Strommasten, Kornfeld und Windräder im herbstlichen Gegenlicht

Wiel Windstrom im Netz und trotzdem hohe Preise? (Bild: kflgalore - stock.adobe.com)

Normalerweise gilt der Grundsatz „Wo viel Angebot, da sinken die Preise“. Auch beim Strom ist das so: Wird durch ein Sturmtief oder an einem sehr sonnigen Tag viel Strom durch erneuerbare Energien erzeugt, ist dieser an der Leipziger Strombörse sehr günstig zu haben. In einigen Fällen fallen die Preise sogar ins Minus.

Am Freitag, den 24. Januar 2025 führte dieses Phänomen in Baden-Württemberg jedoch zu steigenden Strompreisen. Für die milde Winternacht prognostizierte die Systemführung des dort zuständigen Übertragungsnetzbetreibers TransnetBW für die Zeit zwischen 21 und 23 Uhr einen Netzengpass – trotz einer vorhergesagten Windfront. Was sich paradox anhört, hat ernste Hintergründe: die Netzkapazität.

Gründe für Stromengpässe im Süden Deutschlands

Solche Netzengpässe entstehen paradoxerweise meist durch eine hohe Windeinspeisung in Norddeutschland. Durch das hohe Angebot an Windstrom sinken die Großhandelspreise an der Strombörse. Das ruft beispielsweise Betreiber von Pumpspeicherkraftwerken auf den Plan. So liegt das größte Pumpspeicherkraftwerk mit seinen 1,9 GW in Baden-Württemberg. Solche Großabnehmer im industriereichen Süden decken sich dann mit günstigem Strom ein.

Doch das bestehende Stromnetz ist für diese Nachfrage aus dem südlichen Teil Deutschlands in windreichen Stunden (noch) nicht ausgelegt. In solchen Netzengpass-Situationen drohen die Leitungen zu überlasten.

Was tun Netzbetreiber gegen die Überlastung?

Überlastung heißt nicht, dass es zu einem Blackout kommt. Auch während des prognostizierten Netzengpasses stellen Netzbetreiber die Stromversorgung sicher. Dazu stehen den Unternehmen zahlreiche Instrumente für Netzengpassmanagement zur Verfügung.

Redispatch: Unter einem Redispatch versteht man Eingriffe in die Erzeugungsleistung von Kraftwerken, um Leitungsabschnitte vor einer Überlastung zu schützen. Droht an einer bestimmten Stelle im Netz ein Engpass, werden Kraftwerke vor der Engpassstelle angewiesen, ihre Einspeisung zu drosseln. Beispielsweise werden Windkraftanlagen abgeschaltet. Gleichzeitig müssen Anlagen hinter dem Engpass ihre Einspeiseleistung erhöhen. Betroffen sind alle Anlagen ab 100 kW. Auf diese Weise wird ein Lastfluss erzeugt, der dem Engpass entgegenwirkt, heißt es bei der Bundesnetzagentur.

Und das hat Folgen für den Stromverbraucher in Privathaushalten und in der Industrie im südlichen Teil Deutschlands: Sie profitieren nicht nur nicht von den günstigen Windstrompreisen, sondern müssen unter Umständen sogar draufzahlen. Denn Energieerzeugungsanlagen im Süden müssen hochgefahren werden, um den Engpass zu entschärfen. Das sind in der Regel steuerbare Gas- oder Kohlekraftwerke. Diese Kosten werden auf die Netzentgelte umgelegt.

Wie kann man die Stromengpässe langfristig vermeiden?

Um den Strom aus Windkraft, der vor allem im Norden und Nordosten erzeugt wird, mit den Stromverbrauchszentren im Süden Deutschlands zu verbinden, braucht es große Transitleitungen. Diese werden mit der Technologie Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung (HGÜ) gebaut, denn die Energieübertragung per Gleichstrom ist besonders bei großen Distanzen vorteilhaft. Dort sind die Übertragungsverluste deutlich geringer als bei vergleichbaren Wechselstromleitungen. Ein Zubau dieser „Stromautobahnen“ ist notwendig, um die Anzahl der Netzanpassungsmaßnahmen zu verringern.

