Schild "Geschlossen" hinter einer Glasscheibe

Die Zahl der Insolvenzen dürfte im zweiten Halbjahr steigen, sind sich Experten sicher. Doch wie reagieren Einkäufer, wenn es einen ihrer Lieferanten trifft? (Bild: Axel Bueckert - stock.adobe.com)

Wird die Zahl der Insolvenzen in der zweiten Jahreshälfte aufgrund der Corona-Pandemie zunehmen? Experten meinen ja! Die erwartete Pleitewelle wird auch viele Zulieferer treffen. Wie Einkäufer dann ihre Lieferketten sichern, erfahren Sie hier.

Niemand weiß, wie viele Untote es in Deutschland gibt. Die Experten des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) Köln gehen davon aus, dass gut 4.500 „Zombieunternehmen“ ihr Geschäft zwar noch betreiben, eigentlich aber bereits pleite sind.

Die Wirtschaftsauskunftei Creditreform rechnet sogar mit bis zu 25.000 Betrieben, die nur noch überleben, weil sie staatliche Corona-Hilfen erhalten und sie die Bundesregierung von der Pflicht befreit hat, die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens zu beantragen.

Das Statistische Bundesamt bestätigt das. Seinen Zahlen zufolge sank die Zahl der Insolvenzen 2020 zwar um 15,5 Prozent auf 15.841 Fälle. „Das Jahresergebnis ist aber maßgeblich durch die ausgesetzte Insolvenzantragspflicht in der Corona-Krise beeinflusst“, warnen die Statistiker.

Aussetzung der Antragspflicht hält Unternehmen am Leben

Im März 2020 hatte die Bundesregierung bis zum 30. Oktober die Pflicht ausgesetzt, Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens zu stellen, wenn die Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung eines Unternehmens auf den Folgen der Covid-19-Pandemie beruhte.

Von November bis zum Jahresende galt die Erleichterung dann nur noch für Betriebe, die überschuldet, aber noch zahlungsfähig waren. Im Januar verlängerte das Bundesjustizministerium die Aussetzung nochmals bis 30. April 2021 für Firmen, die zwischen November 2020 und Februar 2021 Corona-Hilfen des Bundes beantragt, aber noch nicht ausbezahlt bekommen haben.

Die Erleichterung gilt allerdings nicht, „wenn die Insolvenzreife nicht auf den Folgen der Ausbreitung des Sars-Cov-2-Virus (Covid-19-Pandemie) beruht oder wenn keine Aussichten darauf bestehen, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen“, heißt es in §1 Absatz I des Covid-19-Insolvenzaussetzungsgesetzes.

Hinter dem Beamtendeutsch verbirgt sich eine bittere Wahrheit: Nur weil die Pflicht, einen Insolvenzantrag zu stellen, derzeit für manche Unternehmen nicht gilt, sind noch lange nicht die Ursachen ihrer Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung behoben.

Deren Folgen werden lediglich auf die Zeit verschoben, in der die Insolvenzordnung (InsO) wieder unverändert gilt, warnt der Leiter der Konjunkturforschung und -prognose beim ifo Institut für Wirtschaftsforschung, Professor Timo Wollmershäuser.

Seinen Recherchen zufolge, wäre die Zahl aller Insolvenzen schon im zweiten Halbjahr 2020 deutlich gestiegen, wenn die InsO unverändert Geltung gehabt hätte. „Dass es nicht dazu kam, ist mit dem Aussetzen der Insolvenzantragspflicht zu erklären“, so Wollmershäuser.

Insolvenzen trafen 2020 vor allem größere Unternehmen Allerdings hätten die Maßnahmen der Bundesregierung bislang vor allem kleineren Betrieben den Gang zum Insolvenzgericht erspart, heißt es beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). „Dagegen stiegen die Insolvenzverfahren von Unternehmen mit mehr als hundert Arbeitnehmern um rund 45 Prozent im Vergleich zum Jahr 2019“, so die DIW-Experten.

