Noch immer leidiges Thema für Beschaffer in China: die Qualität. Viele Einkäufer und Ingenieure vernachlässigen ihre Hausausgaben.
Mit Maschinenbauexperte Stefan Schwaab sprachen wir darüber, auf was der Einkauf in China ganz konkret achten muss und welche weiteren Themen - abseits von Corona - unbedingt auf die Einkäuferagenda 2020 gehören, wenn Unternehmen weiterhin - oder vielleicht zum ersten Mal - im Land der Mitte beschaffen wollen.
TECHNIK+EINKAUF: Was gehört für Einkäufer unbedingt auf die China-Agenda 2020?
Stefan Schwaab: Den Handelskrieg zwischen den USA und China sehe ich nicht als Top-Thema, wie man vielleicht vermutet. Sollte es zu keiner Einigung kommen, dürfte China den Yuan abwerten. So würde man richtig Druck auf die Amerikaner ausüben und die Strafzölle weitgehend wirkungslos verpuffen lassen. Das wäre für Einkäufer gut. Ich siedele vielmehr den Dauerbrenner Qualität oben an. Ich sehe mit Besorgnis, dass viele Einkäufer und Ingenieure das Thema weiter unterschätzen. Es reicht nicht, als Duo ein- bis zweimal im Jahr angekündigt beim Zulieferer Produkte abzunehmen und Toleranzen zu checken. Vor Ort müssen alle Prozesse analysiert werden, und das geht meist nicht ohne externe Dienstleister.
Was kommt dabei im Maschinenbau zu kurz?
Schwaab: Einiges. Zu fragen ist zum Beispiel: Werden Messinstrumente regelmäßig kalibriert? Liegen DIN-Normen beim Lieferanten vor bzw. sind sie überhaupt bekannt? Liegen sie zumindest in Englisch vor? Die sind aber teuer. Also: Wer schafft sie an? Und wer versteht im chinesischen Werk genügend Englisch, um Infos eins zu eins weiterzutragen? Zwar sind die chinesischen Normen und Vorschriften für Schweißen oder Prüfungen oft an die deutschen angelehnt, aber es gibt je nach Anwendungsfall feine Unterschiede. Und die können die gewünschten Eigenschaften deutlich verschlechtern. Aber wer vergleicht schon die DIN mit der chinesischen Variante? Im besten Fall setzt man sich vor Ort mit sachkundigen Ingenieuren zusammen und spricht die wichtigsten Punkte gemeinsam durch. Kann der Zulieferer spezielle Wärmebehandlung für die verlangte hohe Güte gewährleisten? Wenn nicht, kommt es zu früherem Verschleiß und hohen Folgekosten. Das müssen Einkauf und Geschäftsleitung kalkulieren können. TCO-Betrachtung hilft dabei, greift aber vielfach zu kurz.
Das Problem der Subunternehmer in China
Sind Vertragsstrafen in China durchsetzbar?
Schwaab: Jein. Sofern man sich nicht in Abhängigkeit wähnt, kann man die Muskeln spielen lassen. Zu Vertragsstrafen kommt es aber selten, weil Chinesen gewohnt sind, solche Probleme anders zu lösen. Vorzugsweise beim Essen ... Den Europäern bietet man dann mehrfache Nachbesserung an. Die sind schon eingepreist.
Viele Einkäufer wissen anfangs nicht, dass ihr Zulieferer Sublieferanten beauftragt. Bei Mängeln ein großes Problem.
Schwaab: Allerdings. Meist ist völlig intransparent, warum ein Lieferant weitere Subvergaben macht. Gründe sind nicht immer der niedrigere Preis oder Kapazitätsengpässe. Manchmal ist man auch zu solchen Geschäften „verpflichtet“. Das bekommen Sie aber erst dann mit, wenn Ihr Qualitätsinspektor erstaunt feststellt, dass die zu prüfenden Teile über ganz China verstreut wurden. Dabei ist es nicht mal ausgeschlossen, dass Ihnen der Projektleiter am Tag vorher bestätigt, dass die Teile im eigenen Werk besichtigt werden können – weil er es nicht besser weiß und weil ihm die Produktion auch nicht immer unbedingt klaren Wein einschenkt.
Wie sollte man also das Problem der Subvergaben angehen?
Schwaab: Man sollte unbedingt die Übertragung von Aufträgen an Sublieferanten schriftlich untersagen und darauf dringen, dass alle protokollierten Anforderungen und Übereinkommen bis in die Produktion und an die Schichtleiter durchgestochen werden. Wie schon gesagt, wissen die Fertigungsplanung bzw. der Einkauf des Lieferanten oft nichts von den Vertragsbedingungen, die der Vertriebsleiter unterschrieben hat.
Produktionsstandort in China beeinflusst Messergebnisse
Für Einkäufer ist auch das radikale Vorgehehen der Regierung in Sachen Schadstoffausstoß ein Problem.
Schwaab: Ja! Vielen tausend Unternehmen wurde bereits der Saft wegen der horrend überschrittenen Feinstaubgrenzwerte abgedreht, mal vorübergehend, mal für immer, wenn Nachrüstung nicht mehr lohnt. Das Problem ist, dass die Lieferanten meist nicht sagen können, wie lange die Schließung dauern wird. Somit kann man sich auch nicht darauf einstellen, ob in absehbarer Zeit überhaupt noch Lieferfähigkeit besteht. Die Schließungen wirken oft willkürlich. Chinas Herrscher wollen glaubwürdig sein. Sie machen auch Staatsunternehmen dicht, wenngleich gefühlt später als private. Im Nordosten Chinas, speziell im Raum Beijing und Tianjin und weiter nördlich, ist die Smog-Problematik wegen der langen Heizperiode extrem. Weil dann auch Flüge gecancelt werden, bekommen Einkäufer zusätzliche Probleme, weil sie aus meiner Sicht zu viel via Luftfracht transportieren.
