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Die neue Seidenstraße ist mitnichten ein reines Infrastrukturprojekt. (Bild: Pixabay/naturfreund_pics)

Xi Jinpin hat sich verhört. Er könne schon die Glöckchen der Karawanenkamele hören, erklärte Chinas Staatspräsident, als er während eines Besuchs in Kasachstans Hauptstadt Astana 2013 den Bau einer neuen Seidenstraße von China nach Europa ankündigte. Zu diesem Zeitpunkt donnerten schon seit Jahrzehnten Güterzüge von Mitteleuropa ins Reich der Mitte. Den ersten Container transportierte die Transsibirische Eisenbahn 1973 aus Europa in den Fernen Osten. Lediglich nach dem Ende des Kalten Krieges war der Güterverkehr eingeschlafen.

Eisenbahnstrecken von China nach Europa

Diese historische Ungenauigkeit störte Chinas Staatspräsident bei seiner Rede aber nicht. Xi kündigte an, sechs kontinentale Transportwege zwischen Asien und Europa zu bauen. Durch die Mongolei und über die Gleise der Transsibirischen Eisenbahn besteht bereits eine 12.920 Kilometer lange Verbindung von China nach Europa.

Weiter südlich verläuft eine 10.320 Kilometer lange Route durch Kasachstan, Russland und Weißrussland an die polnische Ostgrenze

Drei Schifffahrtsstrecken nach Europa

Die beiden Strecken will Peking im Zuge seiner ‚Belt-and-Road-Initiative‘ (BRI) genannten Infrastrukturpolitik um eine Verbindung durch den Kaukasus, Iran und die Türkei ergänzen. In Südostasien baut China außerdem eine 3.900 Kilometer lange Eisenbahnlinie von Kunming nach Singapur mit einem Abzweig über Myanmar nach Kalkutta.

Vom Westen Chinas aus entsteht gleichzeitig eine Verbindung durch Pakistan zum Hafen Gwadar am Persischen Golf. Zusätzlich will China die Infrastruktur entlang von drei Schifffahrtswegen zwischen dem Fernen Osten und Europa ausbauen oder neu schaffen.

In Port Lamu in Kenia, Bagamoyo in Tansania und Dschibuti hat die Volksrepublik daher neue Containerhäfen gebaut. In Genua, Porto, Valencia, Piräus und Rotterdam, im australischen Darwin und in Hambantota auf Sri Lanka kontrollieren chinesische Staatsunternehmen zudem ganz oder teilweise die Häfen. Insgesamt besitzt Peking weltweit 75 Beteiligungen an Hafengesellschaften.

Die sieben Korridore der neuen Seidenstraße

Landkarte mit den sieben Korridoren der neuen Seidenstraße
Karte mit China (rot), den Mitgliedern der Asiatischen Infrastrukturinvestmentbank und den sechs Landkorridoren (Schwarz) und der maritimen Seidenstraße (Blau). (Grafik: Von Lommes - Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0)

Neue Seidenstraße ist Megaprojekt

Neben der Verkehrsinfrastruktur entstehen im Zuge der BRI-Politik Kraftwerke, Staudämme und Pipelines. Chinesische Unternehmen beteiligen sich in Zentralasien am Abbau von Rohstoffvorkommen. Die Autobauer Geely und Great Wall haben in Russland und Belarus Fabriken gebaut.

Pekings Infrastrukturpolitik erfasst drei Kontinente. Sie erstreckt sich über einen Raum, in dem 65 Prozent der Weltbevölkerung ein Drittel des globalen Bruttoinlandsprodukts erwirtschaften. Gut tausend Milliarden US-Dollar würde es kosten, wenn Peking seine Pläne vollständig umsetzt. Immerhin 40 Milliarden Dollar hat die Volksrepublik schon bereitgestellt. Für Chinas Kommunistische Partei ist das Projekt so wichtig, dass sie die Belt-and-Road-Politik auf ihrem Parteitag im Oktober 2017 in die Parteistatuten aufgenommen hat.

