Die Flaggen der USA und Chinas mit den jeweiligen Köpfen auf ihrer Währung reingerendert

Decoupling: Die Wirtschaftsräume China und USA koppeln sich zunehmend voneinander ab. Was bedeutet das für deutsche Unternehmen? (Bild: William W. Potter - stock.adobe.com)

Durch den Technologie- und Handelsstreit zwischen China und den USA koppeln sich die von ihnen dominierten Handelsräume zunehmend voneinander ab. Dieses Decoupling hat weitreichende Folgen für den Einkauf in Unternehmen, die sowohl in den Vereinigten Staaten als auch der Volksrepublik tätig sind.

Chinas Kommunistische Partei (KP) kümmert sich um ihre Bürger. Wer in Shanghai oder Peking im Verdacht steht, sich mit Corona infiziert zu haben, bekommt medizinische Fürsorge in einer Quarantäneeinrichtung. Leider haben die Verantwortlichen vergessen, die Lager mit ausreichend Ärzten, Pflegepersonal und Sanitäranlagen auszustatten.

In Xinjiang sorgt die KP dafür, dass Uiguren eine Berufsausbildung bekommen. So zumindest erklärt sie, weshalb in der Provinz im Westen Chinas Soldaten Menschen mit Sturmgewehren in Gefängniszellen treiben und auf Folterstühlen festhalten. Solche Szenen zeigen Fotos, die im Zuge der „Xinjiang Police Files“-Enthüllungen in den Westen gelangten.

Pekings Ziel: Handelspartner erpressen

Wer derart zynisch mit Menschen umgeht, verschafft sich auch wirtschaftliche Vorteile auf Kosten der Weltwirtschaft. Im November 2020 schrieb der Präsident der Volksrepublik, Xi Jinping, im Parteimagazin „Qiushi“, China werde seine Stellung bei Technologien wie Hochgeschwindigkeitszügen, Anlagen für die Stromerzeugung und die Nutzung Erneuerbarer Energien sowie im Bereich der Telekommunikation stärken und Unternehmen aus anderen Staaten in diesen Bereichen abhängig von Zulieferungen aus China machen.

Dann könne die Volksrepublik zu „Vergeltungsmaßnahmen“ greifen, wenn Regierungen im Westen den Export von Technologien nach China verbieten, auf die dessen Unternehmen angewiesen sind. Zugleich werde die Volksrepublik im Land ein „unabhängiges, kontrollierbares, sicheres und zuverlässiges“ Produktions- und Zuliefersystem aufbauen.

Volksrepublik strebt nach Dominanz in der Weltwirtschaft

Schon einen Monat zuvor hatte Xi während der fünften Plenarsitzung des 19. Zentralkomitees der KP erklärt, er wolle die chinesische Wirtschaft künftig auf einer „doppelten Zirkulation“ - also einem Wirtschaftskreislauf im Land und einem in der Außenwirtschaft - aufbauen.

Xis Regime strebe mit dieser Neuausrichtung seiner Wirtschaftspolitik in der Auseinandersetzung mit Europa und den USA nicht nach Ausgleich, sondern nach Dominanz, warnt Professor Heribert Dieter, Experte für internationale politische Ökonomie bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Um diese Vorherrschaft zu erreichen, hat China noch im Oktober 2020 ein Exportkontrollgesetz erlassen. Es erlaubt der Regierung in Peking, Ausfuhrembargos gegen Staaten zu verhängen, die Chinas „nationale Sicherheit und seinen Interessen“ schaden.

„Die politische Führung der Volksrepublik ist sich bewusst, welche wichtige Stellung das Land in internationalen Lieferketten innehat und gewillt, diesen Hebel zu nutzen, um politische Ziele zu erreichen“, warnt der Chefvolkswirt des Mercator Instituts für China-Studien (MERICS), Dr. Max Zenglein. Bei diesen Abhängigkeiten müsse es sich nicht notwendig um technisch hochwertige Produkte handeln. „Auch High Tech braucht Low Tech als Input“, so Zenglein. Auch wenn dieser fehle, werde es für Unternehmen unter Umständen schwierig.

