Bekäme die Aluminiumgießerei G.A. Röders in Soltau kein Magnesium mehr, wäre dies das vermutliche Ende einer über 200-jährigen Gießereigeschichte. Das aus einem 1815 gegründeten Handwerksbetrieb entstandene Familienunternehmen stellt im Spritz- und Druckgussverfahren Werkzeuge und Formteile unter anderem für die Automobil- und Luftfahrtindustrie her. Dabei verarbeiten 500 Mitarbeiter zwölf Legierungen – darunter duktile und korrosionsfeste Alu-Magnesium-Legierungen. „Magnesium gibt es heute aber fast nur noch von chinesischen Zulieferern“, erklärt Geschäftsführer Gerd Röders. „Fielen diese aus, müssten wir die hiesige Aluminiumgießerei schließen, sobald wir und die Zwischenhändler von denen wir Magnesium beziehen, ihre Lager abgebaut haben.“
Röders Sorge ist nicht unbegründet. Denn die Volksrepublik ist der größte Exporteur von Magnesium. Laut einer Studie der Internationalen Energieagentur liefert sie zudem
- die Hälfte des weltweit verfügbaren Lithiums,
- 70 Prozent des Kobalts
- und fast 90 Prozent der global angebotenen Seltenen Erden.
Insgesamt ist China damit der größte Lieferant von 42 Prozent der Bergbauprodukte mit dem größten Lieferkettenrisiko für deutsche Unternehmen, stellt die Deutsche Rohstoffagentur fest.
Wie groß dieses Risiko ist, erfuhren Abnehmer wie Gerd Röders im Herbst 2021. Damals stieg der Preis für eine Tonne Magnesium binnen Tagen von 1.700 Euro auf 12.000 Euro, weil die Volksrepublik den Export des Leichtmetalls einstellte. Für dessen Raffinade wird viel elektrische Energie benötigt und da in China Strom überwiegend in Kohlekraftwerken erzeugt wird, hatten die Verantwortlichen Angst, ihre Klimaziele zu verfehlen.
In der Verfügbarkeit von Rohstoffen steckt eines der größten Risiken für Unternehmen
Seitdem und dem russischen Überfall auf die Ukraine sehen Unternehmen in der Verfügbarkeit von Rohstoffen eine der größten Belastungen für ihr Geschäft. Das gaben 77 Prozent der Betriebe an, die die Einkaufsberatung Inverto für ihre Rohstoffstudie 2022 befragte. Schließlich kommt zur Abhängigkeit von China nun auch noch der Ausfall eines der größten Rohstoffexporteure der Welt – Russland.
Wie dringlich die Lage ist, hat auch die Europäische Kommission verstanden. „Daher verkünde ich ein europäisches Gesetz zu kritischen Rohstoffen“, erklärte Kommissionschefin Ursula von der Leyen in ihrer Rede zur Lage der EU schon im September 2022. Am 16. März 2023 hat die Kommission dieses in Form des EU Critical Raw Materials Act nun vorgelegt.
Dieser schreibt vor, dass bis 2030 zehn Prozent der in der Gemeinschaft verbrauchten Rohstoffe auch dort abgebaut werden müssen. Der Bedarf soll zudem zu 40 Prozent von Betrieben bedient werden, die Primärrohstoffe in der EU weiterverarbeiten. Um die Erschließung von Rohstoffvorkommen und den Aufbau von Raffinadebetrieben in der Gemeinschaft zu beschleunigen, will der Act Genehmigungsverfahren auf 24 Monate begrenzen. Die Umweltprüfung soll verkürzt werden. Verfahren, in denen die Öffentlichkeit beteiligt und angehört wird, dürfen nicht mehr länger als 90 Tage dauern.
EU Critical Raw Materials Act macht ambitionierte Vorgaben
„Das ist eine erfreuliche aber sehr ambitionierte Vorgabe“, meint Christopher Gosau, Referatsleiter Europäische Wirtschaftspolitik bei der Deutschen Industrie und Handelskammer (DIHK). Allerdings mache die Kommission diese zu Lasten der Mitgliedsländer, die das umsetzen und ihren Bürgern erklären müssen. „Das wird einige Anstrengungen erfordern. Dennoch haben Unternehmen durch den Critical Raw Material Acts die Chance, dass Rohstoffprojekte künftig schneller umgesetzt werden als bislang - vor allem wenn sie von überragendem strategischem Interesse für die EU sind“, erwartet Gosau. So bestehe die Perspektive, dass etwa die zu Jahresbeginn in Nordschweden entdeckten Seltenen Erden oder das Lithiumvorkommen im Oberrheingraben schneller erschlossen würden.
Auch in Portugal und im Burgund findet sich das Leichtmetall in Mengen, deren Abbau lohnt.
