Stapel Briefpost

Papierdokumente sollten in Zeiten von KI und Cloud eigentlich weitgehend der Vergangenheit angehören - tun sie allerdings nicht. Wie Unternehmen mit der digitalen Automatisierung starten können. (Bild: Unsplash Alexander Grey via Easy Software)

In Zeiten von Cloud, KI und digitaler Transformation wirken ausgedruckte Lieferscheine und Rechnungen per Post fast schon wie ein Relikt aus grauer Vorzeit. Insbesondere der Einkauf hat noch immer mit einer Flut an Papierdokumenten zu kämpfen. Dass es auch anders geht, zeigt die digitale Lieferscheinerfassung eines Pharmagroßhändlers.

Die Beschaffung entwickelt sich langsam, aber sicher zum strategischen Schwergewicht innerhalb von Unternehmen. Längst geht es nicht mehr nur darum, zu den besten Konditionen einzukaufen und Kosten zu sparen. Angesichts schwankender Nachfrage, unterbrochenen Lieferketten sowie explodierenden Preisen wird der Einkauf zum Dreh- und Angelpunkt wichtiger, unternehmensweiter Entscheidungen. Und davon gibt es eine Menge: So sollen Einkäufer nicht nur ein diverses Lieferantenökosystem aufbauen, sondern auch das Risiko von Lieferengpässen minimieren, die Compliance in der globalen Supply Chain sicherstellen und – nicht zuletzt, mit dem neuen Lieferkettengesetz – auch Lieferanten und Material nach ökologischen und sozialen Gesichtspunkten auswählen.

Diese neuen Aufgaben können Beschaffungsteams jedoch nur erfüllen, wenn sie sich von aufwändigen und oftmals ineffizienten Routineaufgaben frei machen. Digitale Technologien helfen hier, den Automatisierungsgrad des gesamten Purchase-to-Pay-Prozesses (P2P) zu verbessern und Beschaffungs- und Einkaufsprozesse perfekt aufeinander abzustimmen – von Bedarfsmeldung und Einkauf über den Waren- und Rechnungseingang bis hin zum Vertragsmanagement.

E-Invoicing geht mit gutem Beispiel voran

Das E-Invoicing ist hier wohl das Paradebeispiel für erfolgreiche Digitalisierung. Dabei ist es noch gar nicht allzu lange her, dass hinter der Rechtsgültigkeit von elektronisch versandten Rechnungen ein großes Fragezeichen stand. Heute gehört die Rechnung als PDF-Anhang in E-Mails zur Tagesordnung. Nach einer Bitkom Umfrage stellt nur noch ein Viertel der Unternehmen in Deutschland seine Rechnungen vornehmlich auf Papier aus – Tendenz sinkend.

Rückenwind erhält die elektronische Rechnung zudem von staatlicher Seite. Um den Betrug bei der Umsatzsteuer bekämpfen zu können, plant beispielsweise die Bundesregierung, ein zentrales Meldesystem für Rechnungen einzuführen. Die elektronische Rechnung gilt dabei als Grundvoraussetzung. In anderen europäischen Ländern wie Italien sind Clearance-Systeme, in denen Rechnungssteller ihre elektronischen Rechnungen an die Steuerbehörden schicken, bereits im Einsatz.

Digitaler Nachholbedarf bei elektronischen Belegdaten

Eine ähnliche digitale Transformation steht dem Erfassen und Verarbeiten von Lieferscheinen noch bevor. Hier können je nach Unternehmensgröße und Branche enorme Papierberge anfallen. Müssen diese dann manuell erfasst und bestimmte Attribute aus den Lieferscheinpositionen ins ERP-System übertragen werden, sind Fehler unausweichlich. Die Folge sind Korrekturen und damit ein vermeidbarer Mehraufwand, der wichtige Ressourcen an der falschen Stelle im Unternehmen bindet.