Chinesische Regierung manipuliert ausländische Investoren durch Angstmache

Einen Rechtsrahmen zur Durchsetzung dieser Politik hat die KP bislang mit Ausnahme des Exportkontroll- sowie eines Antisanktions-Gesetzes allerdings nicht geschaffen. Meist nutzt sie „außergesetzliche Taktiken wie informelle Anweisungen an Staatsunternehmen, um Exportverbote mit faktischer Geltungskraft zu verhängen“, stellen MERICS und die Europäische Handelskammer in China (EUCCC) in einer gemeinsamen Studie zum Thema „Decoupling“ - also dem Auseinanderdriften der großen Handelsräume der Weltwirtschaft - fest.

Um die heimische Wirtschaft zu stärken, drohten die Behörden der Volksrepublik auf informellen Wegen auch damit, europäischen Unternehmen den Zugang zum chinesischen Markt zu verwehren, heißt es in der Studie weiter. Jiawei Wang, Registered Foreign Lawyer (China) und Leiter des Geschäftsbereichs „China Practice Group“ bei der Kanzlei Rödl & Partner in Stuttgart bestätigt das.

„Die Volksrepublik gibt chinesischen Unternehmen in einigen Bereichen vor, bei ihrer Beschaffung einheimische Produkte zu bevorzugen, wenn es diese gibt und sie mit Angeboten aus dem Ausland vergleichbar sind. Auch das hat keine gesetzliche Grundlage auf nationaler Ebene und läuft vielmehr über die Industriepolitik sowie die Steuerung der diversen Ministerien und lokalen Verwaltungen“, ergänzt Jiawei.

Was ist Decoupling?

Je enger dabei die Welt durch die Globalisierung verzahnt wurde, desto wichtiger wurde es, sich weltweit auf Standards zu einigen. Erfolgsmodelle sind beispielsweise die Normierung von Containern oder der GSM-Standard beim Mobilfunk, der es ermöglicht, mit einem Handy weltweit zu telefonieren. Durch solche Standardisierungen wurde der internationale Handel erheblich vereinfacht und damit erfolgreich.

Dasselbe steht an bei neuen oder generell wegweisenden Technologien wie Clouds, Halbleiter oder 5G. Diese werden vor allem von China und den USA getrieben. Es wäre also im Interesse des Gesamtwohls, sich auch hier auf gemeinsame Standards zu einigen. Doch diese haben nie nur eine technische, sondern vor allem auch eine politische Komponente: Wer die Standards setzt, bestimmt das Geschäft.

Unterschiedliche Standards haben aber weitaus gravierendere Folgen als "dann kocht halt jeder sein eigenes Süppchen". Global agierende Unternehmen sind dann durchaus mit Technologiebrüchen von sich abschottenden Märkten konfrontiert. Das macht die Entscheidung für Produktionsstandorte oder Zulieferer unflexibel und teuer.

Kommunistische Partei setzt auf Inlandskonjunktur als „Plan B“

Das im Juni 2021 verabschiedete Antisanktions-Gesetz erlaubt chinesischen Behörden, Unternehmen abzustrafen, die sich an Sanktionen anderer Staaten gegen die Volksrepublik beteiligen. Wie diese Strafen aussehen könnten, lässt das Gesetz bewusst offen, um Angst zu schüren und Unternehmen so zu einer Art vorauseilender Solidarität mit Peking zu zwingen.

Etwas anderes zeigt schon der Titel der Norm dagegen deutlich: Die KP reagiert mit ihrer neuen Linie in der Außenwirtschaftspolitik auf den 2018 von der damaligen Regierung der Vereinigten Staaten mit Sanktionen gegen chinesische Hightech-Unternehmen wie Huawei sowie später SMIC und HikVision begonnenen Handelskrieg gegen die Volksrepublik. Um sich in dieser Auseinandersetzung zu behaupten, strebt China nun zunehmend nach wirtschaftlicher Autarkie.

„Dass das unerlässlich ist, zeigt sich für die politische Führung in Peking derzeit auch an der Geschlossenheit, mit der Europa und die USA als Reaktion auf den Überfall auf die Ukraine Sanktionen gegen Russland verhängen“, ergänzt der Chefvolkswirt des MERICS, Max Zenglein. „In dieser Situation wird die Konjunktur auf dem chinesischen Binnenmarkt zu einem wirtschaftspolitischen Plan B für Peking“, bekräftigt Jiawei Wang von Rödl & Partner.

