Glieder einer dicken Kette und ein Glied glüht

Lieferketten müssen robuster werden. Dabei kann KI helfen. Scoutbee setzt auf die neue Technologie. (Bild: Iaroslav Neliubov/Adobestock)

Spätestens die Corona-Pandemie hat gezeigt, wie wichtig Resilienz in der Supply Chain ist. Geschlossene Grenzen und Fabriken machten die Beschaffung im Frühjahr 2020 schwer bis nahezu unmöglich. Was sonst immer reibungslos lief sorgte plötzlich für Schlagzeilen.

Risikomanagement ist also gefragt wie nie zuvor, um ein ähnliches Szenario für die Zukunft auszuschließen. Bisherige Strategien und Methoden haben sich jedoch teilweise als überholt erwiesen, neue Technologien müssen her. Es gilt für Einkäufer, die Lieferkette neu zu planen - mit mehr Flexibilität und weniger Risiko.

Eine Lieferanten-Plattform namens Scoutbee soll dabei helfen. Die ihr zugrunde liegende Software will die Lieferantensuche beschleunigen und tiefgreifende Marktinformationen bieten. Alles mit dem Ziel, künftig strategischer einzukaufen. Was aber macht Scoutbee anders?

Der neue Ansatz heißt: Künstliche Intelligenz (KI). Wie Unternehmen ihre gesamte Lieferkette und damit die Produktion robuster gegen Ausfälle machen und welche Rolle die neue Technologie KI dabei spielt, erklärt Gregor Stühler im Exklusiv-Interview.

TECHNIK+EINKAUF: Herr Stühler, was sollte man aus den Erfahrungen bezüglich der Lieferketten während der Pandemie lernen?

Gregor Stühler: Es ist offensichtlich geworden, dass die Single-Source-Strategie nicht aufgeht. In den letzten Monaten hat man gesehen, dass viele Lieferketten, die von einer Single Source abhängig sind, zusammengebrochen sind.

Die Lieferanten, die von der Corona-Krise betroffen waren oder sind, sahen sich gezwungen, etwa Maschinen zu verkaufen oder Personal abzubauen. Einkäufer müssen darüber hinaus prüfen, ob Bestandslieferanten nach wie vor solvent sind.

Deshalb ist jetzt der Aufbau von alternativen Lieferanten zur Bestandssicherung wettbewerbsentscheidend.

Wer früh damit anfängt, hat die Nase vorne, sobald der weltweite Bedarf schlagartig zurückkehrt und in der Folge die Nachfrage das Angebot weit übersteigt. Wer sich dann am schnellsten bewegen kann, wird sich wichtige Marktanteile sichern können.

Denn aktuell sieht man tatsächlich, was passiert, wenn man das Risiko nicht auf verschiedene Lieferanten oder Länder verteilt.

Warum ist das noch nicht geschehen?

Stühler: Ich glaube tatsächlich, dass es vor allen Dingen daran liegt, dass die Beschaffung in diesen Unternehmen oft die getriebene Kraft war – und nicht die treibende. Das heißt, der Einkauf war lediglich als interner Service platziert und wurde erst dann aktiviert, wenn es Bedarf gab.

Häufig war dies nicht viel mehr als eine Prozesseinheit, die sichergestellt hat, dass Rechnungen vom Zulieferer geprüft und zur Zahlung freigegeben werden sowie bei Abrufbestellungen etwa die richtige Menge gebucht wird und die Ware empfangen wurde.

Im Grunde genommen ist dies auch in Ordnung, aber eben nur so lange nichts passiert, Lieferanten da sind und man Innovationen ins eigene Unternehmen holt. Aber, in letzter Konsequenz wird die Resilienz eines Unternehmens vom Einkauf definiert.

Und es ist auch nur der Einkauf, der definiert, wie schnell ein Unternehmen in einem Krisenszenario einen Plan B umsetzen kann und wie resilient letztlich das Geschäft ist. Dieses Problem ist durch COVID-19 offengelegt worden.

Wir gehen davon aus, dass viele Einkaufsabteilungen nun intern im Ansehen steigen und dadurch hoffentlich zur treibenden Kraft werden.

Wird das jetzt auch Auswirkungen auf die Digitalisierung haben?

Stühler: Natürlich. Wenn man es ganz realistisch betrachtet, war die letzte Digitalisierungswelle im Einkauf die Umstellung der Rechnungen von Fax auf E-Invoicing. Seitdem gab es nichts Revolutionäres mehr in der Beschaffung.

Und man muss offen hinterfragen, warum das so ist. Das kann verschiedene Gründe haben: Wenn man sieht, wie sich der Vertrieb in den Jahren verändert hat, von unzähligen multifunktionalen CRM-Anwendungen bis hin zu fortgeschritteneren Technologien wie etwa Augmented Reality, hinkt der Einkauf immens hinterher.

Teilweise ist man bereits stolz, wenn automatisiert Verhandlungen geführt werden, und das ist dann schon die Spitze des Digitalisierungs-Eisbergs. Der Einkauf hat jetzt eine monumentale Herausforderung vor sich, denn die Digitalisierung ist dem Einkauf bereits enteilt.

Wie kann Scoutbee da weiterhelfen?

Stühler: Kurzum: Wir bieten Lieferanten-Einkäufer-Matchmaking und Collaboration. Lieferanten geben wir somit die Chance, mit OEMs in Kontakt zu treten, und OEMs geben wir die maximale Transparenz hinsichtlich der Lieferantendaten.

