Anfang 2020 überholten die Zulassungszahlen von E-Autos erstmals die der Oldtimer. Laut Kraftfahrt-Bundesamt waren am 1. Januar in Deutschland 676.000 Hybrid- und reine Elektro-Pkw gemeldet, mit rasanten Zuwachsraten gegenüber den Vorjahren. Und das wird wohl nicht das Ende der Fahnenstange gewesen sein.
„Die Nachfrage nach Elektrofahrzeugen wird massiv steigen. Das ist erst der Anfang, den wir jetzt sehen“, ist die Prognose von Dr. Matthias Buchert vom Öko-Institut. Von sieben bis 10,5 Millionen Elektroautos und leichten Nutzfahrzeugen in 2030 geht die Nationale Plattform Zukunft der Mobilität (NPM) aus.
Und auch im bislang schwersten Jahr der Automobilindustrie, dem Corona-Jahr 2020 beschleunigte wurden so viele Elektroautos wie noch nicht nachgefragt - weltweit. So verzeichnetet Daimler ein Plus von 228 Prozent Verkaufsplus an Hybriden und reinen Stromern. Bei BMW waren es 31 Prozent und die VW-Gruppe vermeldet ein Plus von 214 Prozent an Elektroautos und 175 Prozent bei den Hybriden. Audi gibt 79,5 Prozent mehr Verkäufe von Stromern bekannt. Zum Vergleich: Marktführer Tesla erreichte eine Wachstumsrate von 36 Prozent. Soviel zum Status Quo.
Doch mit der Elektromobilität nimmt auch ein anderes Thema Fahrt auf: Was passiert mit den Traktionsbatterien der E-Autos, wenn sie für den Antrieb von Fahrzeugen nicht mehr taugen? Und auch für Second-Life-Anwendungen als stationäre Stromspeicher nicht mehr zu gebrauchen sind?
Zahl der E-Autos bestimmend für Recycling
Vorerst kommen bei den Recycling-Unternehmen vor allem Batterien aus den ersten Testfahrzeugen, Prototypen oder defekte Batterien an – etwa aus Unfallwagen. Sie fließen ein in den Recyclingstrom von Lithium-Batterien aus E-Bikes oder E-Scootern, die von vornherein auf eine geringere Lebensdauer ausgelegt sind. Mit dabei sind Akkus aus portablen Geräten wie Laptops oder Akku-Schraubern.
„Der große Zuwachs beim Recycling von Lithium-Ionen-Batterien wird von den Traktionsbatterien der vollelektrischen E-Autos kommen und dem Hochlauf der Elektromobilität folgen. Von wenigen hundert Tonnen – Stand 2019 – wird das Volumen bis Mitte der 2030er Jahre exponentiell ansteigen auf mehrere zehntausend Tonnen pro Jahr“, erwartet Buchert allein für Deutschland.
Deponieren oder Verbrennen scheiden aus
Für Müll gibt es in der Regel drei klassische Endstationen: Deponieren, Verbrennen oder Recyceln. Bei Akkus ist das Recycling alternativlos.
„Deponieren und Verbrennen kommen nicht infrage“, winkt Buchert ab. „Schon aus Gründen der Gefahrenabwehr gibt es keine Alternative zum ordnungsgemäßen Demontieren und Recyceln von Lithium-Ionen-Batterien. Der zweite zwingende Grund ist die Rückgewinnung von Wertstoffen, um Ressourcen zu schonen und die Abhängigkeit von Rohstoffimporten zu verringern“, erklärt er.
Verbrennen scheidet wegen der Explosionsgefahr aus und Deponieren unter anderem deshalb, weil die Akkus giftige und umweltschädliche Bestandteile wie Lösemittel oder Schwermetalle enthalten.
Zudem funktionieren die Recycling-Anlagen für Lithium-Batterien in Europa mittlerweile so gut, dass die Ausbeute der zurückgewonnen Nickel- und Kobaltverbindungen sowie von Stahl und Kupfer 90 Prozent erreicht.
Auf Kobalt, Nickel, Kupfer, Stahl und Aluminium liegt derzeit das Hauptaugenmerk der Recycler. Zunehmend rücken jedoch auch Lithium und Graphit in den Fokus.
„Derzeit wird der Graphit verbrannt. Könnte man ihn in Battery-Grade-Qualität zurückgewinnen, wäre auch das eine finanziell positive Quelle im Recyclingstrom“, denkt Dr. Rolf Widmer von der schweizerischen Eidgenössichen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa).
Ein Deckungsbeitrag, der dringend nötig ist, denn wirtschaftlich wird das Recycling der Traktionsbatterien von Elektroautos noch lange Zeit ein Zuschuss-Geschäft bleiben. Zumindest bis 2030, bis ausreichend Batterien im Rücklauf und die Recycling-Technologien ausgereift sind.
„Dann ist in etwa der Zeitpunkt erreicht, ab dem sich die Entsorgung über die zurückgewonnenen Wertstoffe finanzieren lässt. Voraussetzung ist allerdings: Die Batterie wird dem Recycler an die Tür geliefert“, schränkt Widmer ein. Kosten für Ausbau und Sicherung der Akkus – etwa die Entladung vor dem Transport – sowie der Transport selbst, für den strenge Auflagen gelten, müssten noch einige Jahre darüber hinaus anderweitig abgedeckt werden.
