Die Bedeutung des Betriebskapitals (Working Capital) hat seit Beginn der Corona-Pandemie immens zugenommen. Wie der Einkauf mit der Kennzahl arbeitet oder arbeiten könnte, sagt eine Studie von Inverto. Die Einkaufsberatung hat dafür 65 Entscheider und Einkaufsexperten aus unterschiedlichen Industriebranchen befragt. Die Umfrage erfolgte EU-weit.
Danach hat für mehr als die Hälfte der Teilnehmer (58 Prozent) Working Capital eine hohe Priorität auf der Unternehmensagenda. Die Relevanz der Kennzahl ist bei 72 Prozent der Befragten in den vergangenen sechs Monaten gestiegen.
Allerdings sind auch etwas mehr als ein Drittel (36 Prozent) der Befragten der Meinung, dass ihr Management des Betriebskapitals verbesserungswürdig wäre. 14 Prozent beurteilen es sogar schlecht bis sehr schlecht. Dieser Meinung sind vor allem Unternehmen mit einem Umsatz unter einer Milliarde Euro. Größere Unternehmen sind mit ihrem Working Capital Management dagegen eher zufrieden.
Was ist Working Capital?
Working Capital, oder zu Deutsch auch Betriebskapital, ist eine Bilanzkennzahl. Sie bezeichnet den Kapitalbestand eines Unternehmens und wird gebildet als Differenz des Umlaufvermögens (Vorräte und kurzfristige Forderungen) und kurzfristigen Verbindlichkeiten (bestellte Lieferungen, Lohnsteuer, etc).
Drei weitere Kennzahlen spielen bei der Berechnung daher eine wichtige Rolle:
- Days Payables Outstanding (DPO): Quotient aus den durchschnittlichen Verbindlichkeiten x 360 und dem Materialeinsatz plus Fremdleistungen.
- Days Inventory Outstanding (DIO): Quotient zwischen dem Lagerwert x 360 und den Netto-Umsatzerlösen.
- Die Days Sales Outstanding (DSO): Quotient aus den durchschnittlichen Forderungen x 360 und den Netto-Umsatzerlösen.
Die Formel für die Kapitalbindung lautet also: DIO + DSO - DPO.
Bei einem positiven Wert ist das Unternehmen zahlungsfähig, kann also seine kurzfristigen Verbindlichkeiten aus eigenen Mitteln decken. Je kleiner der Wert ist, desto höher sind mögliche Kosten, etwa in Form von Fremdkapitalzinsen.
Das Working Capital lässt sich über eine Reihe von Maßnahmen optimieren. Mit im Boot ist hier häufig der Einkauf. Doch welches sind die häufigsten Maßnahmen?
Es gibt eine Reihe von Maßnahmen, die speziell die Kennzahl Days Inventory Outstanding (DIO) sowie die Days Sales Outstanding (DSO) betreffen.
Am häufigsten nutzen die befragten Unternehmen die Nachverhandlung von Lieferantenverträgen basierend auf aktuellen Verkaufszahlen (84 Prozent). Auch der Austausch von Informationen über die Produktionsplanung und mögliche Prognosen wird von einem Großteil praktiziert (79 Prozent).
Nicht ganz so beliebt sind das Near-Shoring zur Verkürzung der Vorlaufzeiten (21 Prozent) oder vertragliche Puffer, um Bestellungen stornieren zu können sowie die doppelte Prüfung der zugrundeliegenden Annahmen vor der Bestellauslösung (beide 32 Prozent).
Regelmäßige und neue Maßnahmen für die DPO
Es gibt Maßnahmen, die speziell die Days Payables Outstanding (DPO), also die kurzfristigen Verbindlichkeiten, beeinflussen. Hier haben Unternehmen in der Vergangenheit ein bestimmtes Repertoire an Beschaffungshebeln genutzt. Durch die Corona-Pandemie hat sich hier einiges getan.
Beispielsweise legen Unternehmen fast schon traditionell gerne lange Zahlungsfristen in Verträgen fest. In der Vergangenheit setzten 70 Prozent der Befragten diese Maßnahme um. In den vergangenen zwei Monaten wandten 18 Prozent der an der Inverto-Studie teilnehmenden Unternehmen diesen Hebel zum ersten Mal an.
Auch bei den Neuverhandlungen von Vertragsbedingungen bereits unterzeichneter Verträge gab es einen Schub. Vor der Krise sah ein knappes Drittel (32 Prozent) die Notwendigkeit dafür. Durch die Corona-Pandemie wurde dieses Mittel von 40 Prozent der befragten Entscheider und Einkäufer zum ersten Mal angewendet.
