Die Chemie- und Pharmaindustrie gehört zu den energieintensivsten Branchen, im Durchschnitt neun Prozent des deutschen Energieverbrauchs entfallen laut Verband der Chemischen Industrie (VCI) auf Chemieunternehmen. Beim Erdgas lag der Anteil 2021 mit 14 Prozent weitaus höher, beim Strom sind es 10,6 Prozent. Kein Wunder, sind Strom und Gas doch die mit Abstand wichtigsten Energieträger für die Branche.
Knapp 43 Prozent des Energieverbrauchs der Chemie- und Pharmaindustrie geht auf das Konto von Erdgas, wobei etwas mehr als ein Viertel davon stofflich zum Einsatz kommt. Weitere 24,5 Prozent des Energieverbrauchs der Branche macht Strom aus. Umso dringender wird die Notwendigkeit, diese CO2-intensive Energie zu ersetzen.
Pharmahersteller Takeda setzt auf dampferzeugende Wärmepumpe
Die Arzneimittelproduktion ist ein sehr energieintensives Geschäft. Rohstoffe, Medikamente und Zwischenprodukte müssen gekühlt werden, gleichzeitig braucht es Wärme und Dampf, um sowohl das Produktionsumfeld steril zu halten als auch um notwendige chemische oder biologische Prozesse zu starten. An seinem Wiener Produktionsstandort will der japanische Arzneimittelkonzern Takeda ab 2024 eine dampferzeugende industrielle Großwärmepumpe einsetzen und damit seine Dampferzeugung von Erdgas auf "erneuerbar" umstellen.
Der Plan sieht vor, sie mit 100 Prozent natürlichem Kältemitteln zu betreiben und den CO2-Ausstoß um 90 Prozent zu reduzieren. Das Vorhaben heißt AHEAD (Advanced Heat Pump Demonstrator) und ist ein New-Energy-for-Industry-Projekt der österreichischen FTI-Initiative "Vorzeigeregion Energie". Beteiligt sind unter anderem auch das österreichische Bundesministerium für Klimaschutz (BMK), der Klima- und Energiefonds und das AIT (Austrian Institute of Technology).
Takeda benötigt Dampf mit einer Temperatur von 184 Grad Celsius und elf Bar. Im Temperaturbereich unter 200 Grad Celsius habe der Einsatz von industriellen Hochtemperaturwärmepumpen enormes Potenzial, so Wolfgang Hribernik, vom AIT, denn in diesen Bereich fielen 37 Prozent des Prozesswärmebedarfs der europäischen Industrie. Daher soll der AHEAD als Praxisbeispiel für die gesamte pharmazeutische Branche dienen und darüber hinaus für andere Industriebetriebe.
Wärme aus dem Kühlkreislauf nehmen: In zwei Schritten zum Dampf
Damit die Wärmepumpe effizient arbeitet, braucht sie eine zuverlässige Quelle von Ausgangswärme. Die Umgebungsluft ist dafür nicht geeignet, da die Temperatur mit den Jahreszeiten nicht stabil ist. Diese Quelle war schnell gefunden: die Kältezentrale von Takeda. Diese betreibt das Unternehmen bereits mit einem 100 Prozent natürlichen Kältemittel.
Da die Kälteproduktion in Wien zentral angelegt ist, kann das Unternehmen die Abwärme dieser Kälteanlage nutzen. Durch Wärmerückgewinnung und eine anschließende Temperaturerhöhung über eine "normale" Wärmepumpe sind Temperaturen von 65 bis 70 Grad Celsius möglich. Bislang hört der Prozess hier auf, denn das auf diese Weise erwärmte Wasser fließt in die Heizungsanlage des Standortes und dafür wurden höhere Temperaturen schlichtweg nicht benötigt.