In der Pflicht wären in der Schweiz wohl ebenso wie in der EU die Inverkehrbringer, sprich die Autobauer. Viele arbeiten bereits an eigenen Recycling-Lösungen – wie Volkswagen oder der Schweizer E-Scooter-Hersteller Kyburz.
Die Kyburz Switzerland AG hat im Herbst 2020 eine eigene Inhouse-Anlage in Betrieb genommen, um die Lithium-Eisen-Phosphat-Akkus aus ihren Dreiradrollern zu recyceln, die unter anderem bei der schweizerischen Post im Einsatz sind.
Der Vorteil liegt auf der Hand, findet Widmer: „Der Hersteller bekommt seine eigenen Batterien zurück. Er weiß genau, welche Chemien sie enthalten und kann sich darauf spezialisieren.“
Wie funktioniert Batterie-Recycling?
Für das Recycling hat das Unternehmen einen eigenen Prozess entwickelt – jenseits der pyro- und der hydrometallurgischen Route, bei denen die Batterien geschreddert und anschließend eingeschmolzen oder mit Chemikalien behandelt werden.
Die Kyburz-Mitarbeiter entladen die Akkus zunächst auf 2,5 Volt und zerlegen sie in ihre Komponenten. Anschließend werden die Kupfer- und Aluminiumfolien an Kathoden und Anoden mit Wasser abgelöst und getrennt sowie die Lithiumsalze aus dem Elektrolyten destilliert.
Das Verfahren lasse sich, so Kyburz, mit leichten Modifikationen auch auf andere Lithiumbatterietypen übertragen, unter anderem auf die Nickel-Cobalt-Mangan-Batterien (NMC) die bei den meisten Elektroautos im Einsatz sind.
In der Endausbaustufe soll die Kapazität der Anlage bei 24.000 Zellen pro Jahr liegen, was der Jahresproduktion von 3.000 Fahrzeugen entspräche.
Volkswagen nimmt Ende 2020 am Standort Salzgitter seine Pilotanlage zum Recycling von NMC-Batterien in Betrieb. „In mehreren Prozessschritten wird die Batterie so aufgearbeitet, dass ein Partner durch hydrometallurgische Verfahren das Kathodenmaterial der Zellen als Sekundärmaterial wieder einem Zellhersteller anbieten kann“, sagt Mark Möller, Leiter Technische Entwicklung und E-Mobilität bei VW.
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Langfristziel ist geschlossener Rohstoffkreislauf
Durch diesen geschlossenen Kreislauf könne der Primärbedarf von Rohstoffen reduziert und der CO2-Fußabdruck der Batterien deutlich gesenkt werden. „Unser Ziel ist es, einen geschlossenen Materialkreislauf für die Batterien aufzubauen“, betont er.
Die Erkenntnisse aus dem Betrieb der Pilotanlage sollen in die Entwicklung neuer Batteriesysteme einfließen. Denn um das spätere Recycling möglichst effizient zu gestalten, führt kein Weg daran vorbei, die Verwertung am Ende des Produktlebenszyklus von Anfang an mitzudenken.
Umso wichtiger ist dies, weil sich sowohl der Aufbau der Batteriesysteme als auch die Zellchemie kontinuierlich weiter entwickeln und verändern und sich das Recycling entsprechend anpassen muss. So könnten künftige Generationen von Lithium-Batterien anstelle eines flüssigen einen Festkörperelektrolyten enthalten. Oder sie kommen – so ein Ziel von VW – langfristig ganz ohne das teure und unter teils umstrittenen Bedingungen abgebaute Kobalt aus.
„Mittelfristig werden wir den Kobalt-Anteil von heute 12 bis 14 Prozent auf unter fünf Prozent senken. Damit sinken die Kosten und die Energiedichte steigt“, erwartet Möller. „Im Moment spricht einiges dafür, dass Europa der wahrscheinlich größte Nachfragemarkt für Elektromobilität wird, und das zieht ganze Wertschöpfungsketten mit hierher. Von der Zellproduktion bis zum kompletten Batteriesystem“, denkt Matthias Buchert vom Öko-Institut.
Für die recycelten Materialien aus den Alt-Batterien fänden sich dann Abnehmer vor Ort, sie müssten nicht nach Asien verschifft werden. „Um 2030 herum werden wir etwa zehn Prozent des Bedarfs an Lithium, Kobalt und Kupfer aus Sekundärmaterial abdecken können“, schätzt er. „Was bereits beachtlich ist, denn die recycelten Materialien aus den wenigen Batterien der Anfangszeit fließen in einen stark wachsenden Markt.“
Langfristig und unter der Annahme, dass weiterhin Lithium-Ionen-Zellen zum Einsatz kommen, könne dieser Anteil global auf bis zu 40 Prozent des Bedarfs ansteigen. „Das wäre dann schon ein sehr respektabler Wert – mit signifikantem Einfluss auf die Preise für Primärrohstoffe“, erwartet er.
Bearbeitet von Dörte Neitzel