KI-Agenten übernehmen zunehmend Routineaufgaben, überwachen Risiken und verhandeln sogar eigenständig. Welche Basis es dafür braucht, erklärt Gopinath Polavarapu, CDAO von Jaggaer.
Gopinath Polavarapu, Chief AI and Digital Strategy Officer (CDAO) Jaggaer Gopinath Polavarapu, Chief AI and Digital Strategy Officer (CDAO) Jaggaer
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KI-Agenten erledigen im Einkauf Routineaufgaben und verhandeln sogar. Doch dafür braucht es bestimmte Voraussetzungen.Sansert - stock.adobe.com
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TECHNIK + EINKAUF: Herr Polavarapu, welche großen Herausforderungen
sehen Sie derzeit für Beschaffung und Lieferketten?
Lässt man die letzten zehn oder zwanzig
Jahre Revue passieren, so sieht man: Die Zeiten, in denen Unternehmen zunehmend
unter Druck standen, folgten wie Wellen aufeinander. Aktuell stehen wir nicht
weniger als drei „Superwellen“ gegenüber:
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Extrem hohe Erwartungen – Millennials und GenZ sind in den Führungsetagen angekommen und legen mit ihren Erwartungen die Regeln fest. Ein B2B-Einkauf muss heute so reibungslos funktionieren wie One-Click-Shopping auf dem Smartphone. Und bei Sourcing-Entscheidungen wollen sie mitreden.
Komplexität auf neuem Niveau – Früher war alles etwas überschaubarer, auch die Anforderungen; heute werden Produkte mit Services, Datenfeeds und Upgrade-Pfaden gebündelt und angereichert. Lieferanten entwickeln sich zu Partnern im Ökosystem und stehen selbst im direkten Kundenkontakt. Um solche Netzwerke zu steuern, braucht es neue Strategien und Echtzeit-Analysen.
Supply-Chain-Kollaboration – Der Einkauf hat sich vom Kostenwächter zum Architekten der Wertschöpfung gewandelt. Um Mehrwert zu generieren, werden Supply Chains heute gemeinsam mit Lieferanten, Kunden und sogar Wettbewerbern entwickelt.
Wie wichtig ist KI im Procurement?
KI steht nicht nur im Mittelpunkt der
Berichterstattung, sie ist die treibende Kraft. Studien belegen, dass 65 % der
CPOs Budget für KI bereitgestellt haben, und laut Deloitte evaluieren neun von
zehn Unternehmen GenAI-Pilotprojekte. Ob die Einführung erfolgreich ist, hängt
jedoch von guten Daten ab. Denn: Schlechte Daten führen zu schlechten
Entscheidungen.
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Der erste Schritt ist daher, die Daten im gesamten Netzwerk
zu bereinigen und dabei Ausgaben-, Lieferanten- und Vertragsdaten zu vereinheitlichen.
Erst dann kommen die Agenten ins Spiel. Sie durchsuchen Live-ESG- und
Risiko-Feeds und ermöglichen damit intelligente Lieferantenbewertungen. All
dies verkürzt den Onboarding-Prozess erheblich. KI-Agenten führen Monte-Carlo-„Was-wäre-wenn"-Szenarien
entlang der Supply Chain durch und senken so Lagerbestände um bis zu 30 %.
Sie
verhandeln RFx sowie Zahlungen selbständig und verringern manuelle Eingriffe um
bis zu 70 %. Agenten überwachen Verträge und holen damit 1 bis 2 % der
jährlichen Ausgaben wieder rein, die durch Leakage verloren gehen. Wenn die
Basis stimmt, kann sich der Mensch ganz der Strategieentwicklung widmen.
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Welche Vision verfolgt Jaggaer bei der Vereinfachung von Beschaffungsprozessen?
KI ist das zentrale Element unserer
Firmenstrategie. Dabei ist es uns allerdings wichtig, über den GenAI-Hype
hinauszublicken. Ja, generative KI unterstützt beim Verfassen von
Spezifikationen und beschleunigt Freigabeprozesse. Doch unser eigentliches Ziel
ist eine Belegschaft aus Software-Agenten, die komplette Beschaffungszyklen eigenständig
abwickelt – von der Verhandlung bis zur Zahlung. Deshalb haben wir JAI
entwickelt, unsere vollständig Agenten-basierte KI-Plattform. Sie agiert als
intelligenter, proaktiver Partner für schnellere Entscheidungen, automatisierte
Workflows und vieles mehr.
Aber ob der Sprung zu einem Team aus KI-Agenten gelingt, hängt
wesentlich von der Datenhygiene ab. Um die Transformation von isolierten ERP-Datensilos
hin zur netzwerkzentrierten Ressourcenplanung zu ermöglichen, bereinigt und
verbindet Jaggaer Ausgaben-, Lieferanten- und Vertragsdaten. Damit verfügt die KI
über eine solide Lerngrundlage. Und sobald dieses Fundament steht, wird aus
isolierten Anwendungsfällen eine echte End-to-End-Automatisierung. Menschen
stellen Anfragen an eine App, ein Agent antwortet – und letztendlich werden Agenten
direkt miteinander interagieren.
Ziel ist es dabei nicht, Menschen aus ihren Jobs zu
verdrängen. Beschaffungsexperten sollen vielmehr von Routineaufgaben entlastet
werden, um sich als strategische Insight-Partner zu etablieren. Kurz gesagt: Unsere
Vision verbindet saubere Daten mit autonomen Agenten, damit Menschen sich auf
größere und wertschöpfende Aufgaben konzentrieren können.