Ab 2024 dient aber genau dieses Heizungswasser als Basis für die Dampferzeugung. In zwei schritten wird es auf die benötigte Temperatur von 184 Grad gebracht, wobei theoretisch sogar mehr als 200 möglich wären. Im ersten Schritt hebt eine Wärmepumpe von Sustainable Process Heat (SPH) die Wassertemperatur noch weiter an. Eine Herausforderung stellen die Kältemittel dar: Zwar hat SPH ein Wärmepumpensystem entwickelt, das Temperaturen bis 165 Grad Celsius erreicht und auf einem Kolbenverdichter beruht, doch bei natürlichen Kältemitteln sieht es schwieriger aus. Takeda nutzt Butan. Daher passt SPH sein System nun an, um das Heizungswasser von 65 auf etwa 130 Grad zu erwärmen. Dabei verdampft es. Dieser Dampf wird im zweiten Schritt über den Kolbenverdichter auf 11 bar gebracht und so auf über 184 Grad Celsius erhitzt.
Energie-Blog: Aktuelle Informationen zur Strom- und Gasbeschaffung
In unserem Ticker finden Sie alle aktuellen News und Entwicklungen auf dem Energiemarkt, was die Industrie betrifft.
Welche Vorteile hat Takeda durch die Hochtemperaturwärmepumpe?
Mit dem AHEAD-Projekt will Takeda seinen Erdgasbedarf nach eigenen Angaben um 90 Prozent senken. Laut Karl-Heinz Hofbauer, dem Leiter der Produktionsstandorte von Takeda in Wien können pro Jahr rund 1.900 Tonnen CO2 im Jahr eingespart werden - allein durch die neue Wärmepumpe. Dabei sei der Strommix, der zum Betrieb der Wärmepumpe benötigt wird, bereits einberechnet. Trotz der hohen Anschaffungskosten rentiere sich eine solche Wärmepumpe im Betrieb, da Takeda insgesamt weniger Strom verbrauche und zudem weniger Gas beschaffen müsse.
Welche Strategien für die Energiebeschaffung gibt es?
Für die Beschaffung von Energie stehen unterschiedliche Möglichkeiten zur Verfügung. Diese erklären wir im Einzelnen hier:
BASF: Industriewärmepumpe für die Dampferzeugung
BASF will bis 2050 klimaneutral produzieren - ein ambitioniertes Ziel für ein Unternehmen in einer der energieintensivsten Branchen. Damit die Ludwigshafener dieses Ziel erreichen, setzen sie auf die Power-to-heat-Technologie - aus Strom soll Wärme entstehen. Soviel Wärme, dass Dampf auf diese Weise produziert werden kann. Denn: Einer der wichtigsten Energieträger für BASF ist Wasserdampf. Diesen setzt das Unternehmen auf unterschiedliche Weise ein. Beispielsweise dient der Dampf dazu. Produkte zu trocknen, Reaktoren aufzuheizen oder zum Destillieren. Seinen Bedarf beziffert BASF pro Jahr auf etwa 20 Millionen Tonnen Wasserdampf.
Eine Hälfte produziert der Chemieriese aktuell bereits über Prozesse mit Wärmerückgewinnung, jedoch wird die andere Hälfte immer noch mithilfe von Gas- und Dampfkraftwerken erzeugt - mit entsprechenden Folgen für den CO2-Ausstoß und die Klimabilanz. CO2-neutraler Wasserdampf hätte auf diese Bilanz also einen entsprechend großen Einfluss und wäre ein Riesenhebel in der Dekarbonisierung der Standorte.
In einem Megaprojekt hatte BASF zusammen mit MAN Energy Solution eine Wärmepumpe geplant. Eine große Wärmepumpe. Es sollte die nach eigenen Angaben größte Industriewärmepumpe der Welt werden. In einer Machbarkeitsstudie planten und tüftelten die Beteiligten, wie sich ein solches Projekt umsetzen lassen könnte. Die Wärmepumpe sollte sich schließlich in das vorhandene System integrieren lassen und so effizient arbeiten, dass der neue Prozess wirtschaftlich ist - schließlich geht es um die Wettbewerbsfähigkeit in einem Land mit hohen Energiekosten.