Einen Überblick über die DPO-Maßnahmen der Unternehmen gibt die nachfolgende Übersicht.
Lieferanten mit wenig Gegenwehr
Die meisten Lieferanten setzen möglichen DPO-Hebeln ihrer Kunden wenig entgegen. Am ehesten erfahren noch Unternehmen über einer Milliarde Euro Jahresumsatz Gegenwind. Allerdings das auch nur manchmal (29%), seltener in jedem Fall (10%). Meistens leisten die Lieferanten keine Gegenwehr (61%).
Bei kleineren Unternehmen unter einer Milliarde Jahresumsatz wird der Widerspruch schon häufiger geäußert. Hier verhält sich eine Hälfte der Lieferanten still, während die andere Hälfte interveniert.
Einkauf wenig in DSO und DIO involviert
Die Studie zeigt auch, dass mehr als die Hälfte der Einkaufsabteilungen (56 Prozent) nicht dazu angehalten sind, Working-Capital-Hebel wie DSO und DIO zu verbessern. Auch hier spielt die Größe des Unternehmens wieder eine Rolle.
Bei Unternehmen ab einem Jahresumsatz von einer Milliarde Euro sind 57 Prozent der Einkaufsabteilungen angehalten, sich den Kennzahlen zu widmen. Sie sind also komplett in die Optimierung der Kapitalbindung eingebunden. Bei Unternehmen unter einer Milliarde Euro Jahresumsatz sind es dagegen nur ein gutes Drittel (34 Prozent).
Zahlungsbedingungen und Zahlungsfristen
Wie Inverto in seiner Studie schreibt, haben nur 52 Prozent der befragten Unternehmen Standardzahlungsbedingungen festgelegt und wenden diese auch immer an. 44 Prozent dagegen besitzen ein solches Instrument erst gar nicht oder wenden es nicht an.
Befragt nach den Zahlungsbedingungen gibt die Mehrzahl der Umfrageteilnehmer (52 Prozent) 30 Tage an. 37 Prozent davon wollen in dieser Frist den Nettobetrag überwiesen haben, 26 Prozent bieten drei Prozent Skonto, wenn der Betrag binnen 14 Tagen überwiesen wird.
Gegenseitiges Entgegenkommen bei Lieferantenbeziehungen
Während ein Drittel der Teilnehmer ihre Lieferanten um verlängerte Zahlungsfristen gebeten hat, wollten Lieferanten - naturgemäß - kürzere Fristen. Allerdings scheint sich die Mehrheit der prekären Situation ihrer Kunden bewusst zu sein: 53 Prozent verlangen aufgrund der Corona-Pandemie keine kürzeren Zahlungsfristen.
Auch sind die Unternehmen, die ihre Lieferanten nicht um einen Zahlungsaufschub gebeten haben, mit 58 Prozent deutlich in der Mehrheit. Dabei analysiert die Mehrheit der Unternehmen ihre Lieferanten hinsichtlich des Lieferrisikos.
Und die Mehrheit (insgesamt 85 Prozent) ist ebenso bereit, im Falle von finanziellen Schwieirigkeiten eines strategischen Lieferanten größere Mengen abzunehmen oder kürzere Zahlungsfristen zu vereinbaren. 58 Prozent würde für dieses Entgegenkommen gerne eine finanzielle Gegenleistung sehen, 27 Prozent verzichten sogar auf die Gegenleistung.
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Luft nach oben bei der Steuerung des Working Capital
Insgesamt gibt bei der Messung und Steuerung von Working Capital laut Inverto defintiv noch Luft nach oben. Nur rund 55 Prozent der Unternehmen haben überhaupt Kennzahlen und Ziele für das Betriebskapital festgelegt.
Immerhin gibt es bei 68 Prozent ein regelmäßiges Reporting. allerdings messen zehn Prozent der Befragten das WC gar nicht, drei weitere Prozent planen dies auch nicht.
Als Hilfsmittel nutzen die meisten ein ERP-Reporting (65 Prozent) sowie ein WC-Dashboard bzw. Advanced Analytics (33 Prozent). Auch Supply Chain Financing-Programme wie Transitlager oder Reverse Factoring werden bei einem Viertel eingesetzt.
Was können Unternehmen tun?
Inverto empfiehlt, einen Working Capital-Verantwortlichen im Einkauf zu benennen. Dieser sollte alle mit dem Thema verbundenen Aktivitäten ständig vorantreiben. Auch die Verantwortlichkeiten vom Top Management bis zur Fertigung sollten Unternehmen festzurren. Dabei hilft ein langfristiger Optimierungsplan, der den Status Quo und Ziele darlegt.