Von der See auf die Schiene

Die logistische Bedeutung der Bahnverbindungen zwischen dem Reich der Mitte und Mitteleuropa wird dieser politischen Aufwertung nicht gerecht. Zwar transportierten 2017 fast 2.400 Züge rund 145.000 Standardcontainer (20-Fuß-Container) aus Asien nach Europa, meldet der Internationale Eisenbahnverband, UIC. „Doch das entspricht nicht mal sieben großen Containerschiffen“, erklärt Thomas Puls, Infrastrukturexperte am Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) Köln.

Die Ozeanriesen nehmen 20.000 Standardcontainer Ladung auf. In zehn Jahren werden Güterzüge gut 670.000 Standardcontainer durch die Weiten des eurasischen Kontinents transportieren, erwartet die UIC. Doch auch dies entspräche nur der Ladung von 33 Frachtern.

Zeit gespart: Landweg als Alternative für Einkäufer

Dennoch ist der Landweg eine interessante Transportvariante für Einkäufer, die in China schwere, aber sehr werthaltige Güter beschaffen. Nicht nur, weil sie der Transport eines 20-Fuß-Containers von Chongqing, Wuhan oder Chengdu nach Nürnberg oder Duisburg dank hoher chinesischer Subventionen mit rund 3.500 Euro 80 Prozent günstiger kommt als Luftfracht.

„Noch weit entscheidender ist der Zeitvorteil, den die Bahn bietet“, weiß IW-Ökonom Puls. „Da ein Güterzug zwischen Asien und Europa nur zwischen 12 und 18 Tagen benötigt, müssen Unternehmen ihr Kapital nur halb so lange binden wie bei einem Transport zu See.“

Da die Züge auch Bahnhöfe im deutschen Binnenland anlaufen können, ergeben sich sogar noch weitere Zeitersparnisse. „Denn durch das Routing auf Inlandsterminals verringern sich nicht nur die Vor- und Nachlaufzeiten, sondern auch die Transitzeiten des Hauptlaufs“, ergänzt Lars Bostelmann, Experte für Seefracht beim Logistikdienstleister Dachser.

BMW testet Belieferung der eigenen Werke

Diesen Zeitvorteil schätzt auch die BMW Group. Den ersten Zug schickte der Autobauer schon 2011 über die Transsibirische Eisenbahn in sein Werk im nordostchinesischen Shenyang. Heute verlassen jede Woche drei Containerzüge die Verladezentren der Bayern in Leipzig und Regensburg.

„Mit der Bahn können wir unsere drei Werke in China auch dann noch just-in-time beliefern, wenn die Sendung eines Lieferanten so spät bei uns ankommt, dass wir sie auf dem Seeweg nicht pünktlich nach China weitertransportieren können“, erklärt Norbert Dierks, Fachmann für die Transporte produktionsrelevanter Teile bei BMW. „Die Belieferung auf dem Landweg ist zeitlich extrem zuverlässig“, lobt Dierks.

Künftig bessere Abläufe an Grenzen

Dabei müssten Container an der polnisch-russischen und russisch-chinesischen Grenze auf Waggons anderer Spurweite umgesetzt werden und die Zollabfertigung durchlaufen. Gerade wegen dieses Aufwands gibt es zur genauen Zeitkalkulation auf dem Landweg aber gar keine Alternative, weiß Dachser-Experte Bostelmann. „Denn die Züge sind an vorgebuchte Zeitfenster gebunden, in denen sie einzelne Schienenabschnitte passieren müssen“, erklärt der Manager Business Administration & Development bei Dachser. Komme es dennoch unerwartet zu Verzögerungen, könnten die Züge diese wegen der langen Distanz oft an anderer Stelle wieder einholen.

„Künftig“, erwartet Bostelmann, „werden sich die Laufzeiten durch bessere Abläufe an den Grenzen sogar noch weiter verkürzen.“ Dennoch werde die Menge der Güter, die auf dem Landweg von China nach Europa reisen, im Vergleich zur Seefracht auch künftig gering bleiben, würde Steve Saxon, Partner und Logistikexperte bei der Unternehmensberatung McKinsey in Shanghai, einschränken. Geht es Peking beim Bau der neuen Seidenstraße also gar nicht um den Bahntransport aus dem Reich der Mitte nach Europa? Nur worum geht es dann?