Ohne Kreislaufwirtschaft geht es nicht
Diese Vorkommen reichen aber nicht, um Europas Nachfrage nach kritischen Rohstoffen zu bedienen. Wenigstens 15 Prozent ihres Rohstoffbedarfs soll die EU daher künftig durch Recycling decken. Schon heute handelt es sich bei 53 Prozent des in der Gemeinschaft verarbeiteten Aluminiums, 45 Prozent des Rohstahls und 38 Prozent des Kupfers um Sekundärrohstoffe.
Künftig will die Europäische Kommission Mitgliedsstaaten zudem verpflichten, Systeme auf- und massiv auszubauen, mit denen sie Abfälle einsammeln zu können, die einen hohen Anteil an heute noch nicht recycelten Rohstoffen enthalten. Zugleich sollen strengere gesetzliche Anforderungen an die Recyclingfähigkeit und den Rezyklatanteil von Produkten gestellt werden, wenn diese wie Dauermagnete oder Fahrzeugbatterien kritische Mineralien enthalten.
Brüssel will Beschaffung von kritischen Rohstoffen international breiter aufstellen
Nicht zuletzt sieht der Critical Raw Materials Act vor, dass künftig nur noch maximal 65 Prozent des Jahresbedarfs der EU an einem Rohstoff aus einem einzigen Land stammen dürfen. Um Lieferquellen zu diversifizieren, will sich die Kommission bemühen, strategische Partnerschaften mit rohstoffreichen Ländern zu schließen. DIHK-Referatsleiter Christopher Gosau hält staatliche Vorgaben für die Diversifizierung von Lieferketten für überflüssig.
Umfragen der Kammer zeigen, dass der Großteil der Mitglieder ihre Bezugsquellen bereits selbständig breiter aufstellt. „Strategische Rohstoffpartnerschaften können die Unternehmen dabei unterstützen, indem sie den Zugang zu rohstoffreichen Ländern erleichtern. Denn die Kreislaufwirtschaft ist noch nicht so weit, dass wir aus ihr wirklich große Teile unseres Rohstoffbedarfes decken könnten. Daher sind wir noch stark darauf angewiesen, Primärrohstoffe einzuführen“, so Gosau.
Allerdings sind Freihandelsabkommen mit Mexiko und den meist rohstoffreichen Mitgliedsstaaten des Mercosur – Argentinien, Brasilien, Venezuela, Paraguay und Uruguay - bereits seit drei Jahren ausgehandelt, aber noch nicht ratifiziert. Das muss genauso beschleunigt werden wie der Abschluss der Verhandlungen mit Australien, einem der größten Abbauländer von Lithium, und Indonesien. Die Inselrepublik in Südostasien ist der mit Abstand größte Lieferant des Batterierohstoffs und Stahlveredlers Nickel.
Die EU verpflichtet Unternehmen zu Rohstoffmonitoring
Während Fachleute die drei miteinander verzahnten Säulen loben, auf denen der Critical Raw Materials Act Europas Rohstoffversorgung künftig aufbauen will, sehen sie andere Regelungen des Gesetzes kritischer. So verpflichtet dieses Konzerne, ein Monitoring der Beschaffungsrisiken in ihren Rohstofflieferketten aufzubauen und dies in einem Bericht zu dokumentieren. „Damit schießt die EU über das Ziel hinaus“, findet Christopher Gosau von der DIHK. „Unternehmen müssen ein originäres Interesse daran haben, ihre Lieferketten kontinuierlich im Blick zu behalten. Das ist Teil des Alltagsgeschäfts“, bestätigt auch Justus Brinkmann, Rohstoffexperte und Senior Project Manager bei Inverto.
Skeptisch sind Fachleute auch bei der von der EU geplanten Beschaffung von Lithium, Seltenen Erden und anderen kritischen Metallen durch eine zentrale Einkaufsagentur. „Die EU hat gegenüber Lieferanten wie China oder den Staaten Südamerikas zwar mehr Gewicht in Verhandlungen als ein einzelnes Unternehmen“, so Brinkmann. „Allerdings muss sie für einen gebündelten Einkauf einen Planungsrahmen schaffen.“ Christopher Gosau von der DIHK weiß aus Umfragen unter den Mitgliedsunternehmen auch, dass diese befürchten, nur mit massivem bürokratischen Aufwand Tranchen aus den strategischen Rohstoffreserven einkaufen zu können, welche die Mitgliedstaaten unter Koordinierung der EU-Kommission anlegen könnten.
Ohnehin brauchen Unternehmen für ihren Rohstoffeinkauf vom Critical Raw Materials Act der EU unabhängige Strukturen, rät Justus Brinkmann von INVERTO. „Das Gesetz ist ein richtiger Schritt, Resultate liefert es aber erst in einigen Jahren “, gibt Brinkmann zu bedenken. So lange können Unternehmen nicht warten, wenn der Fortbestand ihres Betriebs wie bei Gerd Röders in Soltau davon abhängt, dass sie unverzichtbare Rohstoffe auch wirklich bekommen.
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