Energiebeschaffung mit Vollversorgung

Die Vollversorgung mit Energie hat für Unternehmen sowohl Vorteile als auch Nachteile. (Bild: Gerd - stock.adobe.com)

Die wohl bequemste Art des Energieeinkaufs ist die Vollversorgung. Jeder kennt sie eigentlich aus seinem Privatleben: Vertrag mit einem Versorger schließen und monatliche Abschlagszahlungen leisten. Am Jahresende wird der Deckel zugemacht und der Mehrverbrauch wird zusätzlich bezahlt oder es gibt eine Gutschrift für den Minderverbrauch. Was für private Kunden der Normalfall ist, ist für Industrieunternehmen jedoch nicht immer die günstigste Strategie. Wir stellen die Vollversorgung als eine Strategie der Energiebeschaffung vor, listen Vorteile und Nachteile auf und sagen, für wen sie geeignet ist und für wen nicht.

Welche Strategien für die Energiebeschaffung gibt es?

Energiebeschaffung in der Industrie: Was ist Vollversorgung?

Analog zu Privathaushalten deckt auch bei Industrieunternehmen bei dieser Form der Energiebeschaffung ein einziger Versorger den kompletten Energiebedarf. Dabei spielt es keine Rolle, wann ein Unternehmen wie viel Energie benötigt, sie wird automatisch zur Verfügung gestellt.

Der Klassiker der Vollversorgung mit Energie ist, dass der Preis über die Vertragslaufzeit im Vorfeld festgelegt ist. Neben den Beschaffungskosten für die Energie an der Börse oder direkt vom Erzeuger rechnet der Versorger weitere Dienstleistungen ab wie Netznutzung, Regelenergie oder Bilanzierung.

Vollversorgung heißt übrigens nicht automatisch Festpreismodell, dieses ist nur eine Möglichkeit. Innerhalb der Vollversorgung gibt es unterschiedliche Vertragsmodelle. Sie unterscheiden sich in der Gestaltung des Bezugspreises, also dem Zeitpunkt und der Art der berücksichtigten (Börsen)Preise.

Vollversorgung mit Festpreis

Der Standardvertrag in der Vollversorgung ist der sogenannte Festpreisvertrag. Dieser legt einen Arbeitspreis (Cent/kWh) und einen Grundpreis (Euro/Monat oder Jahr) fest. Beide werden an einem Stichtag bestimmt. Der Arbeitspreis umfasst alle Preisbestandteile der Energielieferung, zum Beispiel Transport und Beschaffungspreis, während der Grundpreis die versorgungsbezogenen Leistungen – beispielsweise Netzzugang - beinhaltet. In der Regel beträgt die Laufzeit für solche Festpreisverträge bei der Energiebeschaffung ein bis drei Jahre.

Das Preisrisiko teilen sich bei dieser Strategie Versorger und Industrieunternehmen auf: Bei steigenden Börsenpreisen trägt es der Versorger, bei sinkenden Energiepreisen trägt es der Kunde. Das Mengenrisiko trägt in diesem Fall komplett der Versorger. Der Unternehmenskunde ist absolut flexibel in seinem Energieverbrauch.

Für kleine und mittlere Unternehmen mit einem durchschnittlichen Strombedarf ist die Vollversorgung mit einem Festpreisvertrag die Standardstrategie in ihrer Energiebeschaffung.

Vollversorgung mit flexiblem Preis

Um das Preisrisiko, das aus Festpreisen resultieren kann, zu reduzieren, gibt es die Möglichkeit, die Strom- oder Gasbeschaffung auf Basis eines variablen Preises zu vereinbaren. Dieser Preis wird mithilfe einer Preisformel ermittelt, die sowohl den Preis für sogenannte Basisverträge (Base) als auch den Beschaffungspreis sogenannter Spitzenlastverträge (Peak) am jeweiligen Bezugstag berücksichtigt. Als Spitzenlaststrom bezeichnen Erzeuger und Einkäufer den Strom, der zwischen 8.00 Uhr und 20.00 Uhr an der Börse gehandelt wird, der Preis für die Grundlast bildet sich in den gesamten 24 Stunden des Tages.

