Ceratizit hat eine tiefe Wertschöpfungskette. Welche Rolle spielt in Ihrem Unternehmen der Einkauf?
Andreas Kordwig: Als Ceratizit Deutschland GmbH, d.h. aus Deutschland heraus, kaufen wir selbst keine Rohstoffe oder Stähle, sondern die Werkzeuge unserer Schwesterfirmen. Die Plansee Group und Ceratizit insgesamt haben eine sehr tiefe Wertschöpfung. Beginnend über unsere Division Global Tungsten & Powders in den USA mit dem aufbereiteten Wolfram-Pulver, zu den Hartmetallstäben, die wir selbst herstellen, bis zu allen für die Werkzeugerstellung notwendigen Prozessschritten wie Veredelung, Schleifen, Beschichten haben wir die Kette weitgehend selbst in der Hand. Und wir gehen noch weiter. Nach der Nutzung der Werkzeuge durch unsere Kunden, nach Nachschliff und Schrottrückkauf, führen wir die Rohstoffe wieder in unseren Kreislauf zurück und recyceln sie für die erneute Verwendung in unseren Werkzeugen an eigenen Standorten.
Es ist ein großer Vorteil, eine eigene Rohstoffversorgung für Wolfram in der Gruppe zu haben, die unabhängig von China ist.
Wie hoch ist der Anteil an Sekundärrohstoffen in Ceratizit-Produkten?
Steffen Baur: Bereits heute können wir 85 Prozent unseres Gesamtbedarfs zum Beispiel an Wolfram durch Wiederaufbereitung decken. Diesen Anteil wollen wir bis 2030 auf über 95 Prozent erhöhen. Auch unsere neuen Kunststoffverpackungen, die wir für den Transport der empfindlichen Werkzeuge brauchen, bestehen mittlerweile zu 100 Prozent aus recyceltem Plastik. Diese kaufen wir von Partnern zu. 2022 haben wir zudem das erste Hartmetall auf den Markt gebracht, für das ein CO2-Fußabdruck berechnet werden kann. Durch die CO2-arme Herstellung dieser Green-Carbide-Stäbe und einen Sekundärrohstoffanteil von 99 Prozent kommen wir in der gesamten Prozesskette auf einen Fußabdruck von nur 2,6 Kilogramm CO2 pro Kilogramm Hartmetall. Das entspricht, verglichen mit einem konventionellen Fräser, einer CO2-Reduktion von über 80 Prozent.
80 Prozent des weltweiten Wolframvorkommens wird in China abgebaut. Ist das für Ceratizit ein Grund in der Rohstoffbeschaffung unabhängig zu sein? Wolfram gilt zudem als Konfliktmineral, auch das verlangt Transparenz in der Lieferkette …
Andreas Kordwig: Für Ceratizit und unsere Kunden ist es ein großer Vorteil, eine eigene Rohstoffversorgung für Wolfram in der Gruppe zu haben, die unabhängig von China ist. Daher sind wir von einer Verknappung gar nicht betroffen. Hinzu kommt die Zusicherung, dass wir die Konzentrate ausschließlich von Mitgliedern der Responsible Minerals Initiative (RMI) beziehen. Gemeinsam mit anderen Wolfram verarbeitenden Unternehmen hat Ceratizit zudem die Arbeitsgruppe TI-CMC (Tungsten Industry Conflict Minerals Council) ins Leben gerufen. Die Gruppe hat einen standardisierten Ansatz entwickelt, der überprüft, ob die Hütten den jeweiligen gesetzlichen Richtlinien entsprechen. Für Global Tungsten & Powders (GTP) haben die Responsible Business Alliance (RBA) und die Global e-Sustainability Initiative (GeSI) bestätigt, dass sie Wolfram RMAP-konform, das heißt „konfliktfrei“ und nachhaltig beschafft.
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Welche Ziele verfolgen Sie mit Blick auf eine nachhaltige Lieferkette?
