Olaf Scholz wird als erster Regierungschef eines westlichen Staats seit Beginn der Corona-Pandemie den chinesischen Staats- und Parteichef Xi Jinping treffen, begleitet von einer Wirtschaftsdelegation. Eine Motivation der Reise ist dabei nachvollziehbar und richtig: Während der Corona-bedingten Isolation der chinesischen Führung waren nur digitale Kommunikationsformate möglich.
Dabei kommt kein persönlicher, tiefergehender Austausch zustande. Der ist aber wünschenswert, um zumindest eine gewisse Basis an gegenseitigem Verständnis zu erhalten – denn wir befinden uns in schwierigen geopolitischen Zeiten, in denen auch ein militärischer Konflikt zwischen China und den USA um Taiwan nicht mehr ausgeschlossen werden kann. Es ist zu hoffen, dass sich Xi Jinping auf einen persönlichen Austausch einlässt und nicht nur vorgefertigte Statements abliest.
Vor allem der Zeitpunkt der Kanzlerreise ist jedoch fragwürdig. Denn so kurz nachdem Xi Jinping seine Macht auf dem Parteikongress demonstriert und Reformer aus der Führungsriege verbannt hat, droht Scholz sich für chinesische Propaganda herzugeben. Peking wird daraus die Botschaft machen: Schaut her, trotz immer autokratischerer Tendenzen ist China international weiter anerkannt. Besser wäre zudem gewesen, wenn Scholz und Emmanuel Macron gemeinsam nach China gefahren wären – und wenn Scholz nicht den Cosco-Deal als Gastgeschenk mitbringen würde.
Deutschland hat sich erpressbar gemacht
Der Besuch, insbesondere die Mitnahme einer Wirtschaftsdelegation, sendet zudem ein chinafreundliches Signal zu einer Zeit, in der es darum gehen müsste, die deutsche Wirtschaft von China zu emanzipieren. Stattdessen begibt sich Deutschland aktuell in eine noch größere ökonomische Abhängigkeit von der neuen Supermacht in Asien – fünf Indikatoren zeigen das:
- Das Defizit im Warenhandel mit China ist im ersten Halbjahr 2022 auf einen absoluten Rekordwert von 40 Milliarden Euro gewachsen – vor Beginn der Corona-Pandemie hatte es im gesamten Jahr 2019 noch bei 14,1 Milliarden Euro gelegen. Vor allem die Importe aus China haben zuletzt extrem zugelegt.
- Besonders kritisch sind importseitige Abhängigkeiten bei kritischen Gütern, etwa bei Seltenen Erden, Rohstoffen wie Magnesium sowie Solarmodulen. Die deutsche Wirtschaft ist hier im geopolitischen Konfliktfall erpressbar.
- Deutschland ist beim Handel deutlich abhängiger von China als umgekehrt und diese Asymmetrie hat stetig zugenommen: Der Anteil chinesischer Warenexporte nach Deutschland an allen Warenexporten Chinas sank zwischen 2010 und 2021 von rund vier auf etwa drei Prozent. Aus deutscher Sicht wuchs der Anteil Chinas an den gesamten deutschen Ausfuhren hingegen im gleichen Zeitraum von knapp sechs auf fast acht Prozent. Trotzdem sind in Deutschland aktuell nur um die drei Prozent der Arbeitsplätze direkt und indirekt vom Export nach China abhängig.
- Die Abhängigkeit einiger großer deutscher Firmen von China ist sehr viel größer – und sie nimmt weiter zu. Deutsche Firmen haben allein im ersten Halbjahr 2022 mit rund zehn Milliarden Euro so viel neu in China investiert, wie in keinem der ganzen Vorjahre. Das schafft auch politische Erpressbarkeit. Nach Recherchen von WDR/NDR hat die chinesische Botschaft in Berlin im Vorfeld Druck auf einige deutsche Firmen ausgeübt hat, sich für die Übernahme einzusetzen – China nutzt Abhängigkeiten skrupellos aus.
- Umgekehrt ist auch die chinesische Investitionstätigkeit in Deutschland zuletzt wieder leicht gewachsen. Hatte sie 2020 noch bei 707 Millionen gelegen, stieg der Transaktionswert chinesischer Übernahmen und Beteiligungen in Deutschland im Jahr 2021 auf 1,2 Milliarden Euro. Insgesamt gab es 23 Übernahmen und Beteiligungen, im Vorjahr waren es noch 22.
Handel mit anderen Partnern diversifizieren
Die Politik in Deutschland und der EU sollte die möglichst rasche Verringerung dieser Abhängigkeiten zur höchsten Priorität machen, vor allem bei den kritischen Importabhängigkeiten. Dazu, aber auch für die Erschließung neuer Absatzmärkte braucht es vor allem Diversifizierung, also mehr Handel mit anderen Partnern.
Unabdingbar und dringend nötig dafür sind Freihandelsabkommen mit anderen großen asiatischen Ländern wie Indien, Indonesien und Malaysia. Zudem sollten die nächsten Kanzlerreisen in diese Länder gehen – und das jeweils mit großen Wirtschaftsdelegationen. Deutsche Firmen sollten mit dazu beizutragen, diese Partner auf der Importseite zu verlässlichen Lieferanten und auf der Exportseite zu attraktiven Absatzmärkten zu machen.
China hat vorgemacht, wie es geht, multinationale Unternehmen zu nutzen, um sich zu entwickeln. Jetzt sind andere Länder dran.
Die Autorin: Dörte Neitzel
Dörte Neitzel ist Wissens- und Infografik-Junkie vom Dienst. Dinge und Zusammenhänge zu erklären ist ihr Ding, daher beschreibt sie sich selbst auch gern als Erklärbärin mit Hang zur Wirtschaft – was einem lange zurückliegenden VWL-Studium geschuldet ist. Nach einigen Stationen im Fachjournalismus lebt sie dieses Faible bevorzugt auf der Webseite der TECHNIK+EINKAUF aus und taucht besonders gern ab in die Themen Rohstoffe und erneuerbare Energien.
Privat ist Südfrankreich für sie zur zweiten Heimat geworden, alternativ ist sie in der heimischen Werkstatt beim Schleifen, Ölen und Malern alter Möbel zu finden oder in südbayerischen Berg-und-See-Gefilden mit Hund im Gepäck unterwegs.
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