Für wen lohnt sich die neue Seidenstraße wirklich?

„Mit der Initiative versucht Peking, in Eurasien einen Handelsraum zu schaffen, der der chinesischen Wirtschaft neue Wachstumschancen erschließt“, antwortet Puls vom IW Köln. Vor allem gehe es der Volksrepublik darum, Chinas Westen an den Welthandel anzubinden.

„Unternehmen dort müssen ihre Waren heute 1.000 bis 2.000 Kilometer nach Osten transportieren, bevor sie sie in Häfen wie Shanghai, Qingdao oder Dalian nach Europa verschiffen können. Nicht nur die überlasteten Seehafenhinterlandverbindungen sind dabei ein Problem“, sagt Puls. „Auch die Häfen an Chinas Ostküste arbeiten an ihren Kapazitätsgrenzen.“ Da sei es schlauer, die Inlandsprovinzen über neue Eisenbahnlinien durch Pakistan an den Hafen Gwadar oder durch Myanmar an die Häfen in Chittagong und Kalkutta anzubinden.“

Nachbarstaaten als Absatzmarkt

Zumal von der Infrastruktur auch Chinas Nachbarstaaten profitieren, was Unternehmen im Westen der Volksrepublik ebenfalls hilft. „Bislang bremst die geringe regionale Vernetzung der chinesischen Wirtschaft ihr Wachstum“, beschreibt Ökonom Puls das Problem. Nur etwas mehr als neun Prozent der Ausfuhren gingen in die 14 Nachbarstaaten der Volksrepublik.

Bevor diese die Erzeugnisse ihrer auf Hochtouren produzierenden Fabriken in Zentralasien verkaufen kann, muss sie jedoch die dortige Wirtschaft ankurbeln. In Kasachstan will Peking im Rahmen der Belt-and-Road-Initiative deshalb neben Infrastruktur auch Industriekapazitäten für 28 Milliarden US-Dollar aufbauen und Wertschöpfung aus China dorthin verlagern.

Politischer Einfluss Chinas wächst

Durch die engere Vernetzung der chinesischen Wirtschaft mit den Anrainerstaaten der neuen Transportwege gewinnt Peking dort auch mehr politischen Einfluss. Politischen Zielen dient auch die Finanzierung der in Zentralasien, dem Kaukasus, Iran, Pakistan, Afrika oder Osteuropa entstehenden Infrastruktur durch die Volksrepublik.

Der Ratingagentur Moody’s zufolge ging bislang gut die Hälfte der Kredite, die China für den Bau der neuen Verkehrswege, Häfen und Kraftwerke vergeben hat, an Staaten mit sehr geringer Bonität. Da Montenegro, Dschibuti, Laos, die Malediven, Sri Lanka, die Mongolei, Kirgisien und Tschadikistan ihre Schulden in Peking wohl nie werden bedienen können, geraten sie in finanzielle wie politische Abhängigkeit von der Volksrepublik.

Wenn die EU die Türkei und den Iran nicht gegen die Politik von US-Präsident Trump unterstützt, könnte China im Zuge der Belt-and-Road-Politik versuchen, auch in Ankara und Teheran Follower zu gewinnen.

Deutsche Unternehmen könnten verlieren

Die Rechnung für diese Neuordnung der Märkte und Loyalitäten in Eurasien zahlen auch deutsche Unternehmen. Eine Studie der Freien Universität Brüssel kommt zu dem Ergebnis, dass sich der Marktanteil europäischer Technologieanbieter in den Anrainerstaaten der neuen Seidenstraße seit 2008 auf 30 Prozent halbiert hat.

Derjenige chinesischer Unternehmen stieg dagegen von 15 auf 26 Prozent. Noch nie ist es einem Staat gelungen, die Globalisierung so schnell und so erfolgreich zu seinen Gunsten zu verändern. Europäischen Politikern sollten da die Ohren klingeln. Vielleicht hat Staatspräsident Xi 2013 in Kasachstan ja die Glöckchen einer Karawane gehört, deren Aufbruch Politiker in Brüssel noch nicht mitbekommen haben.

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