Die Machbarkeitsstudie ergab auch tatsächlich, dass das Projekt technisch realisierbar ist. Trotzdem entschied sich BASF dagegen. "Die angekündigten Anpassungen des Produktionsportfolios und ein Vergleich mit weiteren potenziellen Wärmequellen am Standort lassen jedoch andere als den bisher ausgewählten Einsatzort für die Power-to-Heat-Technologie als wirtschaftlich attraktivere Optionen erscheinen", so BASF-Sprecherin Daniela Rechenberger. Diese Optionen sollen nun zunächst weiterentwickelt werden und dann wird entschieden, wo sie möglich und sinnvoll einsetzbar sind. Konkreter wollte BASF nicht werden. An der Power-to-heat-Technologie wolle man aber auf jeden Fall festhalten.
Energiebeschaffung: Erdgas, LNG und Biogas
Erdgas ist für die Industrie nicht nur Rohstoff, sondern auch Energieträger für Prozesswärme, denn Erdgas ermöglicht hohe Temperaturen. Welche Arten von Erdgas gibt es und wie verwenden Unternehmen Erdgas? Ist Biogas eine Alternative? Welche Rolle spielt LNG dabei? Alle Infos über Erdgas für Einkäufer finden Sie hier.
Was bringen Auktionen von Restkontingenten von Erdgas? Ist das eine Möglichkeit, günstig an den begehrten Rohstoff zu kommen? Und wer sind die größten Gas-Lieferanten und -förderunternehmen?
Wie kann eine Industriewärmepumpe bei der Dampferzeugung helfen?
BASF hatte die Wärmepumpen in der Größe von einigen Fußballfeldern zunächst für den Standort Ludwigshafen geplant und diese als Blaupause für andere Standorte angedacht. Wie in Haushalten auch, soll diese die vorhandene Wärme nutzen und daraus Dampf erzeugen. Da die Wärme aus der Umgebungsluft für ein solches Unterfangen zu gering ist, plant BASF die Nutzung von Abwärme, die sowieso in den Produktionsprozessen entsteht. Im konkreten Fall ist es das Kühlwassersystem. Für die industrielle Großwärmepumpe bedeutet das: Je wärmer das Ausgangsmedium ist, desto effizienter arbeitet sie. Auf diese Weise erzeugt die Großwärmepumpe Dampf, welcher dann in das Dampfnetz des Standorts Ludwigshafen eingespeist werden soll. Der dafür notwendige Strom soll aus erneuerbarer Quelle stammen. Konkret bedeutet das: Die Großwärmepumpe sollte die pro Stunde 150 Tonnen Dampf erzeugen. Das entspricht einer thermischen Leistung von 120 MW - das wäre (Stand 2022) die leistungsfähigste Großwärmepumpe der Welt gewesen - größer als die in Berlin für die Fernwärme eingesetzte Großwärmepumpe von Siemens Energy.
Auch, wenn das Megaprojekt erst einmal auf Eis gelegt ist: "In Ludwigshafen erproben und entwickeln wir zahlreiche Technologien und alternative Verfahren, um fossile Energieträger zu ersetzen – dazu gehört auch die elektrische Erzeugung von Dampf", so Dr. Uwe Liebelt, President European Verbund Sites bei BASF. Klimaschutz bedeute nicht nur Treibhausgasemissionen zu vermeiden, sondern auch nachhaltig mit Energie zu wirtschaften. Industrielle Wärmepumpen ermöglichen beides. Sie sollen deshalb künftig wesentlich sein für eine nachhaltige Energie-Infrastruktur am Standort Ludwigshafen.