Bei der Vollversorgung mit flexiblem Preis werden Base- und Peak-Preise so gewichtet, wie der Kunde die Energie benötigt. Dazu zieht er Daten aus der Vergangenheit hinzu. Hinzu kommen Aufschläge, die der Versorger erhebt, um weitere Kosten und eventuelle Risiken zu decken. Im Endeffekt entsteht durch die unterschiedlichen Bezugszeitpunkte ein durchschnittlicher Bezugspreis. Dieser Preis gilt dann für die komplette Energielieferung in einem definierten Zeitraum, die Energie wird dann bereitgestellt, wenn sie benötigt wird.

Um das Preisrisiko zu senken, empfiehlt es sich für Unternehmen in Zeiten steigender Energiepreise langfristige Verträge einzugehen. Ist absehbar, dass die Preise sinken oder konstant bleiben, wählen Einkäufer entsprechend kürzere Vertragslaufzeiten, um den errechneten Durchschnittspreis perspektivisch zu senken.

Beispiel:

Beim einem angenommenen Fixingzeitpunkt 25. Oktober gilt ein Base-Preis von 30 Euro pro MWh und ein Peak-Preis von 45 Euro pro MWh. Benötigt das Unternehmen dreiviertel seiner Energie während der Basezeit und ein Viertel während der Peak-Zeit, ergibt sich ein durchschnittlicher Bezugspreis von 33,75 Euro pro MWh (0,75*30 + 0,25*45).

Grundlage dieses Modells sind also zwei Börsenpreise (Peak und Base) zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses, aus denen ein gemittelter Preis für den kompletten Strombezug innerhalb eines Zeitraums errechnet wird.

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Strommast von unten
(Bild: Pixabay)

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Vollversorgung mit Indexierung

Eine weitere Möglichkeit, den Preis innerhalb der Vollversorgung zu bilden, ist mithilfe eines Index. Dabei wird der Einkaufspreis der Energie an einen Börsenpreis oder sogenannten Indexpreis gekoppelt. Für den Lieferzeitraum wird der Preis also aus dem Durchschnitt der Preise in einem zuvor bestimmten Zeitraum gebildet. Das kann beispielsweise der Vormonat sein.

Auch hier gilt: Innerhalb des Lieferzeitraums bleibt dieser Preis dann fix. So werden Preisschwankungen zwar berücksichtigt, allerdings mit einer Verzögerung.

Vollversorgung auf Basis horizontaler Tranchen

Noch eine Möglichkeit, den Beschaffungspreis in einem Vollversorgungsvertrag festzulegen, ist ein mengengewichteter Durchschnitt, etwa über horizontale Tranchen.

Wie funktioniert das? Im Beschaffungszeitraum legen die Vertragspartner eine gewisse Anzahl gleich großer Tranchen fest, beispielsweise sieben Tranchen für eine Stromlieferung über je 1.000 MWh. Für die Preisbildung jeder dieser Tranchen wird im Vorfeld ein Zeitpunkt festgelegt.

Das hat zur Folge, dass der endgültige Bezugspreis erst am Ende des Beschaffungszeitraums als mengengewichteter Durchschnittspreis ermittelt werden kann. Daher erfolgt auch die Abrechnung erst nach dem Ende des Lieferzeitraums. Geliefert wird jedoch zeitlich flexibel nach Bedarf.