Das Optimierungspotential ist dementsprechend groß. Laut Bitkom messen lediglich 44 Prozent der befragten Unternehmen dem Austausch strukturierter elektronischer Belegdaten große Relevanz bei. Dabei sind es eher große Unternehmen mit mindestens 500 Mitarbeitenden, die auf digitale Geschäftsprozesse setzen. Und das, obwohl auch kleinere Unternehmen von der Technologie profitieren könnten.

Darüber hinaus variiert die Investitionsbereitschaft in entsprechende Beschaffungs-Software nach Branchen. In der Chemie-, Pharma- und Lebensmittelindustrie sind beispielsweise mehr als 56 Prozent vom Mehrwert eines durchgängig digitalisierten und automatisierten Wareneingang inklusive Lieferscheinmanagement überzeugt.

Spurensuche in 25 Tonnen Papier

Als Vorreiter in Sachen Digitalisierung kann daher ein Pharmagroßhändler aus der DACH-Region gelten. Das Unternehmen erhielt pro Jahr rund 1,2 Millionen Lieferscheine, die erfasst, ausgelesen und verarbeitet werden mussten. Bei durchschnittlich 4 Seiten Papier pro Lieferschein und Wareneingang mussten sich die Beschaffungsteams so durch rund 5 Millionen Seiten bzw. 25 Tonnen Papier manuell durcharbeiten.

Der Aufwand war enorm, die Bearbeitungszeit langwierig. Die hohe Fehlerquote beim Auslesen und Übertragen der Daten in Verbindung mit mangelnder Transparenz brachte den Händler in Erklärungsnot. Wo ist die Ware? Wann wurde sie angenommen? In welcher Qualität ging sie ein? Warum wurde die Rechnung noch nicht gezahlt? Solche einfachen Rückfragen zum Bestellstatus konnte die Buchhaltung nicht oder erst mit großer Verzögerung beantworten. Hinzu kam, dass der Händler über eine dezentrale Organisation mit mehreren Standorten verfügte.

Für den Großhändler war klar: Die Eingangsverarbeitung von Lieferscheinen musste automatisiert und digitalisiert werden, um die Workflows zu beschleunigen. Ziel war es nicht nur, Kosten, Aufwand und Fehler zu reduzieren, sondern auch eine durchgehende Transparenz über den Wareneingangsprozess zu gewinnen, um Kunden und Lieferanten in Echtzeit zu informieren.

Digitaler Wareneingang als Grafik
(Bild: Easy Software)

Technische Anforderungen: Lesequalität +80 Prozent

Auf der Suche nach einer geeigneten P2P-Lösung stellt der Pharmagroßhändler einige zentrale Auswahlkriterien auf: So musste das System beispielsweise spezielle Anforderungen der Pharmaindustrie erfüllen und drei branchenspezifische Attribute von Positionsdaten auf den Lieferscheinen automatisch auslesen können. Dazu gehören die PSA-Nummer, mit der jedes Arzneimittel ausgezeichnet wird, das Verfallsdatum der Medikamente und die gelieferte Menge. Die

Lesequalität beim automatischen Scannen der Belege sollte dabei eine Genauigkeit von über 80 Prozent erreichen. Erst ab dieser KPI wollte der Händler tatsächlich auf eine automatische Belegerfassung umstellen.

Easy Software stellte sich dieser Aufgabe. Der Anbieter von ECM-Software verfügt über Erfahrung aus über 500 Digitalisierungsprojekten sowie etablierte Lösungen beim Auslesen von Rechnungen. Um die Anforderungen des Pharmahändlers hinsichtlich der Lieferscheine zu erfüllen, entwickelten die Softwarespezialisten einen kundenspezifischen Prototypen für den Scanvorgang.

Eine zentrale Herausforderung stellte dabei der fehlende Formatstandard dar. Anders als bei Rechnungen gibt es bei Lieferscheinen keine gesetzlichen Vorgaben hinsichtlich Aufbau und Pflichtinformationen. Unternehmen sind in der Regel frei bei der Gestaltung, was ein automatisiertes Auslesen erschwert. Um trotz unstrukturierter Formate eine hohe Lesequalität zu erreichen, nahmen die Easy-Experten daher gezielte Anpassungen am OCR(Optical Character Recognition)-Leser vor und testeten das System im Rahmen von zwei Benchmarks.