Auch Firmen mit einem Umsatz von mehr als 50 Millionen Euro stellten 2020 fast doppelt so viele Anträge wie im Vorjahr, berichten die Volkswirte von Creditreform. Mittelständische Betriebe mit 25 bis 50 Millionen Euro Umsatz stellten immerhin 36 Prozent mehr Insolvenzanträge. Ob diese Dynamik auch kleinere Unternehmen erfasst, wenn die Bundesregierung die Aussetzung der Antragspflicht zurücknimmt, weiß bislang kein Volkswirt genau.

Der Kreditversicherer Euler Hermes erwartet, dass die Zahl der Insolvenzen in der zweiten Hälfte 2021 um sechs Prozent auf insgesamt 16.900 Fälle und 2022 nochmals um 15 Prozent auf dann 19.500 Insolvenzen steigt.

Diagramm mit zwei Kurven mit der Entwicklung der Insolvenzen in Deutschland für 2019 und für 2020
Die Anzahl der Insolvenzen ist in 2020 unter der des Boom-Jahres 2019 geblieben - dank gesetzlicher Regelungen. (Grafik: TECHNIK+EINKAUF, Quelle: Destatis)

Automobilzulieferer schon vor Corona in der Krise

„Diese Entwicklung wird auch Industriebranchen erfassen. Zumal es bei einigen Automobilzulieferern schon vor der Corona-Pandemie kriselte“, erwartet Daniel Herper. Der Anwalt ist Experte für Insolvenzrecht und Partner bei der Kanzlei FPS Fritz Wicke Seelig in Frankfurt am Main.

Von einer dramatischen Pleitewelle will der Jurist allerdings nicht sprechen. Das sieht auch Dr. Gökhan Yüzgülec, Principal bei der auf den Einkauf spezialisierten Unternehmensberatung Inverto so. Für ihn kommt es allerdings nicht auf die absoluten Fallzahlen an, sondern auf die Bedeutung, die ein insolventer Zulieferer für die Lieferkette seines Kunden hat.

„Einzelne Lieferanten haben eine so zentrale Stellung in der Supply Chain ihrer Partner, dass deren Lieferkette durch eine Insolvenz zusammenbrechen kann“, warnt Yüzgülec.

Werkzeuge, Material – Es geht um mehr als die Lieferkette

Die eigene Lieferfähigkeit ist bei der Pleite eines Zulieferers fast immer gefährdet. Denn dringend benötigte Zulieferungen bleiben dann unter Umständen aus, obwohl sie bereits bezahlt wurden.

Außerdem stellen Unternehmen ihren Lieferanten oft Werkzeuge zur Verfügung oder lagern von ihnen bezahltes Material bei diesen ein. Beides lässt sich bei einer Insolvenz nicht so leicht zu einem alternativen Zulieferer verlagern.

Um solche Schwierigkeiten möglichst kleinzuhalten, sollten Einkäufer das Gespräch mit der Geschäftsleitung ihres Lieferanten oder dessen Insolvenzverwalter suchen, sobald sie von der finanziellen Misere erfahren.

„Bei einer Insolvenz geht es darum, möglichst schnell zu handeln“, rät Anwalt Daniel Herper. Denn das Verfahren laufe mit einer Dynamik ab, die nichts mit dem bis dahin gewohnten Tempo in den Geschäftsbeziehungen zu tun hat.

Wer trifft während der Insolvenz die Entscheidungen?

Deshalb gilt es schnell zu prüfen, ob das Unternehmen die Insolvenz in Eigenverwaltung durchführt, seine Geschäftsleitung also noch entscheidungsbefugt und damit der richtige Ansprechpartner ist, oder ob ein Insolvenzverwalter die Geschäfte und Entscheidungen übernommen hat.

Auch bei einer Insolvenz in Eigenverwaltung überwacht dieser jedoch das betroffene Unternehmen und muss sämtlichen Entscheidungen der Geschäftsleitung zustimmen. Einkäufer sollten ihn also immer in das Gespräch mit einbeziehen.

In jedem Fall sollten sie beim Insolvenzverwalter und dem zuständigen Amtsgericht möglichst schnell schriftlich nachweisen, welche Werkzeuge und Vorprodukte im Besitz des Lieferanten ihr Eigentum sind.

Zusätzlich sollten sie sich auf dem Werksgelände des Lieferanten versichern, dass dieser die Gegenstände kennzeichnet und von anderen Vermögenswerten getrennt lagert. Geschieht dies nicht, geht der Insolvenzverwalter davon aus, dass die Güter dem von ihm betreuten Unternehmen gehören und schlägt sie der Insolvenzmasse zu.