Steffen Baur: Bei unseren Green Carbide Produkten haben wir bereits einen extrem niedrigen CO2- Fußabdruck, da wir für die Produktion ausschließlich grünen Strom nutzen und eine extrem hohe Recyclingquote haben. Dennoch ist Nachhaltigkeit auch ein „Drahtseilakt“, weil Nachhaltigkeit für die Kunden erst einmal mit Mehrkosten verbunden ist. Das ist in diesem Fall vor allem dem Skaleneffekt geschuldet, da wir mit ausschließlich grüner Energie noch nicht in hohen Volumina produzieren. Auch das patentierte Herstellungsverfahren ist durch den hohen Anteil an Sekundärrohstoffen teurer als konventionelle Verfahren. Wir investieren dieses Geld gerne und glauben, dass die Akzeptanz für höherpreisige, weil nachhaltige Produkte am Markt zunimmt, auch weil unsere Kunden mittlerweile selbst ein Interesse haben, den ökologischen Fußabdruck in ihrer Lieferkette klein zu halten. Aber hier denkt ein Konzern natürlich noch anders als ein mittelständischer Fertiger, der stärker auf seine Kosten achten muss.
Welche Herausforderungen gibt es bei der Beschaffung der Sekundärrohstoffe?
Andreas Kordwig: Auch hier sind wir in der komfortablen Situation seit 2019 mit Stadler Metalle einen Recycling-Profi für Hartmetalle im Haus zu haben, über den wir den Schrotteinkauf international professionalisieren konnten. Bereits seit Jahren bieten wir unseren Kunden ja schon Umlaufboxen, über die wir die gebrauchten Werkzeuge wieder abholen. Stadler Metalle kauft global aber noch einmal in ganz andere Mengen und Losgrößen zu. Natürlich haben sich auch für Stadler und damit für uns die Schrottpreise verteuert, aber wir sind abgesichert, da wir nicht am freien Markt zukaufen müssen. Zumal die Wertschöpfung von Stadler nicht nur den Ankauf, sondern auch die Sortierung und Aufbereitung umfasst. Dieser Schrott fließt dann direkt in die Fertigung frisches Wolframkarbids bei Global Tungsten & Powders (GTP) ein.
Vita Steffen Baur
Steffen Baur begann seine Karriere in der Ceratizit-Gruppe 2013 als Internationaler Anwendungstechniker in Balzheim. Ab 2018 zeichnete er verantwortlich für die Region DACH. Seit 2020 verantwortet er als Head of Product Management das Produkt- und Technikmanagement der Ceratizit Deutschland GmbH.
Was bedeutet konsequente Kreislaufwirtschaft für künftige Geschäftsmodelle?
Andreas Kordwig: Es ist denkbar, dass man künftig bereits bei der Produktentstehung mit dem Wert eines Rohstoffs kalkulatorisch umgeht. Umgesetzt in Form eines bereits bei Abnahme garantierten Rückkaufs über definierte Sammelpunkte.
Steffen Baur: Umgekehrt sorgen wir über digitale Prozesse beim Kunden dafür, dass sich die Werkzeuge durch optimierte Fertigungsprozesse so wenig wie möglich abnutzen. Auch das ist nachhaltiger Umgang mit Ressourcen. Am Ende entscheidet dann nicht mehr der Kunde darüber, wann er ein Werkzeug nachschleifen lässt oder austauscht, sondern unsere Prozessüberwachung. Da viele Kunden „auf Nummer sicher gehen“ und Werkzeuge früher als nötig austauschen, um keine Risiken einzugehen, ist auch hier Potential für Ressourcenschonung und Einsparung gegeben. Der nächste Schritt ist die Digitalisierung des gesamtem Lebenszyklus eines Werkzeugs über den digitalen Zwilling, über den man genau herauslesen kann, wie lange ein Werkzeug inwiefern im Einsatz war, welche Restzeit es noch hat. Diese Daten helfen uns wiederum im späteren Recycling-Prozess.
Warum ist das so?