Wenn ein Einkäufer heute ein Bauteil sucht, dann beginnt er üblicherweise mit einer Internetsuche, meist mit Google, um dann Lieferantendatensätze bei dem ersten Resultat zu ziehen, dies alleine ist mit hohem Zeitaufwand verbunden. Denn oft beginnt der Einkäufer die Suche mit dem Ziel, mehrere Alternativen zu identifizieren für spätere Auswertung.

Davon auszugehen, dass so wirklich alle geeigneten Lieferanten identifiziert wurden, ist durch die Masse der verfügbaren Informationen unmöglich.

Steht die erste Liste, werden im nächsten Schritt dann die Internetseiten der potenziellen Lieferanten nach bestimmten Begriffen und Keywords durchsucht.

Anschließend ruft man dann über Anbieter wie Dun & Bradstreet den Finanz-Datensatz ab, prüft in einer TÜV-Datenbank die Zertifikate und versucht herauszufinden, ob der Zulieferer in Frage schon OEM-Beziehungen hat oder ob er Supplier-Awards gewonnen hat.

Vita Gregor Stühler

Gregor Stühler vor einem Gelänger stehend
Gregor Stühler, Scoutbee. (Bild: Scoutbee)

Als Projektingenieur eines deutschen Mittelständlers verantwortete Gregor Stühler die Innovationsbeschaffung.

Dann ließen zwei Schlüsselereignisse die Lieferkette des Unternehmens beinahe vollständig zusammenbrechen: China schloss den Markt für Seltene Erden und die Tsunamikatastrophe verwüstete Japan.

Das Unternehmen konnte nicht schnell reagieren, das Scouting von Alternativ-Lieferanten war langwierig, teuer und ertraglos. Zu diesem Zeitpunkt erkannte Gregor Stühler die enorme Notwendigkeit einer digitalen, schnellen und datengetriebenen Lieferanten-Recherche für den Einkauf.

Gregor Stühler gründete in der Folge Scoutbee gemeinsam mit Lee Gal­braith. Der erfahrene Vertriebs-Veteran hat Erfahrung mit Führungs- und Managementpositionen bei LIDL, und Fabian Heinrich.

Als ehemaliger Global Venture Development & Managing Director bei Rocket Internet und Gründer von PLVY besitzt er zudem eine jahrelange Management-Expertise in der Start-up- und Tech-Szene.

Das Ziel: schnelle, digitale, automatisierte und vergleichbare Recherchen von Lieferanten aus aller Welt für den Aufbau stressresistenter Lieferanten-Netzwerke.

Das ist ein ziemlicher Aufwand, oder?

Stühler: Das sind nur einige Beispiele eines umfangreichen Prozesses, der sich manuell als äußerst mühselig darstellt.

Wir automatisieren dieses Einkaufsverhalten und bündeln eben diese gesamten Daten. Der Einkäufer braucht diese Datengrundlage, um beispielsweise die Frage zu beantworten, ob der Lieferant vertrauenswürdig ist und ob er das Teil liefern kann.

Die KI analysiert die verschiedenen Datensätze der Lieferanten und bewertet, inwiefern diese zu den Anforderungen des Einkäufers passen. Diesen Vorgang nennt man Entity-Linking – in dem Bereich sind wir Weltmarktführer.

Dabei fragt Scoutbee keinesfalls nur bestehende Lieferantendatenbanken ab: Wir scouten stattdessen in der Tat jedesmal das gesamte Web komplett von Null an, sodass die Aktualität der Datensätze stets sichergestellt wird.

Warum gab es das bisher noch nicht?

Stühler: Insgesamt ist es datentechnisch sehr schwer und wir haben tatsächlich knapp fünf Jahre Research dafür betrieben. Es ist wahnsinnig aufwendig, multilingual zu suchen, technisch eine große Herausforderung.

Eine chinesische Webseite in Mandarin zu durchforsten und mit Daten aus dem gleichen Unternehmen in Mexiko zu matchen, ist einfach extrem aufwendig. Deswegen hat das auch noch keiner vor uns gelöst.

Hat Corona Auswirkungen auf die Entscheidung Local oder Global Sourcing?

Stühler: Das sogenannte Low-Cost-Country wurde abgelöst und in ein Best-Cost-Country umgemünzt. Das heißt, es wird der Lieferant gewählt, der die wenigsten Kosten verursacht.

Global Sourcing gegen Local Sourcing zu stellen, ist meiner Meinung nach einfach eine Trendmacherei. Im Covid-Szenario war doch vollkommen egal, ob der Lieferant in Tschechien oder in China war. Ich denke eher, dass man dieses ausbalanciert.

Hätte man einen Lieferanten in China und einen in Brasilien gehabt, wäre man wunderbar durch die Krise gekommen. Und das ist die goldene Regel, man muss einfach schauen, dass man sich global breit aufstellt, dass man sich dadurch Resilienz erarbeitet, indem man seine Supply Chain divers aufbaut.

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Das Unternehmen: Scoutbee

Scoutbee bietet Angestellten im Beschaffungswesen eine intelligente Möglichkeit zur Lieferantensuche und verbindet weltweit die richtigen Einkäufer mit den passenden Lieferanten.

Mittels Künstlicher Intelligenz und stetig kuratierten Datensätzen verfolgt Scoutbee die Lieferkette von Millionen verschiedener Lieferanten. So führt das Unternehmen Lieferanten-Informationen und tiefgreifende datenbasierte Einblicke in die Zulieferer in einem einem simplen, digitalen Prozess für die digitale Beschaffung zusammen.

Experten aus den Bereichen Beschaffung, Operations und dem Ingenieurswesen gründeten das Unternehmen 2015, inzwischen ist Scoutbee in Europa und den USA für die strategische Beschaffung verfügbar. Das Unternehmen verfügt über Sitze in Deutschland sowie in Washington D.C.

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