden Handelsseiten allerdings deutliche Sondereffekte, die eine klare Einordnung der bisherigen Daten für 2023 erschweren und eine tiefergehende Analyse daher noch nicht nahelegen.
Auf der Einfuhrseite ist erneut ein Sondereffekt bei der Warengruppe „Sonstige organische Grundstoffe und Chemikalien“ zu sehen. Diese Produktgruppe trägt mit minus 6,1 Prozentpunkten zu über 63 Prozent zur Abschwächung der gesamten Einfuhren aus China von 9,7 Prozent im ersten Quartal 2023 bei. Ohne diesen Effekt wären die Einfuhren aus China demnach nur um 3,6 Prozent gesunken. Es dürfte sich dabei um die Gegenbewegung zur Sonderentwicklung von Anfang 2022 handeln, heißt es in der Studie.
Bemerkenswert ist, dass die Einfuhren von Kraftwagen und -motoren aus China im ersten Quartal 2023 gegenüber dem gleichen Vorjahresquartal mit 338 Prozent Zuwachs zu rund 2 Prozentpunkten positiv zur Entwicklung der gesamten Einfuhren aus China beitrugen. Allerdings machten die Einfuhren in dieser Produktgruppe zusammen mit einer weiteren Produktgruppe der chemischen Erzeugnisse und einer Reihe von Gütergruppen der Elektroindustrie im ersten Quartal 2022 nur rund 0,6 Prozent der gesamten Einfuhren aus China aus. Dieser Anteil stieg im ersten Quartal 2023 auf 2,9 Prozent.
Die Autorin: Dörte Neitzel
Dörte Neitzel ist Wissens- und Infografik-Junkie vom Dienst. Dinge und Zusammenhänge zu erklären ist ihr Ding, daher beschreibt sie sich selbst auch gern als Erklärbärin mit Hang zur Wirtschaft – was einem lange zurückliegenden VWL-Studium geschuldet ist. Nach einigen Stationen im Fachjournalismus lebt sie dieses Faible bevorzugt auf der Webseite der TECHNIK+EINKAUF aus und taucht besonders gern ab in die Themen Rohstoffe und erneuerbare Energien.
Privat ist Südfrankreich für sie zur zweiten Heimat geworden, alternativ ist sie in der heimischen Werkstatt beim Schleifen, Ölen und Malern alter Möbel zu finden oder in südbayerischen Berg-und-See-Gefilden mit Hund im Gepäck unterwegs.
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