Die Vorteile der Mega-Wärmepumpe
Der Chemiekonzern will die Nutzung von Gas auf ein Minimum beschränken, damit soll gleichzeitig der gesamte Energiebedarf sinken und auf diese Weise natürlich auch die laufenden Kosten für den Energieeinsatz. Gleichzeitig steigt durch die Nutzung der überschüssigen Wärme die Effizienz des Kühlwassersystems und die Dampfproduktion wird unabhängiger von Klima- und Witterungsbedingungen.
Weniger Erdgas bedeutet im selben Atemzug weniger Treibhausgase. Das Einsparungspotenzial durch eine entsprechend leistungsfähige industrielle Wärmepumpen ist riesig: Die ursprünglich geplante Hochtemperaturwärmepumpe hätte den Ausstoß von bis zu 390.000 Tonnen CO2 jährlich verhindert.
Andere Unternehmen, wie Piller, nutzen für diesen Prozess einen Wärmepumpenkreislauf mit Verdampfer und anschließender Brüdenverdichtung. Dieser erzeugt im ersten Schritt aus der Prozessabwärme mithilfe von Wasser als Trägermedium Dampf auf einem geringen Druck- und Temperaturniveau. Hochleistungsgebläse verdichten diesen Dampf in einem mehrstufigen Prozess auf das benötigte höhere Druck- und damit Temperaturniveau, um ihn ins Dampfnetz einzuspeisen bzw. ihn direkt im Prozess zu nutzen. Laut Piller seien COPs bzw. Jahresarbeitszahlen von 5 bis 45 möglich, je nach Temperaturerhöhung.
Die Autorin: Dörte Neitzel
Dörte Neitzel ist Wissens- und Infografik-Junkie vom Dienst. Dinge und Zusammenhänge zu erklären ist ihr Ding, daher beschreibt sie sich selbst auch gern als Erklärbärin mit Hang zur Wirtschaft – was einem lange zurückliegenden VWL-Studium geschuldet ist. Nach einigen Stationen im Fachjournalismus lebt sie dieses Faible bevorzugt auf der Webseite der TECHNIK+EINKAUF aus und taucht besonders gern ab in die Themen Rohstoffe und erneuerbare Energien.
Privat ist Südfrankreich für sie zur zweiten Heimat geworden, alternativ ist sie in der heimischen Werkstatt beim Schleifen, Ölen und Malern alter Möbel zu finden oder in südbayerischen Berg-und-See-Gefilden mit Hund im Gepäck unterwegs.
Energiebeschaffung: PV-Anlagen für die Industrie
Strom einkaufen oder selbst erzeugen? Die Frage stellen sich immer mehr Industriebetriebe. Am einfachsten geht das mit einer Photovoltaikanlage auf dem Hallendach.
Was sind die Vorteile und Nachteile einer eigenen PV für produzierende Unternehmen? Welche Hersteller spielen in der Solarbranche eine führende Rolle? Und welche Unternehmen liefern die meisten Solarzellen? Können deutsche Unternehmen überhaupt wieder mithalten?
Außerdem: PV-Module werden immer leistungsfähiger. Welche Solarzellen spielen neben den "klassischen" Siliziumzellen noch eine Rolle? Ein Beispiel für noch eine völlig neue Art sind Perowskit-Solarzellen. Was macht sie aus?
Energiebeschaffung: Mehr Effizienz durch Energiemanagement
Viele Unternehmen haben sich in Sachen Klimaschutz bereits auf den Weg gemacht. Wie sieht ein erfolgreiches Emissionsmanagement aus? Warum gehört ein solides Energiemonitoring dazu? Und welche Rolle spielen die vorgeschriebenen Energie-Audits? Gibt es Alternativen? Und wie ist der Einkauf in das Thema Energieeffizienz eingebunden?
Immer informiert mit den Newsletter von TECHNIK+EINKAUF
Hat Ihnen gefallen, was Sie gerade gelesen haben? Dann abonnieren Sie unseren Newsletter. Zwei Mal pro Woche halten wir Sie auf dem Laufenden über Neuigkeiten, Trends und Wissen rund um den technischen Einkauf - kostenlos!