Damit liegt die Samba-Nation sogar noch vor China, das mit 20% ebenfalls einen Negativrekord verzeichnet. Hinzu kommt, dass die brasilianische Wirtschaft nicht nur mit der aktuellen politischen Situation und der Rezession – das Bruttoinlandsprodukt schrumpft voraussichtlich um 3,5% in 2016 nach -3,8% in 2015 – im eigenen Land kämpft, sondern auch noch von dem abgeschwächten Wachstum bei seinem wichtigsten Handelspartner China zusätzlich betroffen ist.
Insolvenztrends bei großen Unternehmen besonders alarmierend – Brasilien kämpft mit vier „Is“
„Brasilien schwankt zwischen Abgrund und Hoffnung“, sagte Ludovic Subran, Chefvolkswirt der Euler Hermes Gruppe. „Eigentlich hat das Land derzeit schon genug ‚Drama‘ und bräuchte nicht noch mehr davon. Die vier ‚Is‘ machen dem Land zu schaffen: ein Flaschenhals bei der Infrastruktur, fehlende Investitionen, eine hohe Inflation und viele Insolvenzen. Besonders alarmierend ist der Trend bei den großen Unternehmen. In den vergangenen zwölf Monaten bis März 2016 haben sich die Pleiten im Vergleich zum Vorjahreszeitraum fast verdoppelt von 154 auf 296 Fälle (+92%). Bei den kleineren Unternehmen liegt der Zuwachs im gleichen Zeitraum mit rund 32% deutlich niedriger.“
Cocktail: Insolvenzen, Infrastruktur, Investitionen, Inflation – aber auch Korruption und Unruhen
Hinzu kommen die starke Abhängigkeit von den weltweiten Rohstoffpreisen und der Nachfrage. Auch die Abwertung des brasilianischen Real (BRL) trägt zum Stapel der Probleme bei. Zwischen September 2014 und Januar 2016 hat er 46% an Wert verloren, die Börse (BOVESPA) hat ebenfalls 40% an Wert eingebüßt. Zudem sinken Beschäftigung, reale Löhne und Kaufkraft – und dadurch auch die Binnennachfrage und das Konsumklima.
„Für Unternehmen wird der Zugang zu Krediten immer schwieriger und teurer – der durchschnittliche Zinssatz liegt inzwischen bei mehr als 20%“, sagte Subran. „Die hohen Steuern und die bürokratischen Hürden untergraben die Wettbewerbsfähigkeit der dortigen Unternehmen zusätzlich zu den sowieso hohen Produktionskosten und dem herrschenden Fachkräftemangel in vielen Bereichen. Die Produktion fiel zuletzt um 13% und die Auslastung liegt weit unter dem Langzeitdurchschnitt. Zusammen mit der Korruption, sozialen und politischen Unruhen sowie einer großen Kluft zwischen Arm und Reich tragen diese Aspekte zum ungünstigen Cocktail bei, der das Land zuletzt in eine schwere Rezession geführt hat.“ Die Größe der brasilianischen Wirtschaft an sich, die hohe Binnennachfrage und die wachsende Mittelschicht stehen jedoch auf der Positivseite den derzeitigen Problemen entgegen.
Zukunftschancen: Brasilien kommt früher oder später zurück – Argentinien macht Hoffnung
„Es gibt aber auch viel, das Hoffnung macht – Brasilien wird unserer Einschätzung nach langfristig auf jeden Fall zurückkehren als attraktiver Wachstumsmarkt“, sagte Subran. „Die Frage ist nur wann. Die Übergangsregierung könnte angesichts der bevorstehenden Wahlen 2018 auf eine ‚Schocktherapie‘ setzen und dringend benötigte Reformen schnell auf den Weg bringen, die Brasiliens Wettbewerbsfähigkeit wieder verbessern. Der Regierungswechsel in Argentinien hat beispielsweise gezeigt, dass sich so etwas sogar relativ schnell in eine richtige und gute Richtung entwickeln kann. Das Vertrauen der Investoren ist für die beiden Länder enorm wichtig – das erreichen sie nur durch wirkliche Reformen, mit denen sie rasch die bestehenden Probleme angehen. Die Voraussetzungen für Brasilien sind gar nicht so schlecht: Die Auslandsverschuldung ist moderat, viele ausländische Investoren sind trotz der schwierigen Situation geblieben und die Währungsreserven halten sich relativ robust. Hinzu kommt eine ganz gut diversifizierte Wirtschaft, die grundsätzlich das Zeug hat, die Wende zu schaffen.“
Risiko soziale Unruhen: Brasilien als Gastgeber der Olympiade im Fokus der Welt
Die politische Unsicherheit und soziale Unruhen bleiben jedoch das größte Risiko für die Zukunft Brasiliens: „Eine langanhaltende politische Hängepartie wäre allerdings Gift für die dortige Wirtschaft“, sagte Subran. „Die Inflation, die Abwertung des Real und die hohe Arbeitslosigkeit sind zudem beunruhigende Zeichen für die Kaufkraft, vor allem, weil wir weitere Einschnitte bei den Finanzausgaben erwarten, zum Beispiel bei Subventionen. Dieser Sparkurs könnte eine weitere Welle der Unzufriedenheit auslösen, zumal Brasilien als Gastgeber der Olympischen Spiele in Rio besonders im Fokus der Welt stehen wird.“