Einer der ausschlaggebenden Gründe für die hohe Zahl der Ausgleichsmaßnahmen ist der seit 2013 Jahren geplante und oft verschobene Bau der Trassen

  • Südlink (von Wilster/Brunsbüttel über Grafenrheinfeld in Bayern nach Großgartach in Baden-Württemberg) mit einer Länge von 700 Kilometern
  • Südostlink (von Wolmirstedt in Sachsen-Anhalt zum Umspannwerk des Kernkraftwerks Isar nahe Landshut in Bayern) mit einer Länge von 540 Kilometern
  • A-Nord (von Emden in Niedersachsen nach Osterrath in NRW) mit einer Länge von 300 Kilometern
  • Ultranet (von Osterrath bis Philipsburg in Baden-Württemberg) mit einer Länge von 340 Kilometern

Stand der Dinge ist, laut Bundesnetzagentur, dass die Planfeststellungsverfahren über die Streckenteile zum großen Teil in trockenen Tüchern sind. Der Bau kann also losgehen – mehr als zehn Jahre nach dem Beschluss. „Die Übertragungstrasse SüdLink ist eines der Schlüsselprojekte der Energiewende in Deutschland“, sagte Andreas Schell, Chef des Energieanbieters EnBW. „Wir haben das Dilemma im Land, dass wir Großprojekte verzögern, das darf im Fall Südlink nicht passieren. Der erfolgreiche Ausbau ist eine Grundvoraussetzung, um bereits 2028 aus der Kohle aussteigen zu können."

Verhinderer der großen Stromautobahnen waren vor allem die CSU-Politiker Horst Seehofer und Ilse Aigner. Sie sprachen sich öffentlich schon früh gegen den Bau von Südlink bzw. Südostlink aus. Bereits 2014 befand Aigner in ihrem Konzept „Zwei minus X“ mindestens eine der Trassen als unnötig. Man setzte in Bayern auf neue Gaskraftwerke. Doch das ist seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine und den gestiegenen Gaspreisen keine Patentlösung mehr. Aber auch viele Bürgerinitiativen und auch der BUND bremsten den Bau ein ganzes Jahrzehnt lang aus.

Was können Industrie und Verbraucher bei Netzengpässen tun?

Stromabnehmer, ob privat oder in der Industrie, können mithelfen, dass die Netzengpässe entschärft werden, indem sie planbare Lasten aus der Zeit des Netzengpasses entweder vorziehen oder nach hinten verschieben.

Haushalte können Apps wie StromGedacht nutzen. Diese erhalten die Engpassmeldungen der Netzbetreiber, um ihre Nutzer zu informieren. So sprang am 24. Januar 2025 die Anzeige für die  angegebene Zeit auf Orange, sodass Nutzer reagieren konnten und geplante Verbräuche, wie Waschmaschinen oder Geschirrspüler nach hinten zu verlegen. Künftig sollen Wallboxen oder Wärmepumpen als abschaltbare Stromverbraucher zur Verfügung stehen, sodass sie in Situationen wie diesen, vom Netzbetreiber steuerbar sind. Das heißt, sie werden automatisch abgeschaltet bzw. in ihrer Leistung reduziert.

Für die Industrie gilt die Abschaltverordnung. Diese ermöglicht es Unternehmen, durch die gezielte, ferngesteuerte Leistungsschaltung ihrer Verbrauchsprozesse das Stromnetz zu entlasten. Das gilt jedoch nur für Leistungen ab 5 Megawatt (MW). Das Ganze wird den jeweiligen Unternehmen mit bis zu 400 Euro/MW vergütet. Generell gilt: Je stärker der Stromverbrauch während des Engpasses sinkt, desto weniger muss teurer und CO2-intensiver Strom vor Ort produziert oder aus dem Ausland bezogen werden.