Dazu wurden zunächst die Lieferscheine der 50 Stammlieferanten des Pharmahändlers als Datenbasis herangezogen, um problematische Datenfelder zu identifizieren und den Scanner entsprechend anzupassen. Bereits hier erreichte die Easy-Lösung eine Lesegenauigkeit von 90 Prozent. Um das Scanverfahren weiter zu verfeinern, fügten die Spezialisten in einem zweiten Benchmark 150 weitere Zulieferer zum Datenpool hinzu. Die Ergebnisse konnten überzeugen. Nach einem Pilotprojekt an einer der Niederlassungen des Pharmahändlers wurde die digitale Belegverarbeitung unternehmensweit eingeführt.

Niedrige Fehlerquote, wenig Aufwand

Der manuelle Aufwand reduzierte sich drastisch um bis zu 90 Prozent. Mitarbeiter müssen lediglich in einzelnen Fällen, bei denen der Belegleser Informationen nicht vollständig oder inkorrekt erfasst, eingreifen und nachbessern. Die Software stellt die fraglichen Belege automatisch zur weiteren Bearbeitung in eine Warteschlange und informiert die jeweiligen Sachbearbeiter zeitnah. Ablieferbelege stehen nun allen Verantwortlichen ohne Zeitverzug zur Verfügung. Gleichzeitig werden die erfassten Daten kontinuierlich mit Stammdaten aus dem ERP-System des Händlers abgestimmt. So ist sichergestellt, dass keine fehlerhaften Informationen in den Datenbestand von Drittsystemen eingehen. Unterm Strich konnte der Pharmahändler die Fehlerquote so um ganze 80 Prozent reduzieren.

Das sorgt im Umkehrschluss für eine zeitnahe Verarbeitung der Belege und einen deutlich schnelleren Bezahlprozess. So können Mitarbeiter im Einkauf zum Beispiel die Buchung von Rechnungen fristgerecht abwickeln und das Unternehmen profitiert zuverlässig von Skontobeträgen. Insgesamt reduzierte der Großhändler mit der digitalen Belegerfassung seine Kosten um 20 bis 30 Prozent. Vor allem aber ist dank der durchgängigen Automatisierung und hohen Datenqualität nun ein 360-Grad-Blick auf den Wareneingang möglich. So kann der Einkauf mit wenigen Klicks sofort im System den Lieferstatus einer Ware einsehen und Kunden und Zulieferern schnell und unkompliziert Auskunft geben.

Egal ob Wareneingangskontrolle oder E-Invoicing – letztendlich geht es bei der Digitalisierung auch darum, die einmal erfassten Daten über den gesamten Purchase-to-Pay-Prozess sowie darüber hinaus zu nutzen. So haben strukturierte und zentral gespeicherte Beleg- und Rechnungsdaten das Potenzial, die gesamte Supply Chain neu zu gestalten. Die medienbruchfreie Abbildung von Angebotsinformationen, Preisen, Lieferterminen und Verfügbarkeiten erlaubt es Unternehmen zum Beispiel, wirtschaftliche Risiken abzuwägen, schneller auf Marktänderungen zu reagieren und bessere Entscheidungen zu treffen. Dieser datengetriebene Ansatz ist entscheidend, damit der Einkauf seiner Rolle als strategischer Partner im Unternehmen auch in Zukunft gerecht werden kann.

Immer informiert mit den Newsletter von TECHNIK+EINKAUF

Hat Ihnen gefallen, was Sie gerade gelesen haben? Dann abonnieren Sie unseren Newsletter. Zwei Mal pro Woche halten wir Sie auf dem Laufenden über Neuigkeiten, Trends und Wissen rund um den technischen Einkauf - kostenlos!

Newsletter hier bestellen!

Sie möchten gerne weiterlesen?