Beim Kabelhersteller Lapp ist der Einkauf in die Innovationsprozesse der Entwicklungsbereiche eingebunden. Welchen Vorteil das für die nachhaltige Transformation hat, erklären Michael Seddig (COO LA EMEA) und Dr. Susanne Krichel (Leitung Innovation und Vorentwicklung).
TECHNIK+EINKAUF: Frau Dr. Krichel, Sie leiten bei Lapp den Bereich Innovation and Advanced Technology, das ist eine noch ziemlich junge Abteilung, oder?
Dr. Susanne Krichel: Ja, das stimmt! Lapp ist eine sehr dezentrale Organisation auch in der Produktentwicklung. Seit zwei Jahren gibt es die zentrale Vorausentwicklung, die mit unseren 20 Entwicklungs- und Teststandorten auf der ganzen Welt zusammenarbeitet und aus der heraus wir die Technologieentwicklung global vorantreiben. Neben der Inmarktbringung von Standardprodukten entwickeln wir an vielen Standorten kundenspezifische Lösungen. Aus Vorentwicklungssicht gibt es sowohl für die Standardprodukte als auch für die kundenspezifischen Lösungen viel Innovationspotenzial. Beides haben wir im Fokus und unterstützen wir mit unserer Technologieentwicklung.
Herr Seddig, ist der Einkauf bei Lapp ähnlich dezentral organisiert?
Michael Seddig: Ja, auch Werke, Einkauf und Logistik sind bei Lapp dezentral aufgestellt. Dabei hat die Region LA EMEA, die ich verantworte, mit 70 Prozent den größten Umsatzanteil. Vor dem Hintergrund der Resilienz und den Anforderungen aus den Lieferketten wollen wir aus unserer dezentralen Organisation künftig noch mehr Synergien heben. Auch wenn wir unseren Einkauf global ausrichten – das Prinzip ‚Local for Local‘ ist uns sehr wichtig. Sowohl aus Gründen der Versorgungssicherheit, der Kundennähe, als auch, um durch kürzere Transporte CO₂-Emissionen zu reduzieren.
Welche Rolle spielt Ihre Zusammenarbeit für das Ökodesign Ihrer Produkte?
Krichel: In der Technologieentwicklung geht es immer öfter um nachhaltige Materialien und das Thema Kreislaufwirtschaft wird vermehrt diskutiert. Hier ist der Einkauf für unser Innovationsteam ein starker Ideenlieferant und Partner, in Bezug auf Verfügbarkeiten, neue Lieferquellen auf dem Markt und darüber hinaus für neue Herstellungstechnologien. Auch die Lieferanten sind für uns wichtige Entwicklungs- und Sparringspartner.
Für mehr Nachhaltigkeit und Resilienz muss sich auch in den Lieferketten einiges ändern. Wo sehen Sie für Lapp die Herausforderungen?
Seddig: Für uns bedeutet Resilienz, dass wir uns zum Beispiel über Dual Sourcing Strategien absichern und dies laufend überwachen. Außerdem achten wir bei Kapazitäten und Lieferwegen darauf, dass wir die notwendige Flexibilität in Richtung Kunde haben. Seit dem 1. Januar 2024 fallen wir unter das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz. Wir beschäftigen uns mit den sozialen und Menschenrechts-Aspekten in der Lieferkette schon seit langem. Diese Verantwortung ist für uns selbstverständlich und insofern nichts Neues für uns.
Krichel: Für Nachhaltigkeit sind verschiedene Aspekte wichtig. Zum einen ist Nachhaltigkeit über die Gesetzgebung und Berichtspflichten stark reguliert. Aus technischer Sicht wiederum ist es eine Reise, auf die sich gerade alle begeben, quasi ein gemeinsames Herantasten. Was ist der richtige Weg? Aus welchem Gesichtspunkt heraus betrachten wir das Thema? Wir haben uns produktseitig für einige Eckpunkte entschieden, mit denen wir starten, um den Weg mitzugehen, unter anderem erproben wir den Einsatz von neuen biobasierten Kunststoffen und Recyclingmaterialien.
Seddig: Die Umstellung auf eine nachhaltige Fertigung und Belieferung hat Einfluss auf unsere Produktionsstätten und Lieferketten. Man muss überlegen, wo lassen sich Kreisläufe schließen, auch produktionsseitig etwa durch Wärmerückgewinnung, wo produziert man was, wo sind die Kunden, wie sind die Transportwege. Die Komplexität ist herausfordernd, aber sie hat eine Menge Innovationspotenzial.
Welche Schwerpunkte setzen Sie konkret?
Seddig: An erster Stelle steht das Ziel, die Kunden zuverlässig zu bedienen und gleichzeitig sorgfältig und nachhaltig zu wirtschaften. Dazu gehört auch der Ausbau unserer Servicedienstleistungen, wie die Schaffung von kundenindividuellen Lösungen. Um kundenspezifische Anforderungen noch stärker bedienen zu können, bauen wir unsere Engineering-Dienstleistungen aktuell deutlich aus.