Portrait Dörte Neitzel Redakteurin Technik+Einkauf
(Bild: mi connect)

Die Autorin: Dörte Neitzel

Dörte Neitzel ist Wissens- und Infografik-Junkie vom Dienst. Dinge und Zusammenhänge zu erklären ist ihr Ding, daher beschreibt sie sich selbst auch gern als Erklärbärin mit Hang zur Wirtschaft – was einem lange zurückliegenden VWL-Studium geschuldet ist. Nach einigen Stationen im Fachjournalismus lebt sie dieses Faible bevorzugt auf der Webseite der TECHNIK+EINKAUF aus und taucht besonders gern ab in die Themen Rohstoffe und erneuerbare Energien.

Privat ist Südfrankreich für sie zur zweiten Heimat geworden, alternativ ist sie in der heimischen Werkstatt beim Schleifen, Ölen und Malern alter Möbel zu finden oder in südbayerischen Berg-und-See-Gefilden mit Hund im Gepäck unterwegs.

Sind Netzengpässe häufig?

Die Anzahl der Netzengpässe ist laut Bundesnetzagentur über die vergangenen Jahre gestiegen und damit auch die Kosten. Das gesamte Maßnahmenvolumen für Netzengpassmanagement lag im vierten Quartal 2023 bei rund 8.730 GWh und ist damit im Vergleich zum Vorjahresquartal um 14 Prozent gestiegen (Q4 2022: 7.648 GWh). Die Zahl dürfte erst wieder nennenswert sinken, wenn die HGÜ-Leitungen fertig sind.

Doch nicht jeder Netzengpass führt zu einer Orange-Auslösung. Voraussetzung ist die Verfügbarkeit von Kraftwerken: So schaltet StromGedacht dann auf Orange, wenn in Baden-Württemberg und Bayern voraussichtlich nicht ausreichende Stromerzeugungskapazitäten aus Marktkraftwerken zur Verfügung stehen, um einen Netzengpass zu beheben. Das ist dann der Fall, wenn die Kraftwerke weniger als 500 MW elektrische Leistung zur Behebung des Netzengpasses zur Verfügung stellen können. In diesem Fall steigt die Wahrscheinlichkeit, dass teure Netzreservekraftwerke oder ausländische Kraftwerke benötigt werden.

Es gibt unterschiedliche Gründe, warum Marktkraftwerke zur Behebung von Netzengpässen nicht zur Verfügung stehen, sei es geplant (aufgrund von Wartung und Instandhaltung) oder ungeplant (aufgrund von Störungen). Ein weiterer Grund ist, dass ein Kraftwerk in dem betreffenden Zeitraum bereits ausgelastet ist, weil es am Strommarkt bereits den Zuschlag für eine andere Leistung erhalten hat. In seltenen Fällen kann es vorkommen, dass ein Kraftwerk nicht geeignet ist, einen Netzengpass zu beheben.

So funktioniert die App StromGedacht

Mit einem einfachen Ampelsystem informiert StromGedacht über den Zustand des Stromnetzes. Grün bedeutet Normalbetrieb. Supergrün zeigt an, dass der Anteil an regional erzeugtem Strom aus erneuerbaren Energien im aktuellen Strommix besonders hoch ist. Hier kann Strom wie gewohnt genutzt werden. Wird eine angespannte Situation prognostiziert, löst StromGedacht den Netzzustand Orange aus. Der Stromverbrauch sollte daher möglichst in diese Zeiten verlagert werden. Eine Rotschaltung würde bedeuten, dass nicht genügend Strom zur Verfügung steht, um die gesamte prognostizierte Nachfrage zu decken. Diese Situation ist in Deutschland nahezu ausgeschlossen. Für Industrie, Kommunen und Smart-Home-Nutzer bietet TransnetBW eine kostenlose Datenschnittstelle (Application Programming Interface - API) an.

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