Know-how und Konstruktionspläne schnell sichern

Stellt der Lieferant für seinen Kunden Investitionsgüter her, die in vom Fortschritt der Arbeiten abhängigen Raten bezahlt werden, sollten Einkäufer auch das Eigentum an den zugrundeliegenden Konstruktionsplänen und -zeichnungen beanspruchen.

So sichern sie sich das Know-how, das darin steckt. Außerdem werden die Dokumente zu Beginn der Arbeiten an einer neuen Maschine oder Anlage erstellt und sind daher in der Regel bereits bezahlt. Einkäufer sollten im Gespräch mit ihrem Lieferanten ebenfalls klären, welche Bestellungen dieser noch für sie ausführen kann und wie sie ihn dabei unterstützen können.

„In solchen Verhandlungen haben Kunden oft einen großen Hebel. Denn ohne Aufträge lässt sich ein insolventes Unternehmen nicht sanieren. Darum geht es aber bei dem Verfahren vor allen Dingen“, weiß Daniel Herper von FPS.

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Lieferanten-Darlehen sichert die eigene Lieferkette

Um den Partner möglichst lange in ihrer Supply Chain zu halten, könnten Kunden etwa bei noch ausstehenden Bestellungen in Vorleistung gehen, Zahlungen für schon erfolgte Lieferungen schneller überweisen, als vertraglich vereinbart, oder sogar einen Kredit gewähren.

„Der Einsatz lohnt sich, wenn sich dadurch verhindern lässt, dass die eigene Lieferkette reißt“, findet Herper. Allerdings müssen Einkäufer ihr finanzielles Engagement für den Lieferanten absichern. „Auf jeden Fall sollten sie sich von diesem alle Planungen des Zulieferers dazu vorlegen lassen, wie dieser seinen Geschäftsbetrieb aufrechterhalten und finanzieren will“, rät Herper.

„Wer ein Darlehen gibt, sollte zudem direkt nach der Stellung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens einen Gerichtsbeschluss erwirken, der den Anspruch auf das Geld als ranghöhere Forderung einordnet“, erklärt Herper. Sie werde dann nicht als Insolvenzforderung und damit voraussichtlich nur zum Teil bedient, wenn die Sanierung scheitert.

„Es kann auch nicht schaden, sich darum zu bemühen, in den Gläubigerausschuss aufgenommen zu werden“, ergänzt Herper. Dieses Gremium muss das Amtsgericht nach § 22a Absatz I der Insolvenzordnung bilden, wenn das betroffene Unternehmen im Jahr vor dem Verfahren mehr als zwölf Millionen Euro umgesetzt hat. Seine Mitglieder haben größere Einsichtsrechte in die Bücher des Lieferanten und werden bei wesentlichen Entscheidungen beteiligt.

Prüfen, ob sich eine Lieferanten-Übernahme lohnt

All diese Maßnahmen verhindern unter Umständen jedoch nicht, dass ein wichtiger Lieferant und mit ihm das Know how seiner Mitarbeiter verloren geht, weil er in finanzielle Schieflage gerät. Fast immer geht dann auch die Arbeit verloren, die Kunde und Zulieferer investiert haben, um ihre Produktionsprozesse aufeinander abzustimmen und optimal getaktete Transportketten aufzubauen.

„Diese Prozesse mit einem neuen Lieferanten erneut einzuspielen dauert Jahre“, berichtet Inverto-Experte Gökhan Yüzgülec. „Um zu verhindern, dass die eigene Lieferkette reißt und die in die Zusammenarbeit investierte Arbeit verloren geht, kann es Sinn machen, sich als Gesellschafter an der Firma des Lieferanten zu beteiligen oder diese aufzukaufen.“

Das Risiko solch einer Investition müssten Unternehmer aber in Abhängigkeit von

  • der Bedeutung des Zulieferers,
  • dem Ausmaß seiner finanziellen Schwierigkeiten sowie
  • der aktuellen Konjunktur

jeweils individuell prüfen. Schließlich ist jeder Zombie anders.

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