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Wie unterstützt JAGGAER Beschaffungsteams im ESG- und
Risikomanagement?
ESG und Risiken wirken sich geopolitisch,
wirtschaftlich und ökologisch aus. Wir gehen das auf zwei Ebenen an. Zum einen integrieren
wir kuratierte Datenfeeds spezialisierter Partner für CO2-Metriken,
geopolitische Risikosignale oder Bonitätsbewertungen in unsere
netzwerkzentrierte Plattform. Damit verfügt das Procurement über eine Single
Source of Truth und kann vorausschauend planen.
Zum anderen generieren KI-gesteuerte Apps aus diesen Daten in
Echtzeit Handlungsempfehlungen. Sie markieren beispielsweise Ausgaben-Hotspots,
steuern Warengruppen-Strategien, screenen Lieferanten und schlagen Vertragsklauseln
vor – sobald der operative Betrieb vom Kurs abweicht. Das Ergebnis geht weit
über das Abhaken von Compliance-Vorgaben hinaus. Indem Probleme frühzeitig sichtbar
werden, lässt sich schnell gegensteuern und Beschaffungsteams haben gegenüber
dem Wettbewerb die Nase vorn. ESG und Risikomanagement wandeln sich damit vom
Kostentreiber zum Wettbewerbsvorteil.
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Welche Rolle spielen Partner im Procurement?
Datenpartner sind unerlässlich und entscheidend für den
Erfolg in der Beschaffung – ob es um Spezialanbieter für CO2-Bewertungen,
Risikoanalysen oder Kreditauskünfte geht. Sie werden ergänzt durch ESG-Experten
und Echtzeit-Risikomonitoring. Verknüpft man diese Daten mit einer Plattform
für den gesamten Beschaffungsprozess, verfügen Einkäufer über alle benötigten
Informationen.
Darüber hinaus arbeiten wir mit führenden Beratungshäusern
zusammen, um den Roll-out von Best Practices und eine umfassende digitale
Transformation zu beschleunigen. Oder in einem Satz: Mit einem starken Partner-Ökosystem
wird aus großartiger Software messbarer Beschaffungserfolg.
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Wie sehen Ihre Pläne als Chief Digital and AI Officer für
die kommenden 12 Monate aus?
Ich habe einen 12-Monats-Fahrplan als CDAO, man könnte auch
sagen als „Chief Disruption Officer“. Mein erstes Ziel ist es, alle
Schlüsselpositionen — CFO, Chief Supply Chain Officer, ESG-Verantwortliche, IT —
auf eine Reihe klarer, aber sehr ehrgeiziger Top-Prioritäten auszurichten. Die Beschaffung
ist die Bühne, und das ganze Führungsorchester muss im Einklang spielen.
Sobald diese Basis gelegt ist, werde ich JAI in den
operativen Betrieb überführen. Wir rollen JAI bewusst in drei Schritten aus und
ich werde sicherstellen, dass jede dieser drei Phasen sauber umgesetzt wird und
einen ROI bringt, bevor wir zur nächsten übergehen:
Assist umfasst zunächst einen kontextbezogenen Helpdesk,
der Fragen zu Richtlinien beantwortet und Ausgaben überwacht. Darauf folgt Copilot.
Agenten arbeiten im Hintergrund, erstellen RFx-Entwürfe, redigieren Verträge
und stoßen Freigaben an. Autopilot bietet schließlich volle Autonomie
bei hochwertigen Workflows wie Tail-Spend-Management, Intake-Orchestrierung,
Rechnungsautomatisierung, dynamischer Lieferantenauswahl oder bei der Stücklisten-Optimierung
(Bill of Materials, BOM).
Der Autor: Gopinath Polavarapu
Gopinath „GP“ Polavarapu ist Chief AI and Digital Strategy Officer (CDAO) bei Jaggaer. Er verfügt über mehr als 20 Jahre Erfahrung in der Implementierung neuer Technologien in Unternehmen. So war er unter anderem als Chief Solutions Officer bei Kore.ai sowie bei Zebra und Globecomm tätig.
Bei Jaggaer leitet er die KI-Strategie des Source-to-Pay- und Supplier-Collaboration-Anbieters. GP teilt als Mentor seine Leidenschaft für Innovation und Technologie auch gerne mit KI-Talenten und setzt sich dafür ein, mithilfe von KI einen grundlegenden Wandel in Unternehmen zu fördern.
Gemeinsam mit unserem Chief Product Officer Jon Lawrence
werde ich prädiktive Risikosignale und
Monte-Carlo-„Was-wäre-wenn"-Analysen in die Suite integrieren. Diese wird
zudem Agent-zu-Agent-Verhandlungen erlauben. Damit lassen sich Verträge
sozusagen im Schlaf abschließen. Ich will die Disruption wirklich beschleunigen.
Und schließlich möchte ich das gesamte Unternehmen sowie
Kunden und Partner zu JAI-Botschaftern machen. Vom Entwickler bis zum Vertriebsmitarbeiter
– jeder wird die Assist-Copilot-Autopilot-Story als Elevator-Pitch oder in
einem TikTok-Video präsentieren können.
Bei alledem gilt: Das Procurement erfindet sich ständig neu.
Wir holen daher engmaschig Kunden-Feedback ein, iterieren schnell und lassen
Technologie niemals den Business Case überholen. Das gelingt, indem wir agil
und neugierig bleiben. Ich bin überzeugt: Mit diesen fünf Zielen wird JAI nicht
nur eine Produktsuite, sondern zum Motor für ein modernes Beschaffungswesen.