Der Wind hat sich gedreht: Bevor Russland den Gashahn zudrehte, war Energiesparen eine eher freiwillige Angelegenheit. Nun ist es für viele Unternehmen wirtschaftliche Notwendigkeit geworden oder sogar eine vom Gesetzgeber verordnete Pflicht. „Deutschland ging bislang den Weg der Marktanreiz-Effekte und Förderprogramme. Mit der Verordnung zur mittelfristigen Sicherung der Energieversorgung haben wir zum ersten Mal ein Regelwerk, das eine Umsetzungspflicht für Energieeffizienz-Maßnahmen vorsieht, und das ist für viele Unternehmen eine neue Erfahrung“, stellt Georg Ratjen, Teamleiter bei der Ökotec Energiemanagement GmbH fest.
Wann wird Energieeffizienz zur Pflicht?
Die Verordnung zur Sicherung der Energieversorgung über mittelfristig wirksame Maßnahmen (EnSimiMaV) gilt bis 30. September 2024 und betrifft insbesondere Unternehmen mit einem durchschnittlichen Gesamtenergieverbrauch von mehr als zehn Gigawattstunden jährlich. Das im Dezember 2022 verabschiedete Gesetz zur Änderung des Energie- und Stromsteuer-Gesetzes sieht im Rahmen des Spitzenausgleichs Umsetzungspflichten für alle Maßnahmen mit positivem Kapitalwert vor.
Für das kommende Energieeffizienz-Gesetz, welches das Gesetz über Energiedienstleistungen und andere Energieeffizienzmaßnahmen (EDL-G) und die EnSimiMaV ablösen soll, zeichnet sich dieselbe Stoßrichtung ab. „Nach dem aktuellen Entwurf wären alle energiesparenden Maßnahmen verpflichtend umzusetzen, die sich in 50 Prozent der Nutzungszeit amortisieren. Außerdem steht eine Pflicht zur Einführung von Energiemanagement-Systemen ab zehn Gigawattstunden Energieverbrauch im Raum. Das ist neu“, berichtet Ratjen.
Mit konsequentem Energieeffizienz-Controlling lassen sich im Schnitt 20 Prozent Energieeinsparung erzielen.
Viele Informationen liegen bereits vor
Wer Energie möglichst effizient nutzen oder sogar einsparen will, muss zunächst wissen, was Sache ist. Er muss bereit sein, die eigene Anlagentechnik genau unter die Lupe zu nehmen und – wo nötig – zusätzliche Messtechnik zu installieren. Ob und wo solche Ergänzungen sinnvoll sind, zeigt eine Bestandsaufnahme bereits vorhandener Daten mit Bezug zum Energieverbrauch. Viele werden in anderem Kontext ohnehin bereits aufgezeichnet – vom Stromverbrauch bis hin zu Temperaturen oder maschinenspezifischen Kennwerten. Dazu kommen Randbedingungen wie Außentemperaturen oder Art und Menge der produzierten Teile.
Sobald dann kontinuierliche Messungen implementiert sind, die Daten zeitlich synchronisiert vorliegen und der Bezugsrahmen klar ist, werden aus Messdaten Informationen. Dann lassen sich einfache Kennzahlen wie Energieverbrauch pro Output oder Produktionsfläche bilden oder komplexere Datenmodelle erstellen, die variable Einflussgrößen mit einbeziehen und auch für Anlagensteuerung oder Simulationen genutzt werden können.
„Was wir für uns als eine wichtige Energiezahl ansehen, ist ‚Energieeinsatz pro erzeugtem Euro Umsatz’“, berichtet Dr. Fabian Assion von Beckhoff Automation. Das Unternehmen ist seit 2016 nach DIN EN ISO 50001 zertifiziert. Energy Performance Indicators (EnPI) sind eine Grundlage für den in der Norm geforderten Nachweis der Fortschritte bei der Energieeffizienz. Wie diese Kennzahlen gebildet werden und aus welchen Größen sie sich zusammensetzen, ist jedem Unternehmen selbst überlassen.
„Letztlich geht es darum zu zeigen, dass wir immer weniger Energie verbrauchen, weil wir gezielt Maßnahmen zur Energieeinsparung umsetzen, mit denen wir stetig effizienter werden“, sagt Assion. Der Energieverbrauch an sich wäre dafür kein aussagekräftiger Wert. „Absolut betrachtet verbrauchen wir jedes Jahr mehr Energie, weil wir jedes Jahr deutlich mehr Teile als im Jahr zuvor produzieren. Trotzdem produzieren wir von Jahr zu Jahr energieeffizienter, weil sich der Energieeinsatz pro Teil kontinuierlich verringert. Eine Kennzahl bildet das relativ simpel ab“, erklärt er.