Umwelt- und Klimaeinflüsse gehören also auch auf die Risikolandkarte 2020. Sehen Sie einen Trend?
Schwaab: Wichtig ist, Alternativen aktivieren zu können, wenn bei einem wichtigen Zulieferer die Lichter ausgehen. Ausfälle gab es zuletzt in der verarbeitenden Industrie, im Maschinen- und Anlagenbau, bei Guss-, Schmiede- und Zeichnungsteilen. Wann wieder produziert wird, hängt davon ab, wie nachgerüstet wurde. Das kann Monate dauern. Im Metallsektor sollten Lieferanten verlässlich in der Lage sein, innerhalb der Produktionswerkstätten konstant warme Temperaturen zu gewährleisten. Das ist im Nordosten während der Wintermonate nicht immer der Fall, weil die Werkstätten nicht beheizt werden! Das führt dann zu unterschiedlichen Messergebnissen und abweichenden Toleranzen. Ich beobachte einen Trend weg vom Nordosten. Einkäufer und Unternehmen orientieren sich nun eher in Regionen rund um Shanghai und die Provinz Jiangsu, aber auch weiter südlich.
Unterschiede beim Einkauf in Privat- und Staatsunternehmen
Welche Unterschiede müssen Einkäufer bei Staatsfirmen und Privatwirtschaft einkalkulieren?
Schwaab: Privatunternehmer setzen eigenes Geld ein. Sie sind eher bemüht, sich Kundenanforderungen anzupassen. Wenn bei Staatsfirmen Aufträge der Regierung oder vom Militär eingehen, dann rücken auch zeitkritische Orders anderer Kunden in den Hintergrund. Hier besteht wenig Raum zum Abwägen von Geschäftsinteressen. Auch das müssen Einkäufer einkalkulieren.
Wie hat sich die Maschinenbraubranche in China zuletzt entwickelt?
Schwaab: Die Chinesen haben Know-how von Auslandsexperten generiert und viele Investitionen getätigt. Auch wenn im Sektor Baumaschinen die seit 2012 vieldiskutierte Fusion von Sany Heavy Industries mit der deutschen Putzmeister und die Ehe aus Xuzhou Construction Machinery Group und der Schwing-Gruppe wohl kaum die intern erwarteten Erfolge gebracht haben dürften, konnten zumindest die Chinesen viel über Technologie und Markenführung lernen. Aber von Goldrausch ist nicht mehr die Rede, wir verzeichnen hohe Überkapazitäten. Und viele chinesische Fertiger können das Qualitätsniveau nicht dauerhaft halten.
Gebetsmühlenartig wird auf kulturelle Unterschiede verwiesen. Was sind nach wie vor die größten Knackpunkte?
Schwaab: Das kommt auf die Position an, die man innehat. Die westliche Einkaufsseite hat naturgemäß ein anderes Qualitätsverständnis. Viele chinesische Zulieferer halten die hohen Kundenanforderungen für übertrieben. Motto: 80 Prozent reichen auch. Viele kommen den Spezifikationen nur widerwillig nach und werden – nach einigen unbeanstandeten Lieferungen – nachlässig. Das wird von Einkäufern oft nicht bedacht. Wer hingegen für ein chinesisches Management tätig ist, muss damit rechnen, dass selbst in simple Verrichtungen hineinregiert wird. Auch Banales wird kommentiert und zerlegt. Ergebnis: Frust und nicht selten Beziehungsende. Vertrauen bleibt erfolgskritischer Faktor. Von einem gemeinsamen Nenner sollte man aber nicht ausgehen. Sonst wird es teuer!
Kein deutsches Qualitätsverständnis in China
Hat sich durch die vielen Hochschulabgänger ein besseres Verständnis für Qualität entwickelt?
Schwaab: Nicht wirklich. Man kann Qualität nur schätzen, wenn man ihren Wert über langen Zeitraum in eigenen Kulturraum erfahren hat. Westliches Verständnis wird an chinesischen Universitäten nicht vermittelt. Chinesen, die im Ausland tätig waren, können neue Impulse einbringen. Die Kultur wird das kaum verändern. Aber kann man das ernsthaft erwarten?
Vita Stefan T. Schwaab
Stefan Schwaab hatte langjährige Führungsfunktionen inne, u.a. in Asien.
Schwerpunkte: Vertrieb und Geschäftsaufbau im Maschinen- und Anlagenbau sowie Projektgeschäft. Lehraufträge „Global Sourcing“ (European Management School Mainz) und„Unternehmensführung in Asien“ (Hochschule Rheinland-Pfalz, Ostasien-Institut).
Stationen u.a.: General Manager Supply Management bei ABB Power Generation Asia Pacific; Senior VP Supply Chain Management und Member Executive Management Committee bei Siemens VAI Metals Technologies; Vorstandsmitglied und COO Asia-Pacific bei Danieli; Vorstand International Sales & Marketing bei China First Heavy Industries; Geschäftsführer China First Heavy International; Geschäftsführender Gesellschafter bei UMECC Europe