Was bedeuten kundenindividuelle Anpassungen für die Technik?
Krichel: Es geht nicht um Anpassungen innerhalb des Produktstandards, sondern um Anforderungen, die ein Kabel in einer besonderen Umgebung erfüllen muss. Wir entwickeln für unsere Kunden maßgeschneiderte Lösungen für teilweise sehr spezielle Anwendungsfälle, beispielsweise in der Tiefsee, in sehr rauen Umgebungen, in der Öl- oder Gasindustrie oder in herausfordernden Produktionsumgebungen. Auch unter diesen Rahmenbedingungen müssen wir unsere technischen Standards und die geltenden Normen einhalten. Ziel ist, dass wir diese kundenspezifischen Innovationen, soweit es die kundenindividuellen Vereinbarungen erlauben, schrittweise auch in unser Standardportfolio übertragen beziehungsweise die dort entwickelten technischen Innovationen für das Standardportfolio nutzen. Auch Großkunden erwarten übrigens vermehrt individuellere Lösungen – Stichwort: Losgrößenreduzierung.
Vita Susanne Krichel
Dr.-Ing. Susanne Krichel studierte und promovierte in Technischer Kybernetik an der Universität Stuttgart. Bei einem führenden Automatisierungsunternehmen begleitete sie mehrere Jahre marktseitig Innovationen in einer Technologiephase. Später bei Lapp brachte sie IIoT-Projekte und den Aufbau der globalen Nachhaltigkeitsstrategie voran. Heute leitet sie die Forschungs- und Vorentwicklung bei Lapp.
Sie setzen für die Kabelummantelung neuerdings auf biobasierte Kunststoffe. Kommen Rezyklate nicht in Frage?
Krichel: Die von uns verwendeten biobasierten beziehungsweise teilweise biobasierten Materialien haben die gleichen technischen Eigenschaften wie konventionelle Kunststoffe. Sekundärrohstoffe liefern im Sinne der Kreislaufwirtschaft natürlich das größere Versprechen, sie sind am Markt aber noch nicht in der Qualität und REACH-Konformität zu beschaffen, wie wir sie brauchen. Allerdings prüfen wir das immer wieder. Deshalb ist die Zusammenarbeit mit dem Einkauf so wichtig. Schon heute nutzen wir postindustrielles Sekundärmaterial als Verpackungsmaterial in der Logistik und verwerten die Kunststoffe, die in der Produktion beim Chargenwechsel anfallen, direkt innerhalb des Produktionsablaufs. Das Reinmaterial schreddern wir und führen es in den Produktionskreislauf zurück.
Das Unternehmen: Lapp
Lapp ist Weltmarktführer für integrierte Lösungen im Bereich Kabel und Verbindungstechnologie. Der Umsatz des Stuttgarter Familienunternehmens lag im GJ 22/23 bei 1,92 Milliarden Euro. Weltweit sind 5.551 Mitarbeitende bei Lapp beschäftigt. Stark gewachsen ist mit einem Umsatzplus von 35 Prozent der Bereich Elektromobilität sowie Lösungen für das Batteriegeschäft.
Stehen Gesetze wie die Europäische Chemikalienverordnung (REACH) einer geschlossenen Kreislaufwirtschaft im Weg?
Krichel: Der Endkunde hat ein Kabel sehr lange im Einsatz, bevor es getauscht wird. Das Kabel liegt also jahrelang auf dem Boden, in den Maschinen oder ist in einer Wand verbaut. Niemand weiß, welchen Umwelteinflüssen es ausgesetzt war. Darüber hinaus ist es sehr schwierig, nur die eigenen Kabel zurückzubekommen – meistens ist es eine Sammlung von Materialien verschiedener Hersteller. Um die REACH-Konformität zu prüfen, müsste der Kunststoff eigentlich komplett in seine chemischen Bestandteile zerlegt werden. Folgt man dieser Logik, findet ein Unternehmen allein hierfür nur schwer eine Lösung. Es muss also in Bezug auf die Kunststofftechnik geklärt werden, was beim Recycling rechtlich zulässig ist und was nicht: Diese Frage braucht die Zusammenarbeit in Verbänden und mit allen Marktbegleitern. In diesem Austausch stehen wir gerade.
Vita Michael Seddig
Michael Seddig studierte Wirtschaftsingenieurwesen und hatte in den vergangenen Jahren verschiedene Management-Positionen bei unterschiedlichen Unternehmen inne. Zuletzt steuerte er beim Kabel- und Bordnetzausrüster Leoni als SVP die globale Wertschöpfungskette. Seit 2023 verantwortet er bei Lapp als Chief Operating Officer die für das Unternehmen wichtige Region LA EMEA (Latein Amerika, Europa, Naher und Mittlerer Osten, Afrika).