Qualität ist genauso wichtig wie Verbrauch
Eine Kennzahl ganz anderer Art ist der von Beckhoff für seine Kunden entwickelte ‚Power Quality Faktor’: Ein mathematisches Konstrukt, das eine Reihe von Messwerten zusammenfasst – von der Spannung über die Frequenz bis hin zur Total Harmonic Distortion (THD). Am Ende steht ein Ausgabewert zwischen Null und Eins. „Ein analoger Wert, der dem Benutzer sagt, wie gut die Spannung ist, die aus der Steckdose kommt. Denn es geht bei Energie nicht nur um die Quantität, sondern auch um die Qualität“, betont Assion.
So fallen kurzzeitige Spannungseinbrüche oder störende Oberschwingungen durch nicht-lineare Verbraucher wie Netzteile zwar auf den ersten Blick nicht groß ins Gewicht. Dennoch können sie für erhebliche Störungen sorgen. „Wenn die Qualität der Stromversorgung nicht stimmt, hat das Auswirkungen auf den Prozess und die Endprodukte, was wiederum Kosten verursacht – am Produkt oder weil unnötig Energie verschwendet wird“, erklärt er. Oder weil sich die Fehlersuche in die Länge zieht: „Dass die Spannung, die aus der Steckdose kommt, der Grund dafür ist, dass die Maschine gerade nicht tut, was sie tun soll, das dauert normalerweise sehr lange, bis man auf diese Idee kommt“, weiß er aus Erfahrung.
Für ein kontinuierliches Energie-Monitoring wirklich jede Steckdose zu messen, sei nicht zielführend, winkt Assion ab: „Das wäre viel zu aufwendig und zu teuer. Wir gehen nach dem Pareto-Prinzip vor und erfassen so bereits mit relativ geringem Aufwand 80 Prozent des Energiebedarfs.“ Dafür nimmt das Energiemanagement-Team bei Beckhoff vor allem Großverbraucher ins Visier. Die ISO 50001 spricht hier von relevanten Energieverbrauchern beziehungsweise Signifikant Energy Users (SEU).
Für die Auswahl erfolgversprechender Ansatzpunkte gebe es im Grunde zwei Kriterien, sagt Georg Ratjen: „Die Anlage muss einen signifikanten Energieverbrauch haben und ein ordentliches Reduktionspotenzial bei den Energiekosten versprechen. Zudem sollte eine auf Kennzahlen basierende Optimierung tatsächlich möglich sein. Technologiebereiche, auf die in aller Regel beides zutrifft, sind Prozesskälte, Prozesswärme und Druckluftsysteme.“
Strom- und Spannungsverläufe in Maschinen geben frühzeitig Hinweise auf drohende Stillstände.
Gleichzeitig gekühlt und geheizt
Grundsätzlich sieht er in der Industrie noch sehr viel Luft für Verbesserungen in Sachen Energieeffizienz, selbst wenn viele Unternehmen ‚Low Hanging Fruits’ bei Anlagen- oder Beleuchtungstechnik bereits geerntet haben. Auch die ‚Hidden Fruits’ bergen großes Potenzial. Wie im kuriosen Fall eines Unternehmens, das denselben Prozess unwissentlich lange Jahre gleichzeitig kühlte und beheizte, was erst ein systematisches Energieeffizienz-Controlling offenbarte. „So etwas kommt gar nicht so selten vor. In diesem speziellen Fall ist es nie aufgefallen, weil der Prozess reibungslos lief und zuverlässig das angestrebte Ergebnis erbracht hat“, erzählt er.
Jenseits solcher Extremfälle gilt: „Im Schnitt lassen sich mit einem konsequenten Effizienz-Controlling für die wesentlichen Verbrauchsbereiche 20 Prozent Energieeinsparung erzielen“, schätzt Ratjen. Unter dem Strich führt ein konstanter und kritischer Blick auf die Energieverbräuche jedoch nicht nur zu signifikanten Energieeinsparungen und einer Reduktion des CO2-Ausstoßes. „Mit der soliden Datengrundlage aus einem umfassenden Monitoring und der entsprechenden Messtechnik und Auswertung lassen sich auch Referenzmodelle aufbauen, die weit über Einsparnachweise nach DIN 50001 hinausgehen. Sie können sowohl für eine kontinuierliche Effizienzüberwachung oder ein Benchmarking genutzt werden als auch für Lastmanagement zur Verringerung teurer Lastspitzen oder einem optimierten Eigenverbrauch von selbst erzeugtem Strom“, fasst Ratjen zusammen.
Energie-Monitoring unterstützt auch Predictive Maintenance und lässt sich zur Fehlerfrüherkennung einsetzen. Im Großen wie im Kleinen. „Werden Strom- und Spannungsverläufe in Maschinen kontinuierlich beobachtet, gibt das Hinweise auf drohende Stillstände“, erklärt Christian Jürgenhake von Beckhoff Automation. „Habe ich dieses Wissen voreilend, kann ich frühzeitig entgegenwirken, Ausfallzeiten reduzieren und damit Produktionskosten senken.“
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