Decoupling oder Derisking?

Mittlerweile vermeiden sowohl Politiker als auch Wirtschaftsexperten den Begriff "Decoupling" und verwenden stattdessen "Derisking". Das soll die angespannten geopolitischen Debatten entschärfen, so Andreas Glunz, Bereichsvorstand International Business im Blog Klardenker von KPMG. Seiner Ansicht nach sei der Begriff aber eher "Window-dressing", denn inhaltlich bedeute Derisking dasselbe wie Decoupling.

Trotzdem gilt: Ein Decoupling ist von westlichen Staaten nicht gewünscht. Eine Abschottung von China wäre mit hohen Kosten und damit auch Wohlstandsverlusten verbunden. Andere Märkte können das Chinageschäft nicht kompensieren, das Reich der Mitte ist dafür schlichtweg zu groß. Der Konsens geht dahin, dass China für deutsche Unternehmen ein wichtiger Handelspartner bleibt, sowohl beim Import als auch beim Export. Bei einer Importabhängigkeit von 90 Prozent in Bereichen wie Solarzellen wäre ein Abbruch der Handelsbeziehungen auch sehr unrealistisch.

Laut EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bedeutet Derisking zwar den ungehinderten Austausch von Geld und Waren - zumindest in den allermeisten Fällen -, dieser solle aber streng beobachtet werden und in einigen strategischen Bereichen auch unterbunden werden. Zu letzterem sollen vor allem Hochtechnologien zählen.

Joe Biden setzt Sanktionspolitik seines Vorgängers gegen China fort

Zumal der amtierende US-Präsident, Joe Biden, bislang keine der von seinem Vorgänger gegen die Volksrepublik verhängten Maßnahmen zurückgenommen hat. Vielmehr hat er im Juni vergangenen Jahres 59 Firmen neu auf die Liste der chinesischen Unternehmen aufgenommen, die nicht mit Technologie aus den USA beliefert werden dürfen.

Nach wie vor setzen die USA damit bei ihrer Auseinandersetzung mit China vor allem auf zwei außenwirtschaftliche Mechanismen: Zum einen kontrolliert Washington den Zugang chinesischer Unternehmen zum US-amerikanischen Markt – etwa, indem es die Anforderungen verschärft, die der schon 1933 erlassene Buy-American-Act an den Local Content von Produkten stellt, die US-Behörden und -Institutionen beschaffen dürfen.

Ab 25 Prozent US-Content mischt sich Washington in Exportgeschäfte ein

Zum anderen unterbindet die US-Regierung den Verkauf und die Ausfuhr von Schlüsseltechnologien an ausgewählte Unternehmen in China. Dabei nutzt sie neben ihrer Sanktionsliste eine „de minimis“-Regel in ihren Exportgesetzen. Diese verbietet die Lieferung von Bauteilen oder Software an sanktionierte chinesische Unternehmen, wenn mehr als ein Viertel des Werts des entsprechenden Gutes durch in den USA oder mit US-Technologie hergestellte Komponenten entsteht.

Auch einen Computerchip, den Entwickler in Frankreich oder Deutschland mit Software für das Electronic Design Automation aus den Vereinigten Staaten entworfenen haben, können Unternehmen also nur dann an auf der Sanktionsliste der USA stehende chinesische Kunden liefern, wenn sie in Kauf nehmen, dass sie dafür von Washington in den Vereinigten Staaten mit Sanktionen wie Bußgeldern oder dem Verbot ihrer Geschäftstätigkeit bestraft werden.

Für international tätige Unternehmen sind die US-Exportvorschriften ein Risiko

Für Konzerne mit Niederlassungen in den Vereinigten Staaten ist ein Verstoß gegen solche US-Gesetze mit extraterritorialer Wirkung ein echtes Risiko. Zumal der aktuelle Schwellenwert der „de minimis“-Regel von 25 Prozent so weit herabgesetzt werden könnte, „dass dies den Handel mit bestimmten Gütern regelrecht abwürgt“, so die Autoren der „Decoupling“-Studie von MERICS.

