Mitarbeiterin im Bosch-Werk Dresden arbeitet an einem virtuellen Wafer

Bosch hat seine AIoT-Halbleiterfabrik in Dresden in den Serienfertigungsmodus gebracht. (Bild: Bosch)

Bosch hat die Serienfertigung seiner Leistungshalbleiter auf Siliziumkarbidbasis gestartet. Bereits seit Anfang des Jahres 2021 hat das Unternehmen erste Chips während einer Testphase produziert, nun ist die Serienfertigung angelaufen. Offiziell eröffnet wurde das Werk in Dresden im Juni.

Welche Halbleiter produziert Bosch in Dresden?

In seinem Dresdner Werk spezialisiert sich Bosch auf sogenannte Leistungshalbleiter. Das sind Chips aus Siliziumkarbid (SiC). Sie werden häufig auch als Halbleiter der dritten Generation bezeichnet, da sie auf ein neues Material setzen.

Die Fabrik in Sachsen produziert Chips mit einer Strukturbreite von 65 Nanometern aus neuartigen 300-Millimeter-Wafern.

Zum Vergleich: In Reutlingen sind es 150- und 200-Millimeter-Wafer. Zudem laufen im Schwäbischen Halbleiter mit Strukturbreiten von 180 Nanometern (Silizium) und 400 Nanometern (SiC) vom „Band“.

Diese werden von Herstellern von Elektrowerkzeugen, vor allem aber in der Automobilindustrie nachgefragt. Besonders vom Schwenk hin zu Elektroautos verspricht sich Harald Kröger, Geschäftsführer der Robert Bosch GmbH, viel: „Wir wollen weltweit führend bei der Herstellung von SiC-Chips für die Elektromobilität werden“.

Daher plant Bosch, die Fertigungskapazität von SiC-Leistungshalbleitern auf eine Stückzahl im dreistelligen Millionenbereich erhöhen. Dafür wurde die Reinraumfläche in der Reutlinger Fab bereits um 1.000 Quadratmeter erweitert. Bis Ende 2023 sollen weitere 3.000 Quadratmeter hinzukommen.

Zweite Generation von SiC-Halbleitern bereits in den Startlöchern

Leistungshalbleiter aus Siliziumkarbid nutzen Energie besonders effizient. Diese Vorteile spielen sie insbesondere bei energieintensiven Anwendungen wie der Elektromobilität aus.

Doch die Entwicklung bleibt nicht stehen. Parallel wird bereits an der zweiten Generation von SiC-Chips gearbeitet. Sie soll ab 2022 serienreif sein und an Effizienz noch weiter zulegen.

Das französische Marktforschungs- und Beratungsunternehmen Yole rechnet damit, dass der gesamte SiC-Markt bis 2025 jedes Jahr im Schnitt um 30 Prozent auf mehr als 2,5 Milliarden US-Dollar wachsen wird. Mit rund 1,5 Milliarden US-Dollar soll der SiC-Automarkt den größten Anteil ausmachen.

Was macht das Halbleiterwerk in Dresden so besonders?

Das Dresdner Bosch-Werk ist nach Unternehmensangaben eine AIoT-Fabrik. Das heißt, sie kombiniert künstliche Intelligenz (KI oder auch AI - Artificial Intelligence) mit dem Internet der Dinge (IoT).

Konkret bedeutet das: Alle Daten, die in der Halbleiterfabrik anfallen – von Anlagen, Sensoren und Produkten – werden in einem zentralen Datenspeicher gesammelt. Im Werk entstehen dadurch pro Sekunde Produktionsdaten mit einem Umfang von umgerechnet 500 Textseiten. An einem Tag entspricht das mehr als 42 Millionen beschriebener Blätter. Diese Daten werden anschließend mit Methoden der künstlichen Intelligenz ausgewertet.

Selbstoptimierende Algorithmen lernen dabei, aus den Daten Vorhersagen abzuleiten. So lassen sich Fertigungs- und Wartungsvorgänge in Echtzeit analysieren.

Ein KI-Algorithmus erkennt beispielsweise selbst kleinste Auffälligkeiten an den Produkten, die durch spezifische Fehlerbilder, sogenannte Signaturen, auf den Wafern sichtbar werden. Die Ursachen werden sofort analysiert und Prozessabweichungen umgehend korrigiert, noch bevor sie die Zuverlässigkeit des Produktes beeinflussen können.

Digitaler Zwilling: Das Werk existiert zweimal

Das Halbleiterwerk gibt es allerdings nicht nur zum Anfassen auf dem rund 100.000 Quadratmeter großen Grundstück. Es existiert darüber hinaus in der digitalen Welt – als digitaler Zwilling.

Alle Teile der Fabrik und alle relevanten Bauwerksdaten des kompletten Halbleiterwerkes wurden dafür bereits während der Bauphase digital erfasst und in Form eines dreidimensionalen Modells visualisiert. Der Zwilling besteht aus rund einer halben Million 3D-Objekten – von Gebäuden und Infrastruktur, über Ver- und Entsorgungsanlagen, Kabeltrassen und Lüftungssystemen bis zu den Maschinen und Fertigungsanlagen.

Damit lassen sich Prozessoptimierungen, aber auch Umbauarbeiten simulieren, ohne in die laufende Fertigung einzugreifen.

Erstes Projekt mit spezieller Fördererlaubnis der EU (IPCEI)

Ganz billig war das neue Werk nicht. Rund eine Milliarde Euro flossen an diverse Bau- und Ausrüsterfirmen. Bosch selbst spricht von der größten Einzelinvestition seiner Geschichte. Gestartet war der Bau bereits 2018 vor dem eklatanten Halbleitermangel.

Unterstützung bei der Entwicklung der innovativen Fertigungsverfahren für die SiC-Halbleiter hat Bosch vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) im Rahmen des Programms „IPCEI Mikroelektronik“ erhalten. Durch sogenannte IPCEIs (Important Projects of Common European Interest) unterstützt der Staat – mit ausdrücklicher Genehmigung der EU – Unternehmen, die neue Technologien auf den Markt bringen. Für den Dresdner Fabrikneubau flossen als Unterstützung 140 Millionen Euro.

Zulieferer und Automobilhersteller steigen ins Chip-Design ein

Sowohl für Fahrzeugbauer als auch für Zulieferer sind in einem immer höheren Maß von Halbleitern abhängig. Noch 1998 betrug der Wert der Mikroelektronik in einem Neuwagen laut ZVEI 120 Euro. 2018 kletterte dieser Wert bereits auf 500 Euro und 2023 wird er voraussichtlich über 600 Euro liegen.

Geht es nach Chipentwicklern und -herstellern wie Qualcomm, sollen sich die Unternehmen aus der Automobilindustrie weiterhin auf die Entwicklung von Software konzentrieren und die Entwicklung der Chips ihnen überlassen. Kein Wunder, sind Halbleiter für den Automobilbereich doch ein wachsender Umsatzbringer - vor allem die neuen Leistungshalbleiter.

Doch Autobauer wie Tesla haben andere Pläne. Der US-Konzern designt eigene Halbleiter in enger Zusammenarbeit mit Chip-Produzenten - ohne Beteiligung von Zulieferern - und lässt sie durch TSMC oder andere Fabs fertigen. Gerüchten zufolge denkt Elon Musk sogar darüber nach, eigene Halbleiterfabriken zu bauen.

Und Tesla bleibt mit seinem Vorstoß nicht alleine: Hierzulande haben sowohl Volkswagen als auch Stellantis angekündigt, ins Chip-Design einsteigen zu wollen. Bosch und Conti wiederum haben sich am Chipdesigner Recogni beteiligt.

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