Beispiel: 3 Tranchen

1. Tranche (1.000 MWh): Preis wird zum 2. Februar fixiert.

2. Tranche (1.000 MWh): Preis wird zum 31. März fixiert.

3. Tranche (1.000 MWh): Preis wir zum 15. Juli fixiert.

Zum Ende des Bezugszeitraums stehen die Börsenpreise fest: am 2. Februar 35 Euro/MWh, am 31. März 50 Euro/MWh und am 15. Juli 20 Euro/MWh. Die drei Tranchen kosten also 35.000 Euro, 50.000 Euro und 20.000 Euro, was einen durchschnittlichen Bezugspreis von 35 Euro/MWh bei einem Gesamtbezug von 3.000 MWh ergibt. Die Gesamtkosten belaufen sich auf 105.000 Euro.

Da die Zeitpunkte für die Preisfixierung im Vorfeld ohne Kenntnis des tatsächlichen Preises festgelegt werden, teilen sich Einkäufer und Lieferant das Preisrisiko. Je mehr Tranchen es gibt, desto besser lassen sich Preisschwankungen ausgleichen und der Bezugspreis nähert sich dem Börsenpreis an. In der Regel gibt es aber nicht mehr als zehn Tranchen.

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Vorteile und Nachteile der Vollversorgung

Sowohl der festgelegte Bezugspreis als auch das durch die Versorger übernommene Mengenrisiko machen ein Festpreismodell für viele Unternehmen sehr attraktiv. Einkäufer haben mit der Vollversorgung eine sehr langfristige Planungssicherheit während des Lieferzeitraums. Nicht umsonst ist es eines der am weitesten verbreiteten Einkaufsmodelle.

Das Preisrisiko liegt beim Festpreismodell bei beiden Vertragsparteien – je nach Preisgestaltung kann das stärker oder weniger stark differieren. Wird der Preis mittels horizontaler Tranchen oder per Index ermittelt, ist der durchschnittliche Bezugspreis zwar auch fixiert, bildet jedoch die Schwankungen an der Börse besser ab, sodass das Preisrisiko besser verteilt wird.

Energieeinkäufer kommen also auch bei der Vollversorgung nicht umhin, die Entwicklungen auf dem Energiemarkt zu beobachten und einzuschätzen, um eine für sie vorteilhafte Preisgestaltung heraushandeln zu können.

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Für wen ist eine Vollversorgung geeignet?

Durch die Festpreise im Energieeinkauf eignet sich die Vollversorgung für kleine bis mittlere Unternehmen mit einem geringen bis mittleren Energiebedarf. Sie besitzen in der Regel kaum Marktwissen oder geschultes Personal, das speziell für die Energiebeschaffung zuständig ist. Der Einkauf von Strom oder Gas muss "nebenher" erfolgen.

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Zusammenfassung: Vollversorgung

Bei der klassischen Vollversorgung handelt es sich um eine sehr starre Form des Energieeinkaufs, die sowohl für den Lieferanten als auch den Kunden keine Möglichkeit bietet, auf die Börsenpreisentwicklung zu reagieren. Es gibt aber Gestaltungsmöglichkeiten, die dieses Preisrisiko besser berücksichtigen, etwa als Index, mit gewichteten Börsenpreisen zum Bezugszeitpunkt oder in Form eines Tranchenbezugs.

Portrait Dörte Neitzel Redakteurin Technik+Einkauf
(Bild: mi connect)

Die Autorin: Dörte Neitzel

Dörte Neitzel ist Wissens- und Infografik-Junkie vom Dienst. Dinge und Zusammenhänge zu erklären ist ihr Ding, daher beschreibt sie sich selbst auch gern als Erklärbärin mit Hang zur Wirtschaft – was einem lange zurückliegenden VWL-Studium geschuldet ist. Nach einigen Stationen im Fachjournalismus lebt sie dieses Faible bevorzugt auf der Webseite der TECHNIK+EINKAUF aus und taucht besonders gern ab in die Themen Rohstoffe und erneuerbare Energien.

Privat ist Südfrankreich für sie zur zweiten Heimat geworden, alternativ ist sie in der heimischen Werkstatt beim Schleifen, Ölen und Malern alter Möbel zu finden oder in südbayerischen Berg-und-See-Gefilden mit Hund im Gepäck unterwegs.

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