Schon jetzt machen die US-amerikanischen Exportkontrollen und das chinesische Antisanktionsgesetz es europäischen Unternehmen allerdings fast unmöglich, sich sowohl in den Vereinigten Staaten wie der Volksrepublik gesetzeskonform zu verhalten. Um dadurch weder in den USA noch in China Marktanteile zu verlieren, müssen Unternehmen sich weitgehend neu organisieren. „Auch bei Entscheidungen, mit denen sie eigentlich wirtschaftliche Ziele verfolgen, müssen Firmen inzwischen zunehmend geopolitische Gegebenheiten berücksichtigen“, beobachtet MERICS-Chefvolkswirt, Max Zenglein. Das zwinge viele Firmen, ihre Produktentwicklung und Beschaffungsstrategien zu überdenken.

Decoupling zwingt Unternehmen, ihren Einkauf zu lokalisieren

Meist stehen Unternehmen dabei vor der Entscheidung, Produkte, die sie in China oder den USA verkaufen wollen, entweder ohne Zulieferungen aus dem jeweils anderen Land herzustellen, oder für beide Märkte getrennt Varianten davon zu entwickeln, zu fertigen und alles dafür erforderliche Material im jeweiligen Handelsraum zu beschaffen.

Diesen Weg wählen beispielsweise 16 Prozent der vom Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) zum Decoupling befragten Unternehmen. Vier von zehn Mitgliedern der deutschen Handelskammer in China wollen laut deren aktueller Geschäftsklimaumfrage dort zudem eine eigenständige Forschungs- und Entwicklungs-Abteilung aufbauen. Immerhin jeder dritte Befragte will auch die Beschaffung für seine Produktion in China in der Volksrepublik lokalisieren.

Viele Betriebe beziehen kritische Vorprodukte aus China und den USA

Wenn Unternehmen ihre chinesischen Werke nicht mehr aus den USA oder Europa mit Material beliefern können, geht dies allerdings oft zulasten der Qualität ihrer in der Volksrepublik gefertigten Produkte oder diese verteuern sich durch einen höheren Anteil selbstgefertigter Komponenten. Beides schadet der Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe auf dem chinesischen Markt.

Mittelständische Unternehmen, die hoch spezialisierte Hightech-Güter fertigen, haben für die dazu erforderlichen Vorprodukte zudem weltweit oft nur einen Lieferanten. So bezieht fast jeder zweite Maschinenbaubetrieb sowohl aus den Vereinigten Staaten wie der Volksrepublik Bauteile, die für seine Fertigung kritisch sind, ergab im Herbst 2021 eine Umfrage des VDMA. Immerhin 27 Prozent der von MERICS und der EUCCC für ihre Decoupling-Studie befragten Unternehmen gaben zudem an, dass sie für ihre Fertigung in China auf Halbleiter beziehungsweise Software angewiesen sind, die mit US-Technologie produziert wurden.

Jeder fünfte Umfrageteilnehmer sagt das gleiche über die Maschinen, die er in seinen Werken in der Volksrepublik betreibt. Selbst wer für den eigenen Betrieb keine von dem Handelskrieg ausgehenden Risiken sieht, kann von diesem betroffen sein, weil der Konflikt die Fertigung bei seinen Zulieferern unterbricht, warnen die Autoren der MERICS-Studie.

Sieben von zehn Unternehmen haben durch Decoupling massive Nachteile

Sieben von zehn Unternehmen spüren bereits derart nachteilige oder sogar sehr nachteilige Auswirkungen des Decoupling, gaben sie in einer Umfrage der EUCCC im September 2020 an. Sollte der Konflikt zwischen den Vereinigten Staaten und der Volksrepublik weiter eskalieren, müssten sie sogar die von Xi Jinping angedrohten „Vergeltungsmaßnahmen“ befürchten, erwartet Markus Jäger, Associate Fellow der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik und außerordentlicher Professor an der Columbia Universität in New York.

„Die Maßnahmen könnten die Form von Handels- und Investitionsbeschränkungen annehmen, Verordnungen sein, die deutsche Unternehmen benachteiligen, oder regelrechte Gegensanktionen.“ Dadurch könne gewaltiger wirtschaftlicher Schaden entstehen, so Jäger. Die Untertanen des Diktators in Peking wissen, mit welcher Verachtung für andere ihr Präsident seine Vorstellungen durchsetzt.

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