Steffen Baur: Das Recycling endet ja nicht bei der sauberen Trennung der Hartmetalle, sondern umfasst auch die Rückgewinnung der Zusatzstoffe, die die Materialeigenschaften optimieren. Die exakten Rezepturen sind sehr oft patentiert. Auch diese extrem teuren Rohstoffe, die in kleinen Mengen zugefügt werden, später ebenfalls wieder herauszuholen, ist wichtig, um den Kreislauf zu schließen. Das Prinzip beim Recycling lautet ja: Je besser ich im Vorfeld um die Zusammensetzung der Materialien weiß, desto sauberer ist später mein Ergebnis. Zumal der Recyclingprozess nicht nur im Labor klappen muss, da geht heute schon sehr viel, sondern im industriellen Maßstab wirtschaftlich darstellbar sein sollte.
Inwiefern trifft sie im Rohstoffumgang die gesetzliche Regulatorik? Inwiefern verändert diese Ihre Wertschöpfungsketten?
Andreas Kordwig: Hierfür haben wir im Konzern eine eigene Abteilung, die sich um die Einhaltung der vielfältigen rechtlichen Rahmenbedingungen kümmert, die regelmäßig Aufträge, Abnehmer und Lieferanten auf den Prüfstand stellt. Wir gehen für unsere direkten Materialien sehr tief in die Lieferkette, bis zum Rohstoff. Auch die Anforderungen, die aus REACH (europäische Chemikalienverordnung, Anmerk. d. Red.) entstehen, decken wir selbstverständlich ab. Wir stellen über die Zusammenarbeit mit verschiedenen Arbeitsgruppen wie der TI-CMC oder der Responsible Minerals Initiative sicher, dass wir nur Materialien von mit ausgewählten Geschäftspartnern beziehen und wir schauen, was an Regelungen in den nächsten Jahren kommt.
Steffen Baur: Wir gehen der Regulatorik sogar oft bewusst einen Schritt voraus, wie mit unseren Verpackungen aus 100 Prozent recyceltem Plastik, die wir für Green Carbide eingeführt haben und nun intern ausrollen. Auch externe Lieferanten wollen wir in die Anforderung einbinden, so dass wir auch in der Lieferkette auf 100 Prozent recycelte Verpackungen kommen. Hier sind wir sehr konsequent. Das heißt, auch die Etiketten sind wichtig, der Kleber, mit dem diese aufgebracht werden. Man kann sagen, dass nachhaltiges Wirtschafen Wertschöpfungsketten verändert, auf jeden Fall.
Vita Anreas Kordwig
Andreas Kordwig startet seine Karriere bei Ceratizit im Jahr 2000 im Produktmanagement und durchlief im weiteren Verlauf diverse Stationen in der Unternehmensgruppe. 2014 wechselte er zur Ceratizit Deutschland, zunächst als Director für das Produktmanagement Cutting Tools. Seit 2020 ist er Geschäftsführer der Ceratizit Deutschland und Ceratizit Hannover GmbH und verantwortet dort als Director die Bereiche Global Product Management & Digital Products.
Was ist bei der Auswahl von Lieferquellen wichtig?
Andreas Kordwig: Für viele ist dies heute der Punkt, wie abhängig bin ich von einzelnen Regionen. Ist es also intelligent, wenn ich zum Beispiel ein bestimmtes Produkt alleine aus China oder nur aus Indien beziehe oder sollte ich hierfür nicht mehrere Lieferquellen aus unterschiedlichen Regionen haben? Diese Überlegungen gibt es aktuell und das ist gut so. In Europa kommen die Kosten hinzu. Gerade China oder Indien haben sehr viel geringere Inflationsraten, dortige Hersteller können Energie deutlich günstiger beziehen. Wir sind ein klarer Verfechter unserer europäischen Standorte, aber natürlich beeinflussen die Kosten das wirtschaftliche Umfeld. Davon abhängig überlegen wir: Wo spielt der Markt der Zukunft? Wie stellen wir uns für die Märkte der Zukunft auf? Aktuell sehen wir die Rückverlagerung in die Heimatmärkte. Auch große Konzerne verfahren so. Für uns als Unternehmensgruppe kann ich sagen, dass wir grundsätzlich langfristige Beziehungen pflegen. Sei es im Bereich Verpackung, deren Entwicklung wir mit bestehenden Partnern vorangetrieben haben, als auch bei anderen Materialien.
Wie beurteilen Sie die Resilienz Ihrer Lieferketten?
Andreas Kordwig: Ich gehöre zu der Generation Führungskräfte, die ab 2009 zehn Jahre lang fast ausnahmslos Sonnenschein erlebt hat. 2019 war dann zum ersten Mal spürbar, dass die Kurve nicht mehr nur nach oben geht. Seit 2020 sind die Abstände zwischen den Krisen, die wir erleben, extrem klein geworden. Das ist für alle neu, für Führungskräfte genauso wie für die Mitarbeitenden. Neben dem strukturierten Risikomanagement sind deshalb Erklären, Zuhören und flexibel bleiben aus meiner Sicht die wichtigen Faktoren für Resilienz. Natürlich kann und sollte ich mir weiterhin Ziele setzen. Aber wie ich diese erlange, ist ganz wesentlich von den aktuellen Rahmenbedingungen abhängig, auf die ich mich einstellen muss. Hierzu braucht es untereinander viel Kommunikation, schnelle Abläufe und mehr Informationen, auf die wir im Unternehmen für unsere Entscheidungen zugreifen können.
Das Unternehmen Ceratizit
Ceratizit, ein Unternehmen der Plansee Group, mit Sitz in Mamer, Luxemburg, entwickelt und produziert mit weltweit über 8000 Mitarbeitern und mehr als 30 Produktionsstätten hochspezialisierte Zerspanungswerkzeuge, Wendeschneidplatten, Stäbe aus Hartstoffen und Verschleißteile. In verschiedenen Anwendungssegmenten ist Ceratizit Weltmarktführer und entwickelt erfolgreich neue Hartmetall- und Cermetsorten, etwa für die Holz- und Gesteinsbearbeitung. Die Hartstofflösungen von Ceratizit werden unter anderem im Maschinen- und Werkzeugbau, in der Automobilbranche, in der Luft- und Raumfahrtindustrie, in der Öl- und Gasindustrie sowie in der Medizinindustrie eingesetzt. Der Technologieführer investiert kontinuierlich in Forschung und Entwicklung und besitzt mehr als 1.200 Patente
Was ist wichtig, damit nachhaltige Beschaffung, obwohl monetär teurer, langfristig befördert wird?
Andreas Kordwig: Auch wenn wir in der Unternehmensgruppe unsere Nachhaltigkeitsziele mit sehr viel Konsequenz und Überzeugung vorantreiben, so glaube ich dennoch, dass Unternehmen die Politik brauchen, um ihre Ziele langfristig verfolgen zu können. Der Aktionismus innerhalb einer Legislaturperiode hilft nicht weiter, wenn langfristig denkende Familienunternehmen einen Plan bis 2040 und darüber hinaus kommunizieren. Wenn wir für die Nachhaltigkeit etwas bewegen wollen, brauchen wir einen Schulterschluss, in der Branche, in den Märkten und in den Ländern.
Fabrik des Jahres
Die Fabrik des Jahres zählt zu den renommiertesten Industrie-Wettbewerben in Europa. Auf dem gleichnamigen Kongress werden jedes Jahr die Gewinner geehrt. Der nächste Kongress wird am 18. und 19. März 2025 stattfinden.
Nutzen Sie Ihre Chance und melden Sie sich jetzt zum Wettbewerb an! Weitere Informationen zum Wettbewerb gibt es auf der Website der Fabrik des Jahres: Hier klicken!
Mehr zu den diesjährigen Siegerwerken lesen Sie hier!
Hören Sie sich auch die Podcast-Sonderfolge zur Fabrik des Jahres an. Johann Kraus von Rohde & Schwarz erklärt darin unter anderem, wie auch Ihr Werk gewinnen kann. Hier kommen Sie zu Industry Insights!