TECHNIK+EINKAUF: Herr Thurl, Herr Vor der Brüggen, die Schreiner Group entwickelt Funktionsetiketten. Was sind Ihre wichtigsten Materialien und wie managen Sie deren Beschaffung?
Christoph Thurl: Von zentralem strategischem Interesse sind mit Klebstoff beschichtete Folien, Funktionsmaterialien sowie Elektronikbauteile wie Leiterplatten oder RFID-Inlays. Wir haben individuelle Warengruppen- und Lieferantenstrategien und unsere strategischen Einkäufer sind den Warengruppen zugeordnet.
Jens Vor der Brüggen: Dazu passend haben wir ein übergreifendes Technologiemanagement. Unsere Technologiefelder decken sich im Wesentlichen mit den Warengruppen, also Folien, Papiere, Klebstoffe für klassische Kennzeichnungslösungen und selbstklebende Funktionsteile, Membranen für Druckausgleichselemente sowie Bauteile für Labels auf Basis von RFID oder gedruckter Elektronik.
Das PFAS-Verbot steht im Raum, wenn auch mit noch zu definierenden Ausnahmen. Welche Erfahrungen haben Sie mit dem Austausch von Materialien und Lieferquellen in der Vergangenheit bereits gemacht?
Thurl: Auf Umwelthemen, regulatorische Gegebenheiten und Stoffverbote müssen wir schon immer reagieren. Diese Material- und Portfolioumstellungen sind ein Beispiel für die gute Zusammenarbeit zwischen Einkauf, Entwicklung, Vertrieb und Qualitätsmanagement. An den Materialumstellungen sind alle Schnittstellen beteiligt, da die Materialien ja auch von den Kunden qualifiziert werden müssen.
Vor der Brüggen: Das PFAS-Verbot ist für uns ein strategisches Thema. Trotzdem ist es natürlich so, dass für die Entwicklung völlig neuer Werkstoffe selbst zehn Jahre kein allzu langer Zeitraum ist. Bei neuen Materialien geht es vor allem um das richtige Zusammenspiel. Und da spielen wir uns die Bälle schon sehr gut zu.
Welcher Innovationsanteil kommt vom Beschaffungsmarkt, welcher von Ihnen?
Vor der Brüggen: Unsere Produkte entstehen durch die intelligente Kombination verschiedener Technologien und aus konstruktiven Lösungen. Deshalb kommt der größte Innovationsanteil immer von uns.
Wie hat Schreiner die Lieferkrise erlebt?
Thurl: Wir waren wie viele Unternehmen stark betroffen. Trotzdem konnten wir durch unser professionelles Krisenmanagement unsere Liefertermintreue durchweg auf einem guten Niveau halten. Bezahlt gemacht hat sich das partnerschaftliche Verhältnis mit unseren Lieferanten und unsere Preferred-Supplier-Strategie. Mit der Einstufung in unserer Lieferantenpyramide verbinden sich Rechte und Pflichten. Eine Anforderung lautet höchste Flexibilität in Krisensituationen.
Funktionierten alternative Materialien auch mal besser als bisherige?
Vor der Brüggen: Technologisch war der Unterschied in den meisten Fällen gar nicht so groß. Trotzdem hätten wir diese Änderungen unter normalen Umständen bei den Kunden nicht durchbekommen. Wir liefern in sehr sensible Industrien. Ich könnte mir allerdings vorstellen, dass durch die positiven Erfahrungen Änderungen gegebenenfalls künftig leichter zu platzieren sind. Aus Kostengründen, aus Gründen der Nachhaltigkeit oder um die Lieferkette abzusichern.
Ist Ihre Lieferkette transparenter geworden?
Thurl: In der Offenlegung der Lieferketten ist unsere Branche eher restriktiv, da in den Lieferketten viel Know-how steckt.
Die Transformation braucht Transparenz in den Lieferketten. Wie gehen Sie damit um? Schreiner will doch bis 2030 klimaneutral werden.
Vor der Brüggen: Ja, das stimmt. Bis Ende 2023 wollen wir unsere Produktion klimaneutral stellen und bis 2030 klimaneutral werden – inklusive Scope 3. Das ist ein ambitioniertes Ziel. Aber wir sind auf einem sehr guten Weg. Wir beziehen seit zehn Jahren Ökostrom und stellen unsere komplette Heizenergie jetzt auf Wärmepumpen um. Da sind wir durchaus ein Vorreiter.
Wo stehen Sie beim Scope 3? Was tun Sie, um die Emissionen zu messen und im zweiten Schritt zu verringern?
Thurl: Im ersten Schritt brauchen wir Transparenz über die Emissionen und über die ethischen Themen in unseren Lieferketten. Wir fallen ab 2024 unter das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz. Aktuell setzen wir über IntegrityNext eine Lösung auf, um diese Daten von unseren Lieferanten zu generieren.
Vor der Brüggen: Auf Basis von Sekundärdaten haben wir uns schon vor sieben Jahren mit dem Thema Product Carbon Footprints beschäftigt. Damit können wir unseren Kunden bereits sehr gut zeigen, wieviel CO2 sie bei einem Produkt mit Rezyklatanteil im Vergleich zum Standardprodukt einsparen. Auf dieser Ebene haben wir schon eine sehr hohe Transparenz.
Was sind die nächsten Schritte?
Vor der Brüggen: Das Erfassen von Primärdaten ist die große Herausforderung über die gesamte Lieferkette. Diese Transparenz können wir alleine nicht erzeugen. Es wird noch einige Jahre dauern, bis die Industrien soweit sind, dass die CO2-Werte vergleichbar sind und wir einen vergleichbaren Standard haben. Hierzu braucht es den Austausch von Organisationen, von Branchenverbänden und eine harmonisierte Datenbank.
Sie setzen in Ihren Produkten auch Sekundärrohstoffe ein. Wie läuft die Umstellung?
Thurl: Eine Herausforderung ist die Materialperformance. Bekommen wir also die Rezyklate in der Qualität, mit den stabilen Materialeigenschaften, die wir brauchen? Die Pharmabranche ist nicht nur bei Farbabweichungen sensibel. Performance und Prozessfähigkeit sind große Hürden.
Vor der Brüggen: Es gibt unter anderem Stoffe, die im Kern rezyklierte Materialien haben und außen, wo wir die Performance in Richtung Optik und Bedruckbarkeit brauchen, das reine Granulat. Diese und viele weitere Materialien mit unterschiedlichem Rezyklatanteil testen wir aus.
Müssen sich für den Einsatz von Rezyklaten die Kundenanforderungen ändern? Oder muss sich die Qualität der Sekundärrohstoffe verbessern?
Vor der Brüggen: Im Idealfall passiert beides. Wir tun uns in bestimmten Branchen mit Rezyklaten noch schwer, sehen aber, dass die Akzeptanz deutlich zunimmt. Auch die Recyclingprozesse müssen besser werden, etwa indem von Folien vor dem Recycling die Farben gelöst werden. Auch der Materialmix ist eine Herausforderung. Es gibt viele Themen, die wir uns gerade sehr intensiv anschauen.
Sie meinen Design for Recycling?
Vor der Brüggen: Die Anforderungen sind sehr unterschiedlich. Beim Fahrzeugrecycling zum Beispiel spielen Etiketten eine untergeordnete bis keine Rolle. Sie müssen also nur so designt werden, dass sie den Recyclingprozess nicht stören. Bei Sicherheitssiegeln auf Faltschachteln, die unter die Verpackungsverordnung fallen, müssen wir die Verträglichkeit mit den Recyclingprozessen künftig sicherstellen. Für Etiketten auf Primärcontainern wiederum ist es ausschlaggebend, wie sich das Recycling in der Pharmabranche und im medizinischen Umfeld generell entwickelt. Für uns bedeutet dies: Wir müssen die Recyclingprozesse der Branchen und Anwendungen individuell bewerten und uns anschauen, welche Auswirkungen sie auf das Produktdesign haben.
Gibt es Branchen, die im Recycling vorne dran sind?
Vor der Brüggen: Vom Consumerbereich kann man sich, wie ich finde, sehr viel abschauen. In unserer Industrie gibt es für die Etikettenträger bereits sehr gut funktionierende Recycling-Programme. Das Trägermaterial der Etiketten wird zurückgenommen, von unseren Lieferanten wieder aufbereitet und fließt als postindustrielles Sekundärmaterial zurück in unsere Produkte.
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Welche Rolle spielt die Lieferantenentwicklung für die Nachhaltigkeit?
Thurl: Künftig wird es mit unseren wichtigsten Lieferanten darum gehen, gemeinsame Projekte zu verabschieden und konkrete Ziele etwa für die Reduktion der Treibhausgas-Emissionen zu vereinbaren, diese zu tracken und in unseren Lieferantenstrategien als strategische Stoßrichtung festzuhalten. Dahin wird die Entwicklung definitiv gehen.
Haben Sie die Nachhaltigkeitsziele in Ihre Beschaffungsstrategie integriert?
Thurl: Wir haben unsere Beschaffungsstrategie von der Unternehmensstrategie abgeleitet, die in der Nachhaltigkeit eine große Rolle spielt. Aktuell brechen wir die Strategie auf unsere Prozesse herunter. Das erfordert eine enge Abstimmung mit Forschung und Entwicklung und dem Gesamtunternehmen: bezüglich des LkSG, für das Monitoring der CO2-Emissionen, in Bezug auf Zertifikate für Umwelt- und Arbeitsschutz sowie die Lieferantenbewertung, die sich daraus ableitet. Aktuell geht es darum, diese Datenbasis in eine auswertbare Form zu bekommen, um daraus Maßnahmen und Projekte zu entwickeln.
Vor der Brüggen: Wir sprechen die Lieferanten jetzt schon darauf an. Viele haben sehr unterschiedliche Levels, etwa beim CO2-Monitoring. Wieder andere haben ein EcoVadis-Rating und sich immerhin auf den Weg gemacht. Die Lieferantenentwicklung ist der einzige Weg, um an verlässliche Daten zu kommen.
Thurl: Die Anforderungen kommen natürlich auch durch den Markt. Zum Beispiel durch die Automobilindustrie, die die Anforderungen durch die Lieferkette trägt. Es geht also nicht nur um unsere eigenen Ziele, sondern auch um die Ziele und die Zufriedenheit unserer Kunden.
Welche Kompetenzen brauchen neue Technologien wie die gedruckte Elektronik?
Vor der Brüggen: Bei der flexiblen Elektronik bringen wir verschiedene Technologien und Kompetenzen zusammen. Wir drucken Leiterbahnen und verbinden elektronische Komponenten. In der Entwicklung brauchen wir hierfür tiefe materialwissenschaftliche Kenntnisse, in der Fertigung neue Druckprozesse und Bonding-Maschinen. Für den Einkauf bedeutet dies, dass neue Maschinen beschafft und ins Portfolio der Schreiner Group integriert werden müssen. Und es müssen neue Komponenten wie Leiterplatten zugekauft werden, die in unsere Funktionsteile integriert werden.
Thurl: Unsere Warengruppen sind divers. Deshalb brauchen wir Einkäufer und Einkäuferinnen mit einem technischen Hintergrund, dem richtigen Mindset und Erfahrungen, zum Beispiel im Elektronikeinkauf.