Welchen Part übernimmt der Einkauf? Ist dessen Dezentralität eher ein Vor- oder Nachteil?
Seddig: Es ist für das Sourcing ein großer Vorteil, dass wir einen starken Einkauf in den Regionen und hier auch die lokale Kenntnis für den Markt haben. Trotzdem bringen wir den Einkauf mit einer globalen Führung und Ausrichtung näher zusammen und vereinheitlichen und globalisieren unsere Prozesse. Für übergreifende, innovative Themen identifizieren wir Lieferanten auch über künstliche Intelligenz. So lassen sich aus potenziell 5.000 Lieferanten zum Beispiel die Top 30 herausfiltern, die anschließend durch die Einkaufsorganisation gezielt durchleuchtet und im Erfolgsfall nominiert werden. Auch damit machen wir sehr gute Erfahrungen.
Krichel: Der Austausch mit dem Einkauf hat sich stark intensiviert. Alle müssen ein Verständnis entwickeln, wohin die Reise geht. Aktuell arbeiten wir entlang unserer Klimaziele an einer Roadmap, in der wir die Produktentwicklung mit dem Markt und die Bedarfe mit den Technologien verknüpfen. Wir arbeiten nicht nur mit den großen Playern, sondern auch mit kleinen Firmen oder Start-ups. Auch dafür brauchen wir den Einkauf. Der Einkauf muss wissen, was wir in der Technik in fünf Jahren brauchen, er muss sich mit uns auf die Reise machen und dieses Wissen in die Gespräche mit Lieferanten schon heute einbeziehen.
Sie integrieren den Einkauf tief in Ihr Innovationsmanagement?
Seddig: Zu wissen, was potenziell gebraucht werden könnte, ist für den Einkauf nochmal eine völlig andere Dimension als in der klassischen Produktentwicklung mit ihren definierten Projekten. Der Einkauf agiert und ist damit ein wichtiger Partner in diesem Prozess.
Krichel: Ich finde es wichtig, auch im Innovationsprozess dieses Rollenspiel zu beachten. Wenn ich von mir als Ingenieurin spreche, bin ich an der Lösung interessiert. Der Einkauf hingegen hat die Rolle, sicherzustellen, dass wir den richtigen Partner wählen, der die Mengen liefern kann, der die Regularien einhält. Hierfür muss man voneinander wissen, was die Strategien, was die Limitierungen sind. Für innovative Ansätze sind viele Prototypen notwendig. Da geht man auch mal den falschen Weg. Dieses Experimentierfeld, auf dem sich alle bewegen, die in der Nachhaltigkeit vorankommen wollen, muss der Einkauf verstehen. Es ist ein Ringen in einem hochgradig komplexen Umfeld. Für den Einkauf ist es wichtig, zu verstehen, was wir brauchen, woran wir scheitern und warum wir nochmal neue Lieferanten benötigen. Das gegenseitige Verständnis ist ganz entscheidend.
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Wie weit ist Lapp beim produktbezogenen CO₂-Fußabdruck?
Krichel: Wir kennen nach Scope 1 und 2 des Greenhouse Gas Protocols den Corporate Carbon Footprint von Lapp weltweit. Bei Scope 3 auf Produktebene haben wir bereits erste Erfolge erzielt: Für ausgewählte Standardprodukte haben wir den CO₂-Fußabdruck bereits softwarebasiert, auf Basis von Sekundärdaten, erfasst. Aktuell laufen gemeinsam mit Fraunhofer IPA Projekte, um die CO₂-Treiber im Product Carbon Footprint noch detaillierter zu analysieren und daraus Maßnahmen abzuleiten. Grob kann man sagen: Kupfer ist für die CO₂-Emissionen für uns der größte Hebel und Kunststoff aus dem Gesichtspunkt der Kreislaufwirtschaft.
Kupfer läuft bereits im Kreislauf?
Seddig: Beim Kupfer haben wir langjährige Partnerschaften, die uns schon heute gute Sekundärrohstoffe liefern. Diesen Kreislauf wollen wir noch weiter ausbauen. Wir sind bei der Lieferantenbasis schon sehr gut aufgestellt, sind unter anderem auch Teil der Initiative ‚The Copper Mark‘ für verantwortungsvolle Wertschöpfungsketten. Deshalb sehen wir Kupfer nicht als das größte Problem. Es ist eher der Kunststoff, für den wir den Kreislauf noch nicht geschlossen haben. Allerdings setzen wir auch beim Kunststoff bereits Sekundärmaterialien aus Kunststoffabfällen ein und nutzen diese zum Beispiel als Filler in den Leitungen. Das Upcycling bleibt aber noch eine Herausforderung.