Die weltweite Coronavirus-Krise setzt Einkauf, Logistik und Supply Chain Management zunehmend unter Druck. Das zeigt eine aktuelle Umfrage, die der Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik (BME) bereits zum dritten Mal innerhalb weniger Wochen unter seinen Mitgliedsunternehmen durchgeführt hat.
„Zur Aufrechterhaltung der industriellen Produktion wenden viele Unternehmen unterschiedliche Shutdown-Strategien und -maßnahmen an“, betont Olaf Holzgrefe, Leiter International des BME. Das mache insbesondere die Arbeit des Einkaufs nicht leichter. Denn es falle ihm „zusehends schwer, Wertschöpfungs- und Lieferketten aufeinander abzustimmen“, so Holzgrefe weiter. Bisher seien den vom BME befragten Einkaufsmanagern zwar noch keine Insolvenzen auf Lieferantenseite bekannt; allerdings glauben viele von ihnen, dass sich diese Situation schon bald ändern könnte. Je länger die Corona-Krise anhalte, desto wahrscheinlicher werde dieses Szenario.
98 Prozent der Einkäufer von Krise betroffen
Aktuell seien nur noch zwei Prozent der befragten Unternehmen im Einkauf von der Krise nicht betroffen, 45 Prozent spürten leichte negative Auswirkungen und über 50 Prozent der Unternehmen starke bis kritische Beeinträchtigungen ihrer Geschäftsaktivitäten. Kennzeichen der Covid-19-Pandemie ist die wachsende Unsicherheit in den Chefetagen der Unternehmen. „Die meisten Betriebe berichten weiter von kurzfristigen Planungshorizonten von maximal vier bis sechs Wochen. Die Fahrt auf Sicht durch die Krise hält also an“, sagt Holzgrefe.
Wo liegen die drängendsten Probleme des Einkaufs?
Seit Anfang April begleitet der größte Einkäuferverband Europas seine Mitglieder durch die Corona-Krise. Die ersten beiden Umfragen haben gezeigt, dass die von den Einkäufern, Logistikern und Supply Chain Managern getroffenen Maßnahmen mittlerweile Wirkung zeigen. „Daran wird sichtbar, dass die strategische Ausrichtung des Einkaufs vor allem in Krisenzeiten enorm wichtig ist“, meint Judith Richard, Referentin der BME-Fachgruppe Lieferantenmanagement. Doch je länger die Krise dauere, desto größer würden die Herausforderungen und der damit verbundene Druck auf die Unternehmen.
Die aktuelle BME-Umfrage ergab weiter, dass die Liquidität der Betriebe – vor allem aber der Lieferanten – gegenwärtig extrem leidet. Um Abhilfe zu schaffen, greifen die Umfrage-Teilnehmer nach eigener Aussage zu unterschiedlichen Maßnahmen. So versuchen sie beispielsweise, ihre indirekten Kosten zu senken. Gleichzeitig werden von ihnen Second-Source-Optionen gewählt oder Backup-Lieferanten aktiviert. Hier zeigen sich jedoch Unterschiede: Während ein Teil der vom BME befragten Firmen Bestandsabbau von Lagermaterialien betreibt, berichten andere, dass sie ihre Lagerbestände wieder aufstocken.
Bestellungen warten auf ihre Abholung
Die aktuelle Situation zeigt ferner, dass die Tendenz zur Rückdrängung von Lieferungen steigt, je länger die Corona-Krise dauert. 18 (vorher sieben) Prozent der Befragten gaben an, dass aufgrund verschobener Kundenaufträge bestellte Materialien nicht mehr abgerufen wurden. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass die Stornierungsrate von sieben Prozent auf 18 Prozent gestiegen ist. Der BME empfiehlt den Einkäufern in diesem Zusammenhang sich mit ihren Lieferanten regelmäßig auszutauschen – auch wenn dies in der Corona-Krise durch die dezentralen Arbeitsmethoden nicht einfach ist.
Was muss sich in Zukunft ändern?
„Nur 22 Prozent der befragten Unternehmen haben ein Pandemie-Szenario in ihren Risikomanagement-Aktivitäten berücksichtigt und lediglich die Hälfte davon Maßnahmepläne entwickelt“, erläutert Carsten Knauer, Leiter Sektion Logistik beim BME. Das heiße, 89 Prozent der Unternehmen seien nicht auf eine derartige Krise vorbereitet gewesen. Deshalb sei es notwendiger denn je, den Fokus auf das Supply Chain Risk Management zu richten. „In Zukunft wird ein digitales Risikomanagement immer wichtiger werden, um einen transparenten Überblick über die gesamte Lieferkette erhalten zu können. Das haben ihre Gespräche mit Einkäufern, Logistikern und Supply Chain Managern bestätigt“